Heilen zwischen Gut und Böse

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Nach langem, zähem Ringen ist das Gesundheitsreformpaket weitgehend unter Dach und Fach. Was ist neu? Wo sehen Expertinnen und Experten Durchbrüche, wo wunde Punkte? Die furche widmet sich in zwei aufeinander folgenden Dossiers dem Brennpunkt Gesundheit. Dieses Dossier entstand mit finanzieller Unterstützung des Bundesministeriums für Gesundheit und Frauen. Grundsätzliche Überlegungen zur Ethik im Gesundheitswesen.

Ethik hat Konjunktur. Das ist ein janusköpfiges Phänomen. Die einen befürchten, hier werden alteuropäisch mit dem erhobenen Zeigefinger normative Vorschriften geltend gemacht. Andere verdächtigen die Kirchen. Sie würden ihre konfessionelle Selbstbehauptung über Ethik betreiben. Andere wiederum sehen im Ruf nach Ethik die Versuchung, komplexe Probleme in ihren Lösungsdimensionen nach außen, in die Ethik zu verlagern.

Vor allem im Gesundheitssystem lässt sich die zunehmende Komplexitätssteigerung von Entscheidungen als Zumutung beobachten. Das Versorgungssystem ist fragmentiert. Die Brüche zwischen ambulanter und stationärer Versorgung verschlechtern die Versorgungsqualität: Gute Versorgungsqualität ist aber Entscheidungsqualität. Wir treffen hier Entscheidungen unterhalb der Qualität und Expertise, die möglich ist. Warum?

Individualisierte Ethik

Der gesellschaftliche Umgang mit ethischer Reflexion wird weitgehend individualisiert. Es ist das persönliche Gewissen, als Ort der Entscheidung, dass ethische Fragen in eigenartiger Weise intimisiert erscheinen lassen. Ethik wird eher in der öffentlich abgeschotteten Beichtstuhlkommunikation gesehen. Es ist dann der "Gutmensch", um den es geht. Das gute Handeln wird zu einer Frage der individuellen Haltung.

Auch wird Ethik bereichsethisch fragmentiert. Zahlreiche Bindestrich- und Bereichsethiken kursieren (Wirtschafts-, Unternehmensethik, Pflege- und Medizinethik, etc.). Völlig unterentwickelt ist die Integration der - immer auch interdisziplinären und interprofessionellen - Auseinandersetzung im Sinne eine Ethik der Gesundheits- und Heilberufe (healthcare ethics). Solche engen fach-, berufs- und personbezogenen Ethik-Konstruktionen werden fragwürdiger, weil sie das Problem verlängern, das es zu bearbeiten gilt: Nämlich die Organisation eines ethischen Diskurses mit allen relevanten Personen und Berufen an einem "Runden Tisch".

Es ist der Selbstanspruch demokratischer Gesellschaften, dass die Betroffenen - gerade in diesen Fragen, wo es um Gesundheit und Krankheit, um Leben und Tod geht - beteiligt werden müssen. Und wo das nicht möglich ist, dass advokatorisch ihr "mutmaßlicher Wille" von Dritten zur Geltung gebracht wird.

Beteiligung der Betroffenen

Auch besteht der Anspruch, dass solche Entscheidungen transparent sein müssen, also nicht allein in der Intimität des Vier-Augen-Gesprächs stattfinden, sondern durch Prozeduren, in denen der Prozess ethischer Reflexion sichergestellt wird.

Und schließlich entstehen gute Entscheidungen nicht allein auf der Basis des Abwägens von Argumenten, sondern unter Einbezug der emotionalen Qualität der Entscheidung und ihrer Folgen. Auch bei ethischen Entscheidungen im Gesundheitsbereich muss ein Kriterium sein, "ein gutes Gefühl zu haben". Und umgekehrt: Wie oft sind gerade Pflegepersonen entsetzt darüber, dass etwa maximaltherapeutisch behandelt wird (immer übrigens mit guten Argumenten), wo es keinen Sinn mehr macht, wo fast alle Beteiligten das Gefühl (!) haben, das ist nicht mehr gut für den Betroffenen und auch nicht für das behandelnde Team.

Ethik im Gesundheitssystem braucht also neue prozessuale Formen der Kommunikation, "runde Ethik-Tische" etwa, "Prozessethik" (Peter Heintel) oder Organisationsethik in und zwischen Organisationen. Ethik ist dann nicht mehr allein eine Qualität von Personen, sondern ein Qualitätsmerkmal der Organisation, von der Leitung gewollt und beauftragt. Die Kultur der Ethik ist entlang folgender Frage zu sehen: Ist das, was wir tun, wie wir leben und arbeiten, gut für uns und die künftigen Generationen?

Knappe Mittel - wofür?

Auf der Ebene des Systems der Politik stellt sich etwa die Frage: Wofür werden die knappen vorhandenen Mittel eingesetzt? Warum ist es gut, in die Aufrechterhaltung der stationären Einheiten zu investieren? Ist es klug, die wachsende Chronifizierung von Krankheiten zu ignorieren? Was sind die Kriterien und wer entscheidet wie und wo darüber? Wie kann das Budget des Gesundheitsministeriums ethisch argumentiert werden? Wofür wird Geld ausgegeben und wofür nicht - und mit welchen ethischen Prämissen?

Auf der Ebene der Organisationen, der Krankenhäuser fragen Patientinnen: Worauf ist hier, in diesem Haus Verlass? Wie wird eigentlich entschieden? Mit mir, ohne mich und was ist, wenn ich nicht mehr entscheiden kann? Gibt es für solche Fragen in allen Häusern verlässliche Verfahren, die sicherstellen, dass die Perspektive des Patienten nicht untergeht, sondern repräsentiert ist - erst recht, wenn sich dieser nicht mehr artikulieren kann?

Gerechtfertigtes Sparen?

Die Ethik muss auch den Unterschied zur ökonomischen Dominanz im Gesundheitssystem sichtbar machen. Wo gespart wird und was gespart wird ist eben nicht allein eine Frage, die Geschäftsführer nach der Logik der Marktwirtschaft zu entscheiden haben, sondern eine, die sich ethisch zu rechtfertigen hat angesichts des Versorgungsauftrags. Auch sind beispielsweise Prozesse der Privatisierung von Gesundheitseinrichtungen zu hinterfragen: Was muss getan werden, wenn der Unternehmensgewinn abgeschöpft wird, um etwa einen Sportverein zu sponsern? Was tun, wenn Ärzten verboten wird, auf gute Versorgungen in anderen Einrichtungen hinzuweisen, wenn Weiterbildung aus Kostengründen nicht möglich ist? Was tun, wenn notwendige medizinische und pflegerisch-therapeutische Maßnahmen aus Kostengründen (weil sie den Unternehmensgewinn schmälern würden) zu unterbleiben haben?

Wirklich relevant wird Ethik also erst als Prozess- und Organisationsethik. Sie ist dann konstituierender Bestandteil der Leistungserbringung. Ethik gehört in das Gesundheitssystem implementiert.

Der Autor ist

Professor für Palliative Care und OrganisationsEthik an der Fakultät für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung (IFF) der Universität Klagenfurt in Wien.

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