Werbung
Werbung
Werbung

Zum 50. Todestag des Jesuiten und Naturwissenschafters Pierre Teilhard de Chardin, der eine Brücke zwischen Evolutionstheorie und Glauben bauen wollte.

Friedrich Heer hat ihn 1958 einen "Denker der Zukunft" genannt, "eines Kosmos, der ein Prozess des Fortschritts, der Entwicklung" sei. Doch ist Pierre Teilhard de Chardin, der Jesuit und Naturwissenschaftler, dessen Bücher nach seinem Tod am Ostersonntag, dem 10. April 1955, Millionenauflagen erreichten, mit seinem angeblichen Fortschrittsoptimismus zu Unrecht vergessen angesichts von Irakkrieg und Terrorismus, von Menschen verachtender Globalisierung und Massenarbeitslosigkeit, von Hungersnöten und Aids, von Umweltzerstörung und verheerenden Naturkatastrophen?

Oder ist der Teilhard'sche Optimismus ein Missverständnis und die Evolution, wie er sie erforscht und beschrieben hat, kein Zuckerschlecken, sondern ein Kreuzweg? Ist Teilhard etwa heute aktueller denn je?

Halten wir fest: Teilhard de Chardin war kein naiver Träumer und kein oberflächlicher Futurologe, sondern ein weltweit anerkannter Naturwissenschaftler, der zwei Weltkriege sowie die russische, faschistische und chinesische Revolution miterlebt hat. Doch er war noch mehr. Als Geologe und Paläontologe, der die Frühgeschichte des Menschen vor allem in China und Afrika erforscht hat, war er von einem Fachwissenschaftler zu einem ganzheitlichen "Denker" geworden, der das Gesamtphänomen "Evolution" ins Auge gefasst und deren Voraussetzungen, Reichweite und Konsequenzen psychologisch, philosophisch und theologisch ausgelotet hat.

Tastendes Suchen

Dabei weitete Teilhard die Evolution und ihre Gesetzmäßigkeiten über den von Darwin erforschten biologischen Bereich aus auf das Werden des gesamten Universums mit dem Ergebnis: Es gibt keinen Grund zu einem naiven Optimismus. Denn die Entwicklung dieser Erde ähnelt schon im anorganischen Bereich mit seinen physikalischen und chemischen Naturgesetzen und auch in der Biosphäre mit den Evolutionsfaktoren Mutation und Selektion einem mühsamen "tastenden Suchen" mit vielen Irrwegen und Katastrophen. Das setzt sich verstärkt fort in der Noosphäre, dem Bereich des vernunftbegabten Menschen, wo die entscheidenden Faktoren der Entwicklung die wissenschaftliche Forschung und die freie Elektion sind, das heißt das systematische "tastende Suchen" und die Wahl unter verschiedenen Möglichkeiten. Dabei ist die Fehlerquote, wie gerade die Gegenwart zeigt, auch bei bestem Wissen und Gewissen, erst recht durch absichtliches Fehlverhalten, enorm groß.

Trotzdem, und da liegt die Bedeutung Teilhards für unsere zur Resignation neigende Menschheit, ist die Zukunft nicht aussichtslos, unter der Bedingung, dass wir uns an den Gesetzmäßigkeiten orientieren, die Teilhard aus der bisherigen Evolutionsgeschichte erhoben hat.

Die erste Gesetzmäßigkeit ist ihre Gerichtetheit. Da die Evolution entgegen aller naturwissenschaftlichen Wahrscheinlichkeit den Menschen hervorgebracht hat, der sich durch die Fähigkeit zu Selbstbewusstsein, Selbstbestimmung und Selbsthingabe auszeichnet, zielt die Evolution mit hoher Wahrscheinlichkeit auf der Grundlage einer intakten Natur in Richtung von mehr Geist, mehr Freiheit und mehr Liebe. Deshalb stehen Materialismus und rüder Kapitalismus, Rassismus und Totalitarismus, Hedonismus und Sexismus im Widerspruch zur Zielsetzung der Evolution und wären von der Menschheit zu ächten.

Tendenz zur Vereinigung

Die zweite Gesetzmäßigkeit in der Evolution ist die Tendenz zur Vereinigung. Atome vereinigen sich zu Molekülen, Zellen zu Pflanzen, Tiere zu Herden, Menschen zu Gesellschaften, Staaten zu internationalen Gebilden. Nur so erreichen die Einzelwesen eine höhere Stufe der Entwicklung und mehr Lebensqualität. Deshalb sind Egoismus und Individualismus, Separatismus und Nationalismus Hindernisse für den Fortschritt der Menschheit.

Die heutige Globalisierung jedoch, deren Anfänge Teilhard noch erlebt hat, entspricht durchaus der Evolution, unter der Voraussetzung, dass die Einigungsbemühungen nicht gewaltsam erfolgen und nicht zur wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Vereinnahmung und Uniformierung führen.

Denn die dritte Gesetzmäßigkeit in der Evolution lautet, in Teilhards Worten: "Die Vereinigung differenziert". Die Elemente, die sich in einer der Evolution gemäßen Vereinigung zusammenschließen, werden dadurch nicht gemindert oder gar vernichtet, sondern werden im Gegenteil erst eigentlich sie selbst. Das beste Beispiel evolutionärer Einigung ist die zwischenmenschliche Liebe, wie sie auch Teilhard erfahren hat. Sie befreit, entfaltet und bereichert die Partner und erweckt die in ihnen liegenden schöpferischen Kräfte.

Schließlich stellte sich Teilhard als Philosoph und Theologe auch den so genannten letzten Fragen nach dem Ursprung der Materie und ihrer Antriebskräfte, nach der Herkunft der evolutionären Gesetzmäßigkeiten und nach dem Sinn der Evolution überhaupt, Fragen, von denen der Naturwissenschaftler abstrahiert oder die er durch Hypothesen wie "Urknall" und "Selbstorganisation" nur vordergründig beantwortet. Nicht so Teilhard.

Freilich wird auch für Teilhard durch die Evolution nichts hervorgebracht, was nicht schon von Anfang an in der Materie angelegt ist. Deshalb muss diese immer schon mit dem, was den Menschen als die Spitze der Evolution auszeichnet, mit der Potenz des Geistes, der Freiheit und der Liebe, wenigstens keimhaft begabt sein. So erweist sich die evolutionäre Materie als die "Äußerung" eines Geistes von solcher Mächtigkeit und Unergründlichkeit, dass die Religionen diesen Geist den "Gott" und "Schöpfer" nennen, der sich in seine Schöpfung hinein "entäußert" und der von mystisch begabten Menschen wie Teilhard auch erspürt worden ist.

Der kosmische Christus

Die Attraktivität des evolutionären Universums ist deshalb die Attraktivität ihres Schöpfers selbst, der seine Schöpfung nicht von außen, sondern von innen her bewegt. Er offenbart sich als ein der Schöpfung immanenter, diesseitiger Gott, der sie fortschreitend teilnehmen lässt an seiner Göttlichkeit. So kann Teilhard von der "heiligen Evolution" sprechen, deren symbolischer Ausdruck im Christentum der Glaube an die Weltwerdung Gottes in Christus ist, den Teilhard deshalb den "kosmischen Christus" nennt.

Doch der Schöpfer ist nicht nur ein "Gott der Evolution", sondern auch ein "Gott in Evolution". Aus Solidarität und Liebe hat er sich selbst den Gesetzen der Evolution unterworfen und nimmt Teil am mühsamen Werden der Schöpfung. Nicht nur, dass Gott die Ohnmacht und Begrenztheit erfährt, die in der Natur eines Geschöpfes liegt. Er erleidet auch die Ablehnung und Agressivität dessen, der sich in falscher Selbstbehauptung der Absicht des Schöpfers zur Vereinigung widersetzt und so nicht nur seine eigene Weiterentwicklung und Vergöttlichung behindert, sondern auch, wie die Mystik sagt, die "heilige Hochzeit", den "heiligen Austausch" zwischen Schöpfer und Geschöpf.

Das Kreuz der Evolution

Die Evolution ist deshalb eine Leidensgeschichte, ihr Weg ein Kreuzweg. Symbol dafür ist im Christentum das Kreuz Christi, nach Teilhard das Zeichen für "die Last einer Welt im Zustand der Evolution", zu der auch der Tod gehört.

Doch hat die Evolution auch Symbole für den Glauben an einen Fortschritt über die Schwelle des Todes hinaus hervorgebracht, so im Christentum die Auferstehung Christi als Zeichen für eine neue Phase der Evolution, für die Vollendung des "Reiches Gottes".

Die Aufgabe des Christentums und aller Religionen wäre es demnach, den Menschen statt Jenseitsfrömmigkeit Weltfrömmigkeit zu lehren, den Dienst an der Entwicklung der Welt als Gottesdienst vorzustellen, die Schwierigkeiten der Evolution als den eigentlichen Kreuzweg zu verkünden, den wir gehen sollten in dem Bewusstsein: Wir gehen ihn nicht allein, die größere "Last einer Welt im Zustand der Evolution" trägt Gott selbst, der "Evolutor", wie Teihard ihn genannt hat. Das ist der eigentliche Grund für Teilhards Optimismus. Diese Botschaft Teilhards ist aktueller und notwendiger denn je.

Der Autor ist freier Schriftsteller und lebt bei München.

Ein Gott im Wandel. Teilhard de Chardin und sein Bild der Evolution

Von Günther Schiwy. Patmos Verlag, Düsseldorf 2001. 271 Seiten, kt. e 25,60

Eine heimliche Liebe Lucile Swan und Teilhard de Chardin

Von Günther Schiwy. Verlag Herder, Freiburg 2005. 224 Seiten, geb. e 20.50

VERANSTALTUNGSTIPP:

Mit der Kirchlichkeit Teilhards und den Konflikten dabei (er durfte zeitlebens den Großteil seiner Schriften nicht publizieren) beschäftigt sich ein Seminar in Wien.

Teilhard de Chardin - Ein Leben in der Kirche. Vortrag von Günther Schiwy. Freitag, 3. Juni, 19 Uhr

WAS IST KIRCHLICHKEIT? Seminar mit Boris Repschinski/Innsbr., Josefine Heyer/ Bad Homburg, Hadwig Müller/Aachen.

Samstag, 4. Juni, 9 bis 17 Uhr 30

Ort: Kardinal-König-Haus Wien-Lainz.

Infos: www.kardinal-koenig-haus.at

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung