"Heilige Unverschämtheit"

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Er war 20 Jahre beim Opus Dei und mit dem Gründer eng befreundet. Doch 1955 verließ Miguel Fisac Serna das Werk. Im Gespräch erzählt Fisac über Escrivá und seine Erfahrungen mit dem Opus Dei.

Miguel Fisac Serna, 89 Jahre alt, ist das einzige noch lebende Mitglied des Opus Dei, das die Gründungsphase vor dem Spanischen Bürgerkrieg miterlebte. 20 Jahre - 1935 bis 1955 - war der erfolgreiche Architekt und Kirchenbauer Mitglied des Werkes. Als einer der ersten besaß er ein Auto und war Chauffeur des Gründers, mit dem er durch Spanien reiste. Er war auch der Gestalter der ersten Ausgabe von Josemaría Escrivás Hauptwerk "Camino" ("Der Weg" - eine Sammlung von 999 Aphorismen und Weisheiten). Nach seinem Ausscheiden aus dem Opus Dei hatte Fisac es nach eigener Aussage schwer, denn unter Franco waren Opus-Dei-Mitglieder und -Sympathisanten in einflussreichen Positionen.

Die Furche: Welche Bilanz ziehen Sie, wenn sie auf die 20 Jahre zurückschauen, die Sie beim Opus Dei waren?

Miguel Fisac Serna: Was uns Josemaría Escrivá in den dreißiger Jahren sagte, erschien mir als jungem spanischen Katholiken - ganz besonders vor dem II. Vatikanum - als etwas ganz Neues. Er hatte ganz neue Ideen, was die Rolle der Laien in der Kirche betraf. Doch schließlich machte Escrivá daraus das ganze Gegenteil von dem, was das Opus Dei anfangs war. Ich erinnere mich: Er lächelte oft über Ordensfrauen, die für Kranke, alte gebrechliche Menschen und Prostituierte da sein wollten und deren Aktivitäten - wie er sich ausdrückte - damit endeten, dass sie Eliteschulen für die Kinder der Reichen betrieben. Aber genau das tut das Opus Dei heute auch!

Ich würde sagen, ich war für das Opus Dei interessant, weil ich Geld hatte. Das erste Geld des Opus Dei stammte von mir. Damals waren wir in meiner Studienrichtung auf der Universität gerade 10 Studenten, der Spanische Bürgerkrieg war zu Ende. Ich plante zusammen mit einem Kollegen die 22 Gebäude des "Consejo de Investigaciones cientificas" (Rat zur wissenschaftlichen Untersuchung). Ich hatte also gute Einkünfte. Und: Ich hatte eine Leidenschaft für die Architektur, es war eine Droge, ich arbeitete, um das, was ich im Bürgerkrieg erlebt hatte, zu vergessen. Obwohl ich Mitglied des Opus Dei war, konnte ich mich nicht mit dem Missionseifer anfreunden. Das akzeptierte man auch! Als ich ihnen nach Jahren aber endlich sagte: "Ich will und kann nicht mehr", ließen sie nicht locker und ich wurde Opfer dessen, was Escrivá in seinem Hauptwerk "Camino" im Aphorismus 389 schreibt: der heiligen Unnachgiebigkeit, des heiligen Zwangs und der heiligen Unverschämtheit.

Die Furche: Wie würden Sie die Persönlichkeit Josemaría Escrivás beschreiben, was für ein Mensch war er?

Fisac: Er war davon überzeugt, dass Gott ihn dazu auserkoren hatte, eine wichtige Sache zu schaffen. Er war ein scharfer Kritiker aller derjenigen, die er nicht zu den Seinen zählte. Und eines sage immer wieder: Ich habe ihn nie gut über irgendjemanden reden hören. Er war allerdings äußerst eloquent, ein guter Redner. Und - er konnte die Menschen faszinieren und lenken. Nie redete er Unsinn! Er ging seinen Weg, tat das, was er glaubte, was ihm angeblich von Gott aufgetragen war. Ich würde zwar sagen, dass sein Bildungsniveau mittelmäßig war, desgleichen seine Intelligenz, hervorragend war allerdings seine Gewandtheit im Umgang mit den Menschen.

Die Furche: Sie wurden weder während des Seligsprechungs- noch während des Heiligsprechungsprozesses zur Anhörung aufgerufen, obwohl sie das letzte lebende Mitglied aus der Zeit vor dem Spanischen Bürgerkrieg sind, das Josemaría Escrivá lange Zeit begleitete. Fürchtete man sich vor ihrem Zeugnis?

Fisac: Nun, wie ich sagte, er verlor nie ein gutes Wort über die Leute um ihn. Dabei bleibe ich. Und: Die gesamte Spiritualität des Opus Dei reduziert sich auf Regeln und Abläufe, die er erfunden hatte. Etwas, was ich besonders schlimm finde, ist die Selbstgeißelung, dieses Leiden am Leib. Die Mutter des Gründers hat mir oft erzählt, dass sie Angst um ihren Sohn hat, so sehr quälte er sich. Diese körperliche Abtötung ist eine schlimme Sache!

Denn die wahre Tugend des Christen ist die Geduld, die Selbstgeißelung verursacht Hochmut: Der psychische Mechanismus funktioniert so: Ich bin ein Heiliger, denn ich leide für Jesus Christus. Das ist allerdings ein Irrtum, ein Kurzschluss - sich zu geißeln und dann zu glauben, man sei auf dem Weg der Heiligkeit!

Die Furche: Es wird immer wieder über das Verhältnis von Josemaría Escrivá zum Diktator Franco spekuliert. Sie sind Zeitzeug: Wie war das im Spanischen Bürgerkrieg, welches Verhältnis hatte Escrivá zu Franco und überhaupt zu Politik?

Fisac: Unnötig zu erwähnen, dass er sich - allerdings eher in allgemeinen Worten - über Politik äußerte und dabei die Linken verurteilte, obwohl er sich - wenn es was zu lernen gab - sehr wohl dieses und jenes abschaute, ich denke an die liberale Erziehung der "Institución Libre de Enseñanza" (freie Erziehungsinstitution, liberale Ende des 19. Jahrhunderts von Giner de los Ríos gegründete Bewegung, in der der Dichter Federico García Lorca aktiv war, Anm.), so etwas Ähnliches wollte auch Escrivá, allerdings katholisch bestimmt.

In die Politik wollte er sich nicht einmischen. Er ging seinen ganz eigenen Weg! Gut, er wollte Francisco Franco kennen lernen, das gelang ihm auch. Franco und seine Frau nahmen an den Exerzitien teil, die Escrivá für sie allein gab. Auch für Carrero Blanco (war von Franco als Nachfolger vorgesehen, wurde aber von der baskischen Separatistenorganisation ETA ermordet, Anm.), damals war ich selbst dabei!

Die Furche: Wie erging es ihnen, als sie das Opus Dei verließen?

Fisac: Als ich das Opus Dei verließ war ich ein bekannter Architekt, sogar in den Schulbüchern der Gymnasien in der Vorbereitung auf die Reifeprüfung wurde ich als Beispiel genannt. Als ich austrat, begannen Briefe zu zirkulieren, in denen aufgefordert wurde, für meine Seele zu beten. Ich sei mit einem Fuß in der Hölle, hieß es. Das ist Teil des "heiligen Zwangs" wie es im "Camino" angedeutet wird. Dann wurden die Leute beeinflusst, die meine Auftraggeber waren, und dann kam der Moment, als ich plötzlich keine Aufträge mehr erhielt, ich war arbeitslos! Ich musste zusperren und Angestellte entlassen, mit denen ich 20 Jahre zusammen gearbeitet hatte. Ich musste ein Haus am Meer verkaufen, damit ich irgendwie weitermachen konnte. Die Leute von Opus benahmen sich wie meine Feinde.

Die Aufträge an mich als Architekt wurden immer weniger, es hieß, Herr Fisac, es tut mir leid, ich kann ihnen den Auftrag für diese Renovierung nicht mehr erteilen: das war ein Gefallen an die, die mir das Leben zur Hölle machen wollten.

Der Autor gestaltete für die ORF-Religionssendung "Kreuz + Quer" eine Dokumentation über Escrivá.

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