HEILSBRINGER auf schwerer Mission

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Der neue Präsident Indonesiens, Joko Widodo, wird als "Obama" seines Landes verehrt. Doch schon nach wenigen Wochen zeigt sich Skepsis.

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Der neue Präsident Indonesiens, Joko Widodo, wird als "Obama" seines Landes verehrt. Doch schon nach wenigen Wochen zeigt sich Skepsis.

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Gut zwei Monate ist es her, dass Joko Widodo, den alle nur "Jokowi" nennen, zum neuen Präsidenten Indonesiens gewählt wurde. Am 20. Oktober hat er offiziell sein Amt angetreten. Was wurden nicht für Lobeshymnen auf ihn angestimmt: Popstar, der Komet am asiatischen Himmel, Indonesiens Obama. Kein Begriff schien zu groß, um den atemberaubenden Aufstieg des Politikers zu beschreiben. Jokowi, Sohn eines Schreiners, ist weder ein Mann der Armee noch ein Spross der Dynastien, die das Land jahrzehntelang beherrschten. Der 53-Jährige gilt als Anti-System-Politiker, als unkorrumpierbarer Volkstribun. Im Gegensatz zu anderen Politikern gibt sich der bekennende Heavy-Metal-Fan volksnah und jovial. Das macht ihn so beliebt, und deshalb wurde er gewählt. Jokowis Porträt prangt bereits in den Amtsstuben, in Museen hängt es in einer Ahnengalerie mit den Amtsvorgängern. Auf Plakaten lächelt er milde. Doch wie sieht die Lage auf dem Land aus, fernab der Hauptstadt Jakarta?

Kritische Fragen in der Idylle

Balige, eine Kleinstadt am Toba-See, dem größten Kratersee der Welt. An diesem Morgen findet die Eröffnung des Lake-Toba-Festivals statt. Die Sonne spiegelt sich im tiefblauen Wasser, weiße Wolken kleben über den Bergkämmen. Frauen in knallbunten Kostümen führen traditionelle Batak-Tänze auf, der Gouverneur der Region hat ein paar warme Worte im Gepäck. Europäische und asiatische Journalisten sind geladen, der stellvertretende Tourismus-Minister ist extra aus Jakarta angereist. Der Toba-See soll als touristische Destination gefördert werden. Es soll eine schöne PR-Veranstaltung für die ausländischen Gäste werden. Doch es kommen kritische Fragen auf. Im See wird extensive Fischzucht betrieben, die Gewässer sind verschmutzt. Kann man darin baden? Die Politiker weichen aus.

Tiopan Bernhard Silalahi, ein ehemaliger General, der unter Suharto als Verwaltungsminister diente und den Ex-Präsidenten Yudhoyono beriet, hat sich, wenig bescheiden, ein eigenes Museum am Veranstaltungsort errichtet. Zu den Exponaten gehören eine Stretch-Limousine, schicke Sonnenbrillen und eine Reihe Schnellfeuergewehre. Die politische Klasse ist hoffnungslos korrupt. Am Morgen sieht man in einem Hotel in Parapat Militärs mit blankgeputzten Schuhen und blitzenden Abzeichen auf ihren Uniformen. Welch Kontrast zu Balige! Die Menschen leben dort in einfachsten Verhältnissen. Eine Marktfrau kann einen 500.000-Rupiah-Schein (ca. 8 Euro) nicht wechseln.

Männer mit sonnengegerbten Gesichtern entschuppen Fische, ein Baby liegt auf einem Wickeltisch hinter getrockneten Fischen, dahinter ist eine Müllhalde. Die Bewohner betreiben Subsistenzwirtschaft, kultivieren Kaffee oder Ananas. Laut Weltbank-Daten lag das Pro-Kopf-Einkommen 2013 bei 3475 Dollar, etwas höher als in Ägypten und im Kongo. Zum Vergleich: Im Nachbarland Malaysia ist das Einkommen mit 10.500 Dollar dreimal so hoch.

Die Straßen sind übersät mit Schlaglöchern, überladende Fuso-Transporter brausen in halsbrecherischen Überholmanövern über die holprige Piste. Investitionen in die Infrastruktur sind bitter nötig, will man Sumatra zu einer Tourismusdestination aufwerten und den Industriestandort stärken. Der Sprit kostet umgerechnet nicht mal 30 Cent pro Liter, er wird mit 30 Milliarden Dollar pro Jahr subventioniert. Die Subventionen reißen ein riesiges Loch in die Kassen -und sind langfristig eine Hypothek für den Staatshaushalt. Auf dem Weg von Parapat in die Provinzhauptstadt Medan ziehen Kautschuk-und Palmölplantagen vorbei, die Luft wird mit jedem Meter schwüler und stickiger. Die Provinz Nordsumatra ist der wichtigste Produzent von Palmöl. Daraus werden Margarine und Kosmetika wie Lippenstift, Shampoo und Seife gewonnen. Ein lukratives Geschäft. Indonesien verdient damit 5,7 Milliarden Dollar jährlich. Der Export von Palmöl macht elf Prozent der gesamten Ausfuhren aus. Und die globale Nachfrage wächst stetig. 50 Millionen Tonnen Palmöl werden Jahr für Jahr verarbeitet. Der World Wildlife Fund schätzt, dass sich der Bedarf bis 2020 verdoppeln wird. Unilever investiert 100 Millionen Dollar in eine neue Palmöl-Plantage. Was interessieren Einwände, wenn das Geschäft lockt?

Der Himmel ist diesig an diesem Tag, es riecht verbrannt. Der Wind hat Rauchschwaden aus Sulawesi nach Sumatra geblasen. Auch auf Sulawesi wird in großem Stil Brandrodung betrieben, um Anbauflächen für Palmöl zu gewinnen. Auf dem Flug von Singapur nach Medan eröffnet sich ein atemberaubendes Urwaldpanorama, saftig grün, doch dazwischen sieht man immer wieder gerodete Flächen. Der Urwald, die Heimat von Orang-Utans und anderen bedrohten Arten, muss für die cash crops weichen. Das ist die krude kapitalistische Logik. Jahrzehntelang wurden in Indonesien Wälder abgeholzt -illegal.

Raubbau an den Wäldern

Edelhölzer wie Mahagoni oder Teak, die zu Möbeln verarbeitet in europäischen Wohnzimmern stehen. Es ist die Methode Kahlschlag. Allein 2012 wurden in dem Inselstaat 840 000 Hektar Wald gerodet, eine Fläche doppelt so groß wie Luxemburg. Laut einer jüngsten Studie im Fachblatt Nature Climate Change verzeichnet Indonesien in diesem Jahr die höchste Entwaldungsrate der Welt, weit vor Brasilien. Jokowi hat im Wahlkampf ein Aufforstungsprogramm angekündigt.

Die nächste große Baustelle ist die Dezentralisierung, ein Projekt, das seit Jahrzehnten mal mehr oder weniger ambitioniert verfolgt wird. Indonesien ist ein Riesenreich von über 17.500 Inseln, das sich von Banda Aceh auf Sumatra bis nach Neuguinea erstreckt, über 5000 Kilometer von West nach Ost, vergleichbar der Entfernung von Paris nach Nowosibirsk.

Medan, mit 2,2 Millionen Einwohnern die drittgrößte Stadt Indonesiens, kündigt sich mit Slums an. Verdreckte Kanäle, baufällige Hütten. Medan ist ein Moloch. Mopeds knattern über die Straße, Becaks, Fahrradtaxis, schlängeln sich durch den heillos verstopften Verkehr. In Schnellrestaurants am Straßenrand löffeln die Leute Bakso, eine Fleischklößchen-Suppe. Es ist tropisch heiß, Dieselmief und Smog verpesten die Luft.

Blutige Massaker unter Suharto

Medan war zwischen 1965 und 1966 der Schauplatz eines brutalen Massakers. General Suharto hatte sich 1965 an die Macht geputscht und machte Jagd auf Kommunisten und chinesisch-stämmige Einwanderer. Wie im Blutrausch mordeten paramilitärische Einheiten. Mindestens 500.000 kamen in der "Saison der Hackmesser" ums Leben, Schätzungen gehen von bis zu drei Millionen Opfern aus. Es ist eines der dunkelsten Kapitel der indonesischen Geschichte und historisch kaum aufgearbeitet. Abends in Medan, auf der Terrasse des noblen Santika-Hotels. Die beiden Tour-Guides Adit und Dody trinken Bintang-Bier und rauchen Kette. "Jokowi war Bürgermeister von Solo", erzählt Dody. "Anders als die etablierten Politiker fuhr er einen kleinen Dienstwagen. Dann kam er nach Jakarta und wurde Gouverneur. Und wir dachten alle: Wow, was für ein bescheidener Mann! Und ich habe ihn gewählt." Es scheint, als habe Dody diese Entscheidung inzwischen bereut. "Jokowi will viel verändern. Aber kann es nicht."

Als Aburizal Bakrie, einer der einflussreichsten Politiker des Landes, Mitglied der neuen Regierung werden wollte, wandte er sich nicht an Jokowi, sondern an die Parteichefin Megawati Sukarnoputri. Gegenkandidat Prabowo machte im Wahlkampf mit genau diesem Argument Stimmung.

Joko Widodo hat hohe Erwartungen in Indonesien geweckt. Und an denen muss er sich am Ende messen lassen. Sonst könnte ihn dasselbe Schicksal ereilen wie den richtigen Obama.

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