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Heilung, Wohlstand, Supermarkt

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Gehört in 20 Jahren jeder dritte Afrikaner einer Heilungskirche an und jeder zweite Lateinamerikaner einer Pfingstkirche? Der religiöse Weltmarkt fordert traditionelle Kirchen heraus.

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Gehört in 20 Jahren jeder dritte Afrikaner einer Heilungskirche an und jeder zweite Lateinamerikaner einer Pfingstkirche? Der religiöse Weltmarkt fordert traditionelle Kirchen heraus.

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In vielen Analysen der geistigen Situation wird das Schlagwort vom „religiösen Supermarkt” zitiert. Ob ein Erstarken von Religiosität oder der Sehnsucht danach zu vermerken ist, kann sozialwissenschaftlich nicht eindeutig belegt werden.

Tatsache bleibt, daß die institutionellen Kirchen Europas sich schwertun, ihre Angebote und Ansprüche auf Sinnstiftung wie früher aufrechtzuerhalten. Jedenfalls ist ein unüberschaubarer Markt des Religiösen entstanden, auf dem sich die traditionellen Formen zu bewähren haben.

Vor allem mystische Erfahrungen suchen wenige in den Großkirchen. Daher wird der Einkaufskorb auf dem „religiösen Basar” auch mit der „Magie des Alltags” gefüllt. Dies konstatiert der Sektenbeauftragte der Schweizer Bischofskonferenz, Joachim Müller. Müller beobachtet, wie derartige „Schattenreligiosität” zunächst spielerisch verstanden wird, bald aber durch feste Rituale im Alltag existentiell verwurzelt ist. Die Phänomene des neuen Satanismus, der vor allem unter Jugendlichen Anklang findet, sind hier angesiedelt.

Müller beschreibt auch das neu erwachte Bedürfnis nach Exorzismus und Austreiben böser Geister, das auch in charismatischen Gruppen christlicher Konfessionen gestillt wird. Globalisierung der Kommunikationsmittel habe jedoch überhaupt zu verstärkter Konfrontation der Europäer mit anderen Religionen geführt: Nicht nur die Weltreligionen sind damit angesprochen, obwohl in Europa zur Zeit gerade hinduistische und islamische Präsenz verstärkt sichtbar ist. Auch afrikanische und lateinamerikanische Religiosität sind, so Joachim Müller, im Kommen. Schließlich erwähnt der Schweizer Sektenexperte auch das Aufkommen neugermanischer, oft rechtsextremer Kulte und ein Zunehmen der Faszination des Okkultismus.

Müller war einer der Referenten der diesjährigen Missionsstudientagung, die Anfang Juli in St. Gabriel bei Mödling stattfand. Sein Resümee: Angesichts des reichen Angebots religiöser Anschauungen gebe es großen Nachholbedarf der katholischen Kirche an zeitgemäßer Verkündigung.

Heilung gehört zum Auftrag an die Kirche

Die Unübersichtlichkeit im Religiösen ist kein europäisches Phänomen. „Religiöser Markt”existiert in beinahe allen Gesellschaften und ist - in unterschiedlicher Weise - zur Herausforderung der Kirche geworden -und auch für Europa von Relevanz.

Stuart M. Bäte, Pastoraltheologe in Südafrika, beleuchtete in Mödling das Entstehen von Heilungskirchen in der christlichen Landschaft Südafrikas: In den achtziger Jahren ging die Zahl der Mitglieder in den großen Konfessionen von zwölf auf neun Millionen zurück, während die Anhängerschaft von „Heilungskirchen” von 5,6 auf 6,9 Millionen stieg. Diesen Zulauf beschreibt Bäte als Folge der „kranken Gesellschaft”, die von der Apartheid erzeugt worden war. Bedürfnis nach Heilung ist aber darüber hinaus eine Sehnsucht, die allen Menschen innewohnt. In Südafrika reagieren die großen Kirchen langsam auf diese Herausforderung, indem Heilungsgottesdienste oder Kranken-Salbungen forciert werden.

Bäte sieht die Situation seiner Ortskirche als Beispiel für die Welt: „Heilung ist ein wesentlicher Teil der kirchlichen Mission, so wie sie ein wesentlicher Teil der Mission Jesu war.” Das sollte auch in der Kirche wieder bewußt werden, denn: „Zur Zeit scheint der Heilungsauftrag nur am Rande der Kirche Gewicht zu haben.”

Der Markt ist das Ziel

Einen anderen Aspekt des globalen religiösen Marktes zeigte der brasilianische Religionspsychologe Edenio Valle auf. Valle beschrieb den Aufstieg der 1977 gegründeten Pfingstkirche „Universale Kirche des Gottesreiches”, die mittlerweile weltweit tätig ist und laut eigenen Angaben acht Millionen Mitglieder hat. Diese Kirche verkündet die Ejreichung von Wohlstand als Gottes Ziel für die Menschen. Um Segen zu erlangen, ist finanzielle Unterstützung der Kirche notwendig, deren Gründer „Bischof” Macedo mittlerweile in Florida lebt.

Charakteristisch für diese Kirche ist ihre Verwurzelung in den Urbanen Gebieten und die aggressive Anwendung aller Kommunikationsmittel: Grelle Leuchtreklame und ein eigenes TV- und Radionetz gehören ebenso zu den Charakteristika wie Anmieten von Fußballstadien für Gottesdienste, die auch gefüllt werden. Die ständige Präsenz dieser Kirche in der Öffentlichkeit führt, so Edenio Valle, zu einem enormen Bekanntheitsgrad. Zusätzlich werde durch Übernahme traditioneller Formen - wie der Einsatz von Trance bei den Gottesdiensten ,- Attraktivität erreicht.

Eine Gruppierung wie diese „Kirche” ist für Edenio Valle deswegen so problematisch, weil sie eine „Sakrali-sierung des Marktes” ohne theologische oder ethische Basis betreibt. Eine Option für die Armen, wie sie von den etablierten Kirchen in Brasilien verkündet wird, lehnt die „Universale Kirche” ab, Bischof Macedo macht sich in dieser Hinsicht sogar über den Papst lustig. Abgesehen davon, daß sich eine „neoliberale Kirche” wie die dargestellte auch in anderen Teilen der Welt breitmacht, ist für den Religionspsychologen Valle die Herausforderung für die Kirche, sich mit den Mechanismen des Marktes und seiner Vergötzung auseinanderzusetzen.

Religion als Selbstbedienungsladen

Anderes berichtete der Ethnologe und Theologe Peter Knecht, der im japanischen Nagoya lehrt. Auch dort herrscht religiöser Markt; die Japaner „bedienen” sich zu verschiedenen Lebenszeitpunkten und in unterschiedlichen Situationen der Angebote des Buddhismus, Shintoismus, Konfuzianis-mus, aber auch des Christentums. In diesem Umfeld entstanden und entstehen viele „Neue Religionen”, die Elemente traditioneller Gläubigkeit aufnehmen und persönliche Erfüllung versprechen. Oft umgeben sich diese Organisationen mit dem Mantel der Wissenschaftlichkeit und operieren mit japanischem Nationalismus.

Auch Peter Knecht betont eine universale Herausforderung für die Kirche durch die von ihm geschilderte Situation: Zum einen müsse der Eurozentrismus der Kirche hinterfragt werden, sonst hat die Kritik am japanischen Nationalismus dortiger religiöser Bewegungen kaum Berechtigung. Außerdem müsse wirkliche Inkulturation geschehen: „Präsentiert sich das Christentum nicht, indem es hier und da bestimmte Gebräuche zwar übernimmt, aber Denken und Fühlen der Leute, auf denen diese Gebräuche entstanden sind, mißachtet und dafür eine Gleichschaltung an westliches Denken praktiziert?”

Nicht nur für den Referenten Peter Knecht, auch für andere Teilnehmer blieb diese Frage eine rhetorische.

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