"Heimat in der Fremde"

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Mit drei Millionen Quadratkilometern ist das "Apostolische Vikariat Arabien" eine der weltgrößten kirchlichen Verwaltungseinheiten. Vor kurzem wurde der Schweizer Kapuziner Paul Hinder, 62, zum neuen Bischof für Arabien ernannt. Ein Gespräch über das Leben von Christen im Zentrum des Weltislam.

Die Furche: Das Apostolische Vikariat Arabien ist eine der größten Diözesen der Welt und auf Grund ihrer Bevölkerungsstruktur eine Herausforderung.

Bischof Paul Hinder: Das Gebiet ist unglaublich großräumig. Es ist drei Millionen Quadratkilometer groß und umfasst die Vereinigten Arabischen Emirate, Katar, Bahrain, Oman, Saudiarabien und Jemen. Seit Beginn der Erdölförderung in den 1970er-Jahren ist die Bevölkerung auf ca. 42,5 Millionen Menschen angewachsen. In einigen Gebieten leben mehr als 80 Prozent Ausländer. Offiziell spricht man von ca. drei Prozent Katholiken. Auf Grund der hohen Gastarbeiterrate aus Indien, Korea und den Philippinen schätze ich den Prozentsatz der Christen in einigen Gegenden wie etwa in den Vereinigten Emiraten aber auf bis zu 30 Prozent.

Die Furche: In allen Ländern Ihres Vikariats ist der Islam Staatsreligion. Wie sieht es mit der Religionsfreiheit der Christen aus?

Hinder: In den Emiraten geht es uns Katholiken relativ gut. Der im November verstorbene Staatsgründer Scheich Zayid hat uns den nötigen Raum zur Verfügung gestellt, er hat erlaubt, dass wir Kirchen bauen. Innerhalb unserer Liegenschaften können wir unsere Riten pflegen. Die Kultusfreiheit ist damit territorial beschränkt. Religionsfreiheit in unserem Sinn gibt es nicht. Konversionen sind nur einseitig möglich. Ich sehe uns Christen dennoch nicht als Verfolgte. Die Kontakte und Beziehungen zu den offiziellen Stellen sind korrekt. Wir erfreuen uns im Rahmen der hier geltenden Regeln einer relativen Freiheit - ausgenommen Saudiarabien: Dort gibt es keine Religionsfreiheit. Die Zahl der Katholiken dort wird auf eine Million geschätzt.

Die Furche: Die Christen Arabiens sind zu fast 100 Prozent Ausländer.

Hinder: Wir sind eine reine Immigrantenkirche. In unserer Kirche finden die Gastarbeiter "Heimat in der Fremde". Es sind Menschen aus verschiedenen Kulturen und Völkern, deren Glauben durch eine unverbrauchte Spontaneität und Ausdrucksfreude geprägt ist. Allein in Dubai kommen die Gläubigen aus mehr als 100 Ländern. Ich erlebe diese Vielfalt als erfrischend - und auch als konfliktträchtig - es kann zum Streit um Räumlichkeiten und Priester kommen.

Die Furche: 1854 wurde die katholische Mission in Aden, im heutigen Jemen, errichtet, seit 1889 heißt sie "Apostolisches Vikariat Arabien". Mission ist aber ein heikles Thema.

Hinder: Mission unter Muslimen ist prinzipiell untersagt. Wir halten uns auch strikt daran. Umgekehrt gibt es natürlich viele verlockende Gründe, warum Christen zum Islam konvertieren sollen: Ich will nicht schönreden, dass Christen in islamischen Ländern Bürger zweiter Klasse sind. Immigranten haben auf der arabischen Halbinsel nicht die gleichen Rechte und wirtschaftlichen Vorteile wie die Einheimischen - es sei denn, sie konvertieren zum Islam.

Die Furche: Die 21 teilweise riesigen Pfarren Ihres Vikariats werden von 45 Priestern betreut, die durch die liturgischen Dienste gebunden sind. Wie sieht es mit karitativen Einrichtungen aus?

Hinder: Das ist ein sehr wunder Punkt. Unsere Möglichkeiten sind sehr beschränkt, weil Institutionen dieser Art hier nicht möglich sind. Wenn aber zum Beispiel ausländische Frauen zur Prostitution verlockt oder Leute von Menschenhändlern und Schlepperagenturen ins Land geschleust werden, wenn Löhne nicht ausbezahlt und andere gravierende Rechte verletzt werden, dann sind die Pfarren für die Betroffenen oft die erste Anlaufstelle. Hier kann individuell geholfen werden. Die Schuld möchte ich aber nicht allein den Leuten hier in die Schuhe schieben: Gerade Schlepperorganisationen haben ihren Sitz meist in Indien, Pakistan oder Osteuropa - die Probleme tauchen überall dort auf, wo die Wirtschaft boomt.

Die Furche: Betreibt die katholische Kirche eigene Schulen?

Hinder: Nur vier - in Bahrain, Fujairah, Dubai und Abu Dhabi. Die Lehrkräfte sind Laien. Wir betreiben sie nicht in missionarischer Absicht, sondern wollen den Kindern einfach eine gute Ausbildung bieten. Unsere Schulen haben einen sehr guten Ruf und werden zum Teil auch von Kindern der Herrscherfamilien besucht. Der Religionsunterricht ist klar geregelt und wurde vom Staat mit drei Wochenstunden festgelegt. Die Muslime erhalten ihren Unterricht, die christlichen, meist katholischen Kinder ihren eigenen. Hindus und andere haben eine Art "Lebenskunde". Für die katholischen Kinder, die eine andere Schule besuchen, findet der Religionsunterricht in den Pfarren statt und wird von Laien abgehalten.

Die Furche: Überhaupt sind die Laien auf Grund der Distanzen und dem Mangel an Priestern wichtig.

Hinder: Die Lebendigkeit der Pfarren verdanken wir zum Großteil sehr engagierten Laien. In der Erstkommunion- und Firmvorbereitung sind wir komplett auf ihre Hilfe angewiesen.

Die Furche: Der Sonntag ist in islamischen Ländern ein Arbeitstag. Welche Auswirkungen hat das für Christen?

Hinder: Religionsunterricht sowie Erstkommunion- und Firmvorbereitung finden meist am Donnerstagabend und Freitag statt. Auch für die Erfüllung der Sonntagspflicht gilt hier eine andere Regelung: der Großteil unserer Gottesdienste findet an diesen beiden Tagen statt. Dabei ist Englisch die Hauptsprache, es gibt aber auch zahlreiche Messen in Arabisch, Tamil, Malayalam und anderen Sprachen. Beeindruckend ist die Zahl der Menschen, die kommt, und die Art, wie sie ihren Glauben ausdrücken. Manche Messen werden regelrecht gestürmt: So fasst die Marien-Kirche in Dubai 2000 Menschen. Am Gründonnerstag waren 30.000 bei der Abendmahlfeier!

Die Furche: Was bereitet Ihnen besondere Sorge?

Hinder: Wir haben eindeutig zu wenig Pfarren und Priester und damit zu wenig Möglichkeiten der individuellen Seelsorge. Auch prinzipiell sind die Möglichkeiten, unseren Glauben zu leben, eingeschränkt. Das Problem des islamischen Fundamentalismus hat die Situation weiter verschlechtert. Es ist alles komplizierter geworden. Vor allem die beiden Irak-Kriege hatten für die Kirchen einen raueren Wind zur Folge. Die Einheimischen setzen "Christen" mit "Amerika" gleich - und die negativen Reaktionen bleiben nicht aus. Ein symptomatisches Erlebnis: Ein hoher Beamter fragte mich, wie der Papst zum Irakkrieg stehe. Ich war froh ihm sagen zu können, dass der Heilige Vater den Krieg in allen Phasen verurteilt hat. Es zeigt, wie sensibel die arabische Welt reagiert. Insgesamt ist der Wind rauer geworden.

Das Gespräch führte Maria Harmer.

Bischof für christliche Gastarbeiter in Arabien

Der 62-jährige Schweizer Kapuziner Paul Hinder ist der neue Leiter der katholischen Kirche auf der arabischen Halbinsel. Johannes Paul II. machte Hinder zum Nachfolger des aus Altersgründen zurückgetretenen Giovanni Bernardo Gremoli (78) mit dem Titel eines Apostolischen Vikars mit Sitz in Abu Dhabi. Seit Anfang 2004 war Hinder bereits Weihbischof unter Gremoli.

Von den 42,5 Millionen Menschen auf der Halbinsel Arabien sind etwa drei Prozent katholisch. Die meisten von ihnen sind Gastarbeiter aus asiatischen Ländern. Die Religionsfreiheit der Christen ist in einigen Ländern des Gebiets stark eingeschränkt, insbesondere in Saudiarabien. Hinder wird bei seiner Tätigkeit von 45 Priestern unterstützt.

Der neue Bischof von Arabien wurde 1942 im Kanton Thurgau geboren. Er studierte Philosophie und Theologie in Solothurn. 1966 legte er bei den Kapuzinern die Ewigen Gelübde ab, 1967 wurde er zum Priester geweiht. Paul Hinder wirkte zunächst als Seelsorger in Basel, promovierte dann in München und Freiburg und war dort bis 1972 für die Ausbildung der Kapuziner zuständig. Danach war er Kirchenrechts-Professor in Solothurn. Anschließend übernahm er Aufgaben in der Leitung seines Ordens. Ende 2003 ernannte ihn der Papst zum Weihbischof für Arabien, am 30. Jänner 2004 empfing er in Abu Dhabi die Bischofsweihe.

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