Helmut Krätzls neues Buch: Zur Rettung des Konzils

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Trotz Ernüchterung ermutigt Bischof Krätzl in seinem neuen Buch "Im Sprung gehemmt", die vom Konzil vorgezeichneten Wege weiterzugehen.

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Trotz Ernüchterung ermutigt Bischof Krätzl in seinem neuen Buch "Im Sprung gehemmt", die vom Konzil vorgezeichneten Wege weiterzugehen.

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H elmut Krätzl hat seine Leidenschaft nicht eingebüßt. Obwohl er in 21 Bischofsjahren erleben mußte, daß die Kirche "viel von ihrem Glanz verloren" hat, schreibt er sich in seinem neuen Buch von der Seele, was ihn dazumal begeisterte, und was heute davon übriggeblieben ist.

Dazumal - damit ist das Zweite Vatikanische Konzil gemeint, welches Krätzl prägte, und das er als Konzilsstenograph aus der Nähe miterlebte.

Die Stoßrichtung des Buches ist im Titel skizziert: "Im Sprung gehemmt" - so charakterisiert der Bischof die Entwicklungen. Es wurde ihm klar, schreibt Krätzl, "daß Rom den nachkonziliaren Weg, gleichsam den Sprung nach vorne, sichtlich bremsen will." Und er setzt hinzu: "Aber wer im Sprung gehemmt wird, kann nicht mehr umkehren, ist eher in Gefahr, abzustürzen."

Schon der Auszug aus dem Kapitel über die Liturgiereform, den die Furche vor zwei Wochen exklusiv abdruckte, vermittelte einen Eindruck von der Argumentation und der Kompetenz derselben, mit der Helmut Krätzl an die Darstellung der Entwicklungen beim und nach dem Konzil herangeht. Der Volltext des Buches vermittelt noch viel mehr die Leidenschaft, mit der er sich für ein Weiterführen des Konzils einsetzt. Was durch das Konzil verändert wurde, ist heute oft gar nicht mehr präsent, die Liturgie oder die Bibelwissenschaft, die bis 1960 in ein vormodernes Korsett eingesperrt war, wie es den Zeitzeugen von damals gerade noch bewußt ist.

Zeitzeugenschaft ist die eine Linie, welcher der Wiener Weihbischof folgt. Neben - spannend zu lesenden - biographischen Zugängen werden die wichtigsten Entwicklungen am Konzil und danach beschrieben: außer der Liturgie und der "Entdeckung" der Bibel, behandelt Krätzl die ungelöste Problematik (Priester-)Amt und Laien, Ehe, Empfängnisregelung, Religionsfreiheit, Ökumene, Kirche und Judentum - und geht auch auf die heute wohl schon schwer verständliche Fortschrittseuphorie ein, von der die Konzilsväter vielfach geprägt waren.

Zeuge und Anwalt Anwaltschaft für den Geist des Konzils - so lautet die zweite Linie, die Krätzl verfolgt: Präzise, oft durch kompetente Theologen belegt, zeigt er die Entwicklungen seit den siebziger Jahren auf, die - nicht nur in seiner Sicht - von Versuchen geprägt waren, das Begonnene zu bremsen. Auch österreichische Kirchengeschichte, die von den Bischofsernennungen nach 1985 an von derartigem Kurs geprägt war, wird im Licht der Hoffnungen, die sowohl der junge Priester als auch der Bischof Helmut Krätzl nach dem Konzil hatte, beleuchtet.

Schließlich faßt Krätzl seine Diagnose des nachkonziliaren Fortschritts-Stopps zusammen und deutet im abschließenden Resümee an, was der Kirche wieder auf die Sprünge helfen soll: Er spricht von gesellschaftlichen Veränderungen, denen sich die Kirche stellen müsse - eine Kirche, die mit der Menschheitssfamilie "unterwegs" sei, dürfe nicht zurückbleiben. Krätzl regt eine gemeinsame "Relektüre der Konzilstexte" an, und pocht immer wieder auf die Einbeziehung der Entwicklungsgeschichte dieser Texte, zumal die Aussagen des Konzils sowohl von den Konservativen als auch von den Liberalen zur Legitimation der eigenen Haltungen herangezogen werden.

Gegen die Polarisierung in der katholischen Kirche plädiert Krätzl für das Etablieren einer "versöhnten Verschiedenheit". Daß dabei die Spannung zwischen Theologie und Lehramt wieder fruchtbar werden muß, scheint klar zu sein. Doch gerade die Schilderungen Krätzls über die aufregende und innovative Rolle der Theologen auf dem Konzil rufen schmerzlich in Erinnerung, wie defensiv und unproduktiv disziplinierend die gegenwärtige Kirchenleitung mit der Theologie umgeht.

"Im Sprung gehemmt" ist kein bequemes Buch. Besonders Anhänger eines konservativen Kurses werden sich herausgefordert wissen. Krätzls Anliegen ist aber nicht die Provokation: Aus jeder Seite des Buches tritt vielmehr hervor, daß es ihm um die Rettung des Konzils geht, und daß er davon überzeugt ist, daß (trotzdem er auch Fehlentwicklungen zugesteht) der damit begonnene Weg der Kirche richtig ist.

Helmut Krätzls Erinnerungen, Analysen und Diagnosen sind im richtigen Augenblick erschienen; gerade den am "Dialog für Österreich" beteiligten Partei(ung)en ist die Lektüre nachdrücklich zu empfehlen: Eine Vergewisserung dessen, was mit den Strömungen und Anliegen des Konzils gemeint ist, könnte nicht besser in kurzer Form dargestellt werden. Die Empfehlung gilt auch für die am "Dialog" teilnehmenden Konzils-"Gegner", die in Krätzls Buch eine redliche Darstellung der Ausgangspunkte und Folgerungen derer finden, für die das II. Vatikanum noch lange nicht abgeschlossen ist.

Zusätzlich ist Krätzl anzurechnen, daß ihm die Darstellung in einer knappen, lebendigen und klaren Sprache gelingt: Gegen Ende des Buches listet er ein Anforderungsprofil für Bischöfe auf; unter anderem fordert er hier von geeigneten Bischofskandidaten überdurchschnittliche theologische Bildung.

Eigentlich sonderbar, daß er nicht hinzufügt: Gerade ein guter Hirte muß auch imstande sein, seiner Herde theologische Fragen verständlich und plausibel nahezubringen.

Daß er selbst dieser Anforderung genügt, beweist er mit seinem neuen Buch allemal.

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