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„Eine der besten Literaturzeitungen wäre die, welche stets 25 Jahre nach den Büchern erschiene“, schreibt Jean Paul in seiner „Vorschule der Ästhetik“ und sein Vorschlag hat etwas Verführerisches für eine Literaturredakteurin, die sich mitten im Hochsommer, bei 37 Grad Außentemperatur und angesichts eines Computers, der seine Tätigkeit ohne Vorwarnung und für immer beendet, Bergen von Büchern gegenübersieht, die sich Herbstneuerscheinungen nennen. In der Buchbranche ist der „Herbst“ kein astronomisches Datum, sondern ein absurdes, denn er hat im Sommer immer schon begonnen.

Weil das kein Naturgesetz ist, muss diese Tatsache für irgendjemanden von Vorteil sein – aber wie sehr und für wen, darüber kann trefflich gestritten werden und auch Autoren sind über das Erscheinen von ihren Büchern mitten im Sommer nicht unbedingt glücklich: Möglicherweise sind Bücher, die Ende Juli herauskommen, im Herbst schon vergessen, möglicherweise wandern sie aber durch den frühen Erscheinungstermin noch in die Sommerreisetaschen und von da aus weiter – wer weiß das schon. Spätestens, wenn eines Tages Herbstneuerscheinungen bereits im März das Licht der Buchwelt erblicken, kann man durch einfaches Umetikettieren aus dem Herbst ein Frühjahr machen und sich wieder beruhigt in der Gegenwart wissen.

Worte als Lebensretter

Spaß beiseite, sicher ist eines: Die immer früheren Erscheinungstermine der „Herbstbücher“ verkürzen die Frühjahrsbuchsaison und fegen jene Bücher, die seit Anfang des Jahres geduldig in den Redaktionen liegen und auf Aufmerksamkeit und einen Platz in den Medien hoffen, vom Tisch. Viel zu früh, denn da wären noch einige Kostbarkeiten zu entdecken. Auf meinem Schreibtisch zum Beispiel liegen noch – ein Buch ist ja selten nur ein Buch – Himmel und Höllen. In eine Dante’sche Hölle des 21. Jahrhunderts führt Laurent Quintreau in seinem Roman „Und morgen bin ich dran“ (Unionsverlag): ein zweistündiges Meeting von elf Akteuren einer Unternehmensführung, in dem sich phraseologischer Wahnsinn und psychischer und ökonomischer Druck die Hand geben. Der Roman „Himmel und Hölle“ (Reclam) des Isländers Jón Kalman Stefánsson führt in eine ganz andere Arbeitswelt, nicht minder gefährlich: ans Meer, das einem Fischer, der wegen der Lektüre des „Verlorenen Paradieses“ auf seinen Anorak vergisst, tödlich werden kann. Stefánsson schickt in seinem berührenden Roman Worte als ratlose, zerstreute Lebensretter aus, „die sich ihres Auftrags gar nicht sicher sind – sämtliche Kompasse spielen verrückt, Landkarten sind zerfleddert oder veraltet –, aber nimm sie trotzdem in Empfang. Und dann sehen wir, was passiert.“

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