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„Hier kann nur mehr der Pfarrer helfen"

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In Tirol mußte ein junger Mann sterben, weil seine Krebserkrankung (so die Medienberichte) zu spät erkannt wurde. Für die Arzte war er ein „hoffnungsloser Fall", der einfach abgeschoben wurde.

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In Tirol mußte ein junger Mann sterben, weil seine Krebserkrankung (so die Medienberichte) zu spät erkannt wurde. Für die Arzte war er ein „hoffnungsloser Fall", der einfach abgeschoben wurde.

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Der Tod und die Berichterstattung über den als lebensfroh geschilderten Magister der Rechtswissenschaften, Gebhard Osl, hat mich sehr nachdenklich gestimmt. Nicht nur wegen der menschlichen Tragik, die sich hinter den Berichten verbirgt, sondern auch wegen der Problematik des Paradigmawechsels in der Medizin, der nicht zuletzt auch für uns Arzte Probleme schafft. Anläßlich meiner Promotion im Jahre 1953 schenkte mir mein Vater ein damals sehr bekanntes Bild. Vor dem Arzt kniet eine vom Tod in Form des Knochenmannes bedrohte Frau, und der Arzt drängt mit der einen Hand den Tod zurück. Als Arzt verstand man sich damals als Kämpfer gegen Tod und Krankheit...

Von 1974 bis 1985 war ich Chefarzt der Kantonalen Psychiatrischen Klinik in Wil in der Nähe von St. Gallen. In dieser Zeit hatte ich eine enge Zusammenarbeit mit Professor Hans Jörg Senn, Chefarzt der Klinik für Ha-ematologie und Onkologie am Kantonsspital St. Gallen. Einmal in der Woche gab es einen „Onko Lunch", an dem alle Mitarbeiter der Klinik teilnahmen und an dem alle kritischen Probleme besprochen wurden. Einmal im Monat gab es einen „Psycho Onko Lunch", an dem auch ich teilnahm.

Einmal erinnere ich mich an ein Gespräch mit einem jungen Mann und Familienvater, der wußte, daß er den nächsten Schub einer bösartigen Bluterkrankung nicht überleben werde, und an ein Gespräch mit den Eltern und Geschwistern eines kleinen Mädchens, das die Familie mit nach Hause genommen hatte, damit es zu Hause sterben könne. Wir alle haben von diesen Patienten und ihren Angehörigen sehr viel gelernt. Die Erfahrungen in diesen Jahren faßte ich in einem Vortrag zu diesem Thema zusammen, dem ich dann erstmals den Titel gab „Sterben als Aufgabe".

Denn für den Arzt ist es eine doppelte Aufgabe: Er muß sich immer und immer wieder mit dem Tod seiner Patienten auseinandersetzen und schließlich auch mit seinem eigenen. Erwin Ringel sagte einmal zu mir:

„Merk Dir eines. Wir lernen immer. Selbst beim Sterben werden wir noch etwas lernen." Wenige Wochen später war er tot. Es ist mit auf seine Anregung zurückzuführen, daß man heute schon an manchen Orten Medizinstudenten zur Betreuung Sterbender einsetzt, und es ist oft erstaunlich, was sich dabei auf zwischenmenschlicher Basis oft ereignet. An den jährlichen Tagungen in Asco-na, die der unermüdliche Professor Boris Luban-Plozza organisiert, gibt es auch einen Studenten-Preis, und ich erinnere mich an eine Preisträgerin, die eine solche monatelange Sterbebegleitung einer alleinstehenden Frau so eindrucksvoll schilderte, daß wir alle bewegt weggegangen sind.

Es gehört mit zu dem Paradigmawechsel in der Medizin, daß Ärzte aus partnerschaftlichen Gesprächen mit Patienten zu lernen gelernt haben. Als junger Arzt erlebte ich noch Visiten, die an den Zimmern Sterbender vorbeigingen mit dem Hinweis des Primararztes „Hier ist nur mehr der Pfarrer zuständig".

Heute haben wir gelernt, daß auch noch Sterbende unser Gespräch brauchen und auch noch Fragen haben.

Auch „letzte Fragen" werden an uns Ärzte gerichtet. Als ich einmal einem Sterbenden anbot, den Priester zu holen, bat er mich, bei ihm zu bleiben, denn das Sakrament der Krankenölung habe er schon früher zweimal empfangen und die Worte, die dabei gesprochen werden, kenne er schon. Aber es würde ihm viel bedeuten, wenn ich ihm erzählen würde, wie ich mir das Leben nach dem Tode vorstelle. Als ich darüber an einer Tagung im Hörsaal des Kantonsspitals Luzern referierte, sagte eine katholische Ordensfrau: „Diese Antwort würde mich auch interessieren."

Auch darauf zu antworten, muß man lernen und man wird sich, wie auch bei den Gesprächen mit Sterbenden als Arzt, sehr rasch des Unterschiedes zwischen Religiosität und Konfessionalität bewußt.

Vor allem aber geht es bei diesen Gesprächen um Fragen der Wahrhaft tigkeit. Jeder Mensch, auch der Patii ent, hat ein Recht darauf, die Wahrheit über seinen Zustand zu erfahren.

Aber will er auch wirklich die ganze Wahrheit wissen, oder braucht er nicht gerade jenen Funken Hoffnung, der nötig ist, um mit der Krankheit vielleicht doch noch fertig zu werden? Denn medizinische Prognosen sind auch nur statistische Diagnosen und beziehen sich auf Prozente. Aber wer sagt dann dem Arzt, daß ein bestimmter Patient zu den 80 Prozent mit schlechter Prognose oder zu den 20 Prozent mit einer besseren Prognose gehört.

Zum Beispiel wußte man vor Jahren, daß niemand eine HIV-Infektion länger als zehn Jahre überlebt. Trotz dieser Erkenntnis überlebten aber einzelne HlV-Infizierte länger und heute wissen wir, daß dafür ein bestimmter Blutfaktor maßgeblich ist, den man zur Zeit mit großem Aufwand erforscht, um ihn der Therapie nutzbar zu machen.

An diesem Beispiel zeigt sich besonders deutlich das Problem der persönlichen Diagnose. Dies sind die Probleme der Heilkunde, aber daneben gibt es auch noch die Heilkunst, auf die schon der Begründer der modernen Medizin, Paracelsus, vor 450 Jahren hingewiesen hat. Die Heilkunde betrifft das Wissen und das Können des Arztes, die Heilkunst aber seine Persönlichkeit und seine Fähigkeit] mit dem Wissen human umzugehen. Die Persönlichkeit betrifft aber wieder die Anlage und die Erziehung ... Ausbildung, die uns unsere Lehrer nicht zuletzt auch durch ihr Vorbild vermitteln. Heilkunde und Heilkunst gehören zusammen und es gehört zu den Dramen der Heilkunde, wenn man Ärzten den Versuch, beides zu verbinden, zum Vorwurf macht.

Der Autor ist

emeritierter Vorstand der Psychiatrischen Universitätsklinik Basel

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