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Hilde Domin: Angst und Hoffnung eine Stimme geben

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Am 27. Juli wird die deutsche Dichterin Hilde Domin 85 Jahre alt. An ihren Gedichten wird deutlich, wie sehr die Sprache der Lyrik ein religiöses Sprechen ist, das Heilung und Barmherzigkeit ersehnt.

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Am 27. Juli wird die deutsche Dichterin Hilde Domin 85 Jahre alt. An ihren Gedichten wird deutlich, wie sehr die Sprache der Lyrik ein religiöses Sprechen ist, das Heilung und Barmherzigkeit ersehnt.

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Ich selber nannte mich / ich selber rief mich / mit dem Namen einer Insel // Es ist der Name eines Sonntags / einer geträumten Insel ... Wer kennt eine Dichterin namens Palm? Die ausziehen mußte aus Deutschland, wiederkehrte und eine der leisen Gewaltigen der Sprache wurde? Hilde Palm ist unbekannt; aber sie „nannte sich mit dem Namen eines Sonntags”: Hilde Domin. Der Sonntag kommt von „Santo Domingo” in der Dominikanischen Republik (Kolumbus erfand sie / an einem Weihnachtssonntag), in die es Domin ins Exil verschlagen hatte; obwohl sich daraus kein (religiöses) Programm ablesen läßt, bleibt ihr Künstlername beziehungsvoll.

1933 emigrierte die 21jährige Hilde mit ihrem späteren Mann, dem Kulturhistoriker Erwin Walter Palm. Rom und London, dann die Karibik: 22 Jahre verbringen die beiden im Exil; erst 1951, als der Spuk in Deutschland schon einige Zeit vorbei ist, das Exil aber immer noch andauert, beginnt die als Übersetzerin tätige Hilde Palm, die Dichterin Hilde Domin zu werden. Uber Nacht, schreibt sie, entsteht das erste Gedicht: Eine große Blüte stieg / leuchtend blaß / aus meinem Herzen - so endet es. 1954 kehren die Palms nach Deutschland zurück, wo sie - mit Unterbrechungen - fortan leben. 1957 werden die ersten Gedichte gedruckt.

Exil und Heimat sind die Themen Hilde Domins; ohne sie kommt kaum ein Domin-Gedicht aus. Denn auch die alte neue Heimat ist nicht ohne Exil. Die Toten und ich / wir schwimmen / durch die neuen Türen / unserer alten Häuser, So beschreibt sie die Geburtsstadt Köln nach der Rückkehr.

Die Rettung des Gedichts

Hilde Domins leidenschaftlicher Einsatz galt der Sprache der Gedichte als Ausdruck des Menschlichen. Das Gedicht als Augenblick von Freiheit betitelte sie ihre Frankfurter Poetik-Vorlesungen 1987/88, in denen sie dies ausführte. Ihr dichterisches „Wachstum” fiel jedoch in eine Zeit, in der das durchaus nicht selbstverständlich war. Im Gegenteil: Der linksintellektuellen Szene der späten fünfziger und sechziger Jahre, der auch die Domin angehörte, schien das gedichtete Wort suspekt. Die Frage Theodor W. Adornos, ob man „nach Auschwitz” noch Gedichte schreiben könne, beschied der intellektuelle Zeitgeist abschlägig.

Dabei hatten die Betroffenen selbst genau konträr geantwortet: Nelly Sachs beispielsweise bewahrte sich selbst durch die verschlüsselte Sprache der Gedichte vor dem Zerbrechen, welches die Schoa auch nach ihrem Ende zu vollbringen drohte; zwischen Sachs und Domin entstand eine literarische Freundschaft. Oder Paul Celan, der Dichter der Todesfuge, dessen Selbstmord 1970 Hilde Domin betrauerte: Das Seil / nach Häftlingsart aus Bettüchern geknüpft / die Bettücher auf denen ich geweint habe / ich winde es um mich / Taucherseil ... Aber auch da schrieb sie Hoffnung dazu: ... weg vom Tag / hindurch / tauche ich auf / auf der andern Seite der Erde / Dort will ich / freier atmen j dort will ich ein Alphabet erfinden / von tätigen Buchstaben

Anders als zur Zeit der 68er ist für die heutige Generation das Gedicht nach Auschwitz keine Frage mehr. Hilde Domin hat an der Rettung des Gedichts einigen Anteil. In poetologischen Schriften („Wozu Lyrik heute?” 1968) und in den „Doppelinterpretationen” (1966) - der Näherung, ein Gedicht jeweils durch den Autor und einen Literaturwissenschafter interpretieren zu lassen - versuchte sie, die Auseinandersetzung über das Gedicht an sich auf die Ebene kritischen Diskurses zu heben. Die theoretische Sprache dieses Diskurses ist heute 30 Jahre später - kaum zu ertragen; Hilde Domin war das durchaus bewußt. In einem Interview in den siebziger Jahren meinte sie: „In der Tat, ich verteidige die Poesie in der Sprache ihrer Gegner. (Wozu sollte ich sie in der Sprache der Freunde verteidigen?)”

„An uns übt Gott Zerbrechen”

Die Rettung des Gedichts, der sich Hilde Domin verschrieben hat, kann auch als Rettung der Vernunft vor dem Verlust des Gefühls interpretiert werden. Exil- und Heimaterfahrung und deren wechselseitige Verwobenheit (das Gefühl von Exil in der Heimat und umgekehrt, Domin: Unverlierbares Exil / du trägst es bei dir / du schlüpfst hinein / gefaltetes Labyrinth / Wüste / einsteckbar) haben Domin auch mit ihrem Judentum in Berührung gebracht, obwohl sie als Assimilierte wenig Beziehung dazu hatte: „Ich bin kein Glaubensjude, mache auf den Fragebögen auf dieser Stelle einen Strich”, meinte Domin in einer Radioreihe des Süddeutschen Rundfunks zum Thema „Mein Judentum”. Etwas später in der Sendung erklärt sie, daß es ihr nicht möglich sei, auf die Frage nach ihrem Judentum überhaupt öffentlich zu antworten. Was sie prägt, geht dennoch aus den Gedichten hervor. Ein Zugang ist in ihrem „Offenem Brief an Nelly Sachs” zu finden, den sie 1966 zum 75. Geburtstag der Freundin veröffentlichte: „Aber was ist ein Jude? Besonders wenn er nicht den Glauben hätte. Du Glückliche, du glaubst. Aber wenn er nicht den Glauben hätte? Du hast es für uns alle definiert: ,An uns übt Gott Zerbrechen', hast Du gesagt ... Den Juden ist häufiger und krasser die Rolle des Ecce homo zugefallen, aufgedrängt worden als anderen. Historisch war es ihnen einfach nicht vergönnt, sich von diesem Sonderstatus zu befreien.”

Das Festhalten Hilde Domins an einem agnostischen Judentum scheint durch ihre Gedichte seltsam konterkariert. Es schützt aber auch vor religiöser Vereinnahmung, die im Zuge der Suche nach religiöser Orientierung und treffender Sprache oft geschieht. Könnten aber die Gedichte Domins nicht auch ein Hinweis auf den gemeinsamen Roden sein, aus dem das Religiöse wächst?

Religiöse Sprache ist Sprache der Dichter

Das Religiöse gehört zu den Gedichten - nicht nur zu denen Hilde Domins: Eigentliche Sprache des Religiösen ist die dichterische Sprache. Aus den Gedichten der Domin spricht das lebhaft hervor. Annäherungen an Christliches wie die lyrische Beschreibung des Ecce homo sind damit gemeint, aber auch das Vordringen zu letzten Fragen. Vor 20 Jahren schon hat die jetzt 85jährige im Gedicht Älter werden davon gesprochen: Die Sehnsucht nach Frieden, Gerechtigkeit, Sonne nehme nicht ab, heißt es darin, die Hoffnung aber schon. Und: Aber die Liebe // der Tode und Auferstehungen fähig / wie wir selbst / und wie wir / der Schonung bedürftig.

In ihrem Essay „Was einem mit seinen Gedichten passieren kann” erzählt Hilde Domin von einem Begräbnis, bei dem die Hinterbliebenen sie gebeten hatten, nach der Predigt des Pfarrers ein Gedicht zu lesen, „der Tote habe meine Gedichte geliebt”. Widerstrebend kommt Domin der Bitte nach, schreibt und liest ein Gedicht:

Mich ruft der Gärtner, // Unter der Erde seine Blumen / sind blau, // Tief unter der Erde / seine Blumen / sind blau

Hilde Domin beschreibt, welch besondere Erfahrung diese „letzten Worte” für sie und für die Familie sind. Welch eine Vorstellung, daß das zitierte Gedicht als letztes steht an offenem Grab, bei einem christlichen Begräbnis, gesprochen von einer jüdischen Dichterin, die den Glauben nicht thematisiert!

Oder doch in Gedichten wie obigem: Das Religiöse kann auch Sprache bedeuten, die über Grenzen und Menschen hinweg verstanden wird. Leises Sprechen, behutsames Wort, wie von Hilde Domin geprägt, redet vom Verlangen der Menschen und gibt der Angst und der Hoffnung eine Stimme: Es knospt / unter den Blättern / das nennen sie Herbst

Oder: Nicht müde werden / sondern dem Wunder / leise / wie einem Vogel / die Hand hinhalten

Dieses Gedicht mag auch als Programm dienen, dem sich Hilde Domin verschrieben hat: Aus ihrem Elternhaus hat sie „Urvertrauen” mitgenommen - über die Schwere der Zeiten hinweg. So erzählt es Domin 1995 in einem Interview für die Radioreihe „Menschenbilder”; deswegen gebe sie den Menschen einen Vertrauensvorschuß: „Und meistens sind sie dieses Vertrauen auch wert.”

Vielleicht taucht die Domin deshalb immer wieder dort in christlichem Kontext auf, wo Heilung und Barmherzigkeit ersehnt werden. Kleine Buchstaben / genaue / damit die Worte leise kommen / damit die Worte sich einschleichen j damit man hingehen muß / zu den Worten / ... // Angst / meine / unsere / und das Dennoch jedes Buchstabens: So lautet einer der zahlreichen Versuche Hilde Domins, in einem Gedicht über das Schreiben von Gedichten zu erzählen. Ihr Gedicht Älter werden (siehe oben) endet mit der Feststellung: Hand in Hand mit der Sprache / bis zuletzt

Das Begräbnisgedicht über den Gärtner mit den blauen Blumen ist von denen, die es erbeten haben, verstanden worden: „Am nächsten Tag”, schreibt Hilde Domin, „schickte mir die Witwe das Trinkglas des Toten, mit Maiglöckchen darin. Es ist ein ganz zartes Glas aus dem 18. Jahrhundert. Beaucoup vous connoitre / C'est beaucoup vous aimer steht in etwas altertümlichem Französisch darauf. Ich benutze es manchmal für Blumen.”

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