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Hoffnung in der Welt

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Über die kosmische und gesellschaftliche Dimension der Hoffnung, über die Hoffnung des pilgernden Volkes Gottes auf seiner Wanderung, seinem immer neuen Exodus aus jeder verfestigten Situation in allen Dimensionen des menschlichen Daseins wird in der heutigen Theologie und Existentialontologie viel verhandelt. liier sei nur auf einen kleinen, wohl meist unbeachteten Text in der dogmatischen Konstitution über die Kirche, „lumen gentium“, aufmerksam gemacht. Er steht im vierten Kapitel, Nr. 35, im Laienkapitel dieser Konstitution. Da wird von den Laien gesagt, sie dürften ihre eschatologische Hoffnung nicht im Inneren des Herzens (in inte-rioritate animi) verbergen, sondern müßten sie real werden lassen (expri-mant) in der Verfaßtheit, den „Strukturen“ (per structuras) des profanen Daseins (vitae saecularis).

Diese Mahnung steht im Kontext der prophetischen Aufgabe der Laien in Kirche und Welt. Man würde sie wohl mißverstehen, wollte man sie bloß auffassen als eine moralische Konsequenz sekundärer Art aus dem Wesen der Hoffnung, daß die „Söhne der Verheißung“ (1. c.) schließlich doch auch ohne diese Einbildung ihrer Hoffnung in die profanen Strukturen der Welt leben könnten. Die Mahnung enthält vielmehr eine Aussage über ein Wesensmoment der Hoffnung selbst. Diese wird real vollzogen in der dauernden Umbildung der Strukturen des profanen Lebens. Wenn man einmal davon absieht, daß „Revolution“ ein sehr unbestimmter, vieldeutiger Begriff ist, so könnte man sagen: Hier wird die christliche Hoffnung zum Grund einer stets revolutionären Haltung der Christen in der Welt erklärt.

Wenn man das Christentum recht versteht, und wenn die Christen sich selbst recht verstehen, ist es also gerade umgekehrt, wie man innerhalb und außerhalb der Christenheit meist meint: Die Hoffnung auf die absolute Zukunft Gottes, auf das eschatologische Heil, das der abso- -lute Gott selbst ist, ist nicht die Legitimation eines Konservatiismus, der angstvoll die sichere Gegenwart einer unbekannten Zukunft, alles versteinernd, vorzieht, nicht das „Opium des Volkes“, das im Gegenwärtigen beruht, auch wenn dieses leidvoll ist, sondern die Ermächtigung und der Befehl zu einem immer wieder aufgenommenen, vertrauenden Exodus aus der Gegenwart in die Zukunft, auch eine inner-weltliche.

In der Tat: 1. der leibhaftige, geschichtliche Mensch vollzieht auch die letzten transzendentalen Strukturen seines Wesens nicht in der abstrakten „Innerlichkeit“ einer bloßen Gesinnung, sondern im Umgang mit der Welt, der Um- und Mitwelt. Und 2. wirkliche „Praxis“ in Gegensatz und radikaler Differenz zur Theorie ist nicht die bloße Exekution des Geplanten und also doch Theoretischen allein, sondern Eröffnung auf und Wagnis des Unge-planten, so daß erst in der Praxis selbst die echte Möglichkeit des Gewagten hervorkommt.

Aus diesen beiden Momenten aber ergibt sich, daß im so verstandenen praktischen Wagnis der innerweltlichen unvorhergesehenen, unverfügbaren Zukunft- der Mensch seine eschatologische Hoffnung als Von-sich-weg auf das absolute Unverfügbare realisiert und realisieren muß, daß es also wahr ist, daß der Christ seine Hoffnung den Strukturen der Welt einprägen muß. Das bedeutet natürlich gerade nicht, daß bestimmte, feste Strukturen seiner profanen Welt einmal so sein könnten, daß sie, einmal und für immer hergestellt, die bleibende Objektivation seiner eschatologischen Hoffnung wären. Im Gegenteil. Jede, die gegenwärtige und auch die kommende Struktur des weltlichen Lebens ist durch die Hoffnung als Ausgriff auf das Unverfügbare in Frage gestellt, und in dieser Infragestellung realisiert sich der geschichtliche und gesellschaftliche Akt der Hoffnung. Freilich nicht nur dadurch. Denn der Christ nimmt auch das ungetane, erlittet Vorübergehen der „Gestalt der Welt“ in dem individuellen Geschick seines Lebens, im Tod und in der ihn einübenden Entsagung an, und vollzieht darin seine Hoffnung. Und nicht in einem wilden Revoluzzentum. Denn solches ist entweder die Verabsolutierung der nächstens kommenden Gestalt der Welt und so das Gegenteil der Hoffnung, eine Form der Vermes-senlheit, die nur das Verfügbare kenmit oder dais Unverfügtoame als Verfügbarles setzt, oder es ist Verzweiflung, die nicht mehr hofft und daraum altes schlechthin verneint, weil es nichts Endgültiges ist.

Aber die ständige Kritik auch der weltlichen Strukturen ist eine der konkreten Gestalten der christlichen Hoffnung, die als sich lassender Mut zum Unverfügbaren nichts in diesem weltlichen Dasein so festhalten muß, als ob ohne es der Mensch in eine absolute Leere stürzte, und die dem Menschen in dem Augenblick, wo er sehr viel deutlicher als bisher auch der Täter seiner Welt wird, gebietet, nicht nur zu lassen, was ihm entrissen wird, sondern auch aktiv aufzugeben, was er im Blick auf die unbegrenzte Zukunft der Hoffnung als vorläufig durchschaut und so auch als schon in der Zeit ablösbar erfassen kann.

Es ist seltsam, daß wir Christen, die das radikale Wagnis der Hoffnung in das Unverfügbare der absoluten Zukunft hinein zu tun haben, in den Verdacht bei anderen und bei uns selbst gekommen sind, daß für uns der Wille zur Bewahrung die Grundtugend des Lebens sei. In Wirklichkeit ist aber die „Tradition“, die das Christentum gerade als pilgerndes Volk Gottes auf den Weg bekommen hat, das Geheiß, die absolute Verheißung zu hoffen und, damit das nicht billige Gesinnungsideologie bleibe, immer neu auch auszuziehen aus den Versteinerungen alt und leer gewordener gesellschaftlicher Strukturen.

Woran konkret bei solchem immer erneutem Exodus diese Hoffnung zu vollziehen ist, woran (was ja auch möglich ist) der Christ festhält, weil seine Hoffnung auch das zeitlich Künftige des falschen Scheins des Absoluten entkleidet, das kann der theoretische Glaube nicht als einfache Deduktion aus ihm selber sagen. Dieser konkrete Imperativ ist nicht das bloße Ergebnis der angewandten Theorie des Glaubens; genausowenig, wie der Glaube als solcher allein die allgemeine Verheißung in die spezielle verwandelt, die nur die unableitbare, ursprüngliche Hoffnung ergreift. Aber diese Hoffnung heißt den Christen und die Christenheit, diese je unableitbaren Imperative immer neuer Entscheidung zwischen der Verteidigung der besessenen Gegenwart und dem Exodus in die unvorhersehbare Zukunft zu wagen. Und die Hoffnung kann dies. Denn sie selbst hat ja schon immer das größere getan. In ihr hat der Mensch sich losgelassen in das absolut und ewig von ihm Unverfügbare hinein. Und in der Kraft dieser größeren Hoffnung hat er auch die kleinere Hoffnung, den Mut nämlich zum Wandel der „weltlichen Lebensstrukturen“ wie das Konzil sagt. Und es bleibt dabei: In der kleineren Hoffnung wird die größere real.

Es bleiben also Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei. Das Größte aber ist die Liebe, sagt Paulus. Wir könnten auch übersetzen: das Endgültige machen aus Glaube, Hoffnung und Liebe. Vielleicht hat sich gezeigt, daß Hoffnung nicht einfach das Verhalten des Schwachen und doch Begehrenden gegenüber einer ausständigen Erfüllung ist, sondern der Mut, sich in Denken und Tat der unbegreiflichen Unverfügbarkeit anzuvertrauen, die unser Dasein durchwaltet und als dessen offene Zukunft trägt.

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