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Hoffnungen und Ängste

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Seien wir also zufrieden, wenn diese Grunderkenntnis richtig herauskommt. Der große Umbruch unserer Zeit bringt neue bisher unbekannte Hoffnungen und Ängste der Menschheit mit sich. Die Wissenschaften und die Technik beherrschen das Feld. Sie sind für viele geradezu an die Stelle Gottes getreten. Die Frau spielt eine neue Rolle im öffentlichen Leben, die sozialen Verflochtenheiten berühren den letzten Hinterwäldler. Und so kann man fortfahren.

Gewiß sind alle diese Entwicklungen immer ambivalent, das heißt sowohl Möglichkeiten zum Verderben wie zur Veredelung des Menschen. Die Tatsachen beweisen es. Aufgabe der Kirche aber ist es, in all diesen Veränderungen das Wirken Gottes zu erkennen, den Ansatzpunkt für eine neue Art, das Evangelium zu leben, zu erkennen, zu verkünden, Und eben damit zeigt sie sich selbst auf dem Weg. Ihr Weg zum Endziel das allein Christus der Auferstandene und Weltbeherrscher ist, läßl sich nicht ablösen von dem Weg, welchen die Welt nimmt.

Die Situation des Menschen

Ich glaube, man kann sagen, daß diese Grundauffassung dem Text der Pastoralkonstitution trotz all ihren Mängel zugrunde liegt. Deshalb steht am Anfang eine Darlegung der gegenwärtigen Situation des Menschen, die, ohne ein Urteil zu fällen, einfach beschreibt. Dann wird der Maßstab gezeigt, mit dem die Kirche dieser Situation begegnet, ihre Auffassung vom Menschen und ihre soziale Einstellung. So armselig diese Darstellung auch ist, vermag sie doch eine Menge landläufiger Vorurteile, die gegen kirchliche Auffassungen bestehen, aus dem Weg zu räumen. Einiges wird sich noch verbessern lassen. Etwa im Sinn der Rede des Weihbischof Cik, der die Ähnlichkeit des Menschen mit Gott wie auch seine Unähnlichkeit an den Anfang dieser Ausführungen gestellt sehen möchte. Endlich zeigt der Text die Verknüpfung der Schöpfungsund Erlösungsordnung auf. Der Erlösergott offenbart den Schöpfergott. Hier ist der eigentliche Punkt angerührt für die Verknüpfung von Kirche und Welt.

Wenn nun auch vieles Beiwerk diese Grundlinie so sehr verdeckt, daß sogar eine ganze Reihe Bischöfe sie nicht bemerkt haben, wie wenige Laien hätten sie wohl beachtet? So ist sie dennoch vorhanden, und wenigstens dies wird jetzt noch möglich sein: die Grundlinie deutlicher hervortreten zu lassen.

Doch greifen wir einen Einzelpunkt heraus, der die Bischöfe bei der Behandlung des Menschenbildes mehr als alles andere beschäftigt hat, der Atheismus, der Mensch ohne Gott. Es gab Bischöfe, die eine getrennte Erklärung des Konzils über den heutigen Atheismus in allen seinen Spielformen verlangten, so etwa der Italiener Rotolo. Andere forderten das Sekretariat von Kardinal König auf, diese Erklärungen in dieser Session noch fertigzustellen, so der Franzose Kardinal Martin. Verschiedene wünschten eine feierliche Verdammung des Kommunismus. Sie sprachen von einem mystischen Leib des Satans.

Der Jesuitengeneral Arrupe entwarf ein düsteres Bild der neuen atheistischen Gesellschaft, die auch bei uns fast absolut in internationalen Organisationen, in der Finanz, in den Massenmedien, der Television, dem Filmwesen, dem Radi' und in Zeitungen durch eine bis in letzte ausgearbeitete Strategi herrsche. Er begegnete zumal in de englischen und amerikanische! Presse heftigem Widerspruch, e wollte durch die Ausarbeitung eine fachgemäßen ausgefeilten Gegen Strategie den Aufbau einer Christ liehen Gesellschaft in die Wege lei ten. Man erkannte in diesen Dar legungen die Gedankengänge de berühmten Pater Lombardi.

Kardinal König über den Atheismus

Weit überragt aber wurden all diese Voten von den Aussagen de beiden Kardinäle Seper und König Es gibt heute viele Menscher meinte der Jugoslawe Seper, die ir Atheismus die Voraussetzung für dei Fortschritt und sogar für die Men schenwürde sehen. Warum ist diese Atheismus so sehr verbreitet? Ent gegen den frommen Predigern mu gesagt werden, daß für viele de Atheismus als die natürliche Folg des wissenschaftlichen Fortschritt erscheint. Es geht in diesem Schern nicht darum, Gott zu beweisen un den Atheismus zu verdammen, son dem zunächst einmal darum, dies tatsächliche Lage zur Kenntnis z nehmen. Und dann zu zeigen, da der Glaube an Gott den Fortschril nicht behindert. Ferner zuzugeber daß zum Teil die Christen selbe den Atheismus verantworten müs sen, weil sie allzusehr an der Un Veränderlichkeit der sozialen Struk turen festgehalten haben und sie dabei zu Unrecht auf Gott beriefer Endlich ist ein wahres und nicht eil verbogenes und verzerrtes Gottes bild aufzuzeigen. Kardinal König führte diese Gedanken weiter fort und stellte eine vierfache Forderung auf. 1. Man solle untersuchen, wie die Tatsache der großen Verbreitung des Atheismus zusammengehe mit dem Satz von der „Anima naturaliter christiana“, das heißt der Behauptung, der Mensch sei von Natur aus ein Christ. 2. Den Wurzeln des Atheismus solle nachgegangen werden. 3. Die Heilmittel liegen in der Forderung der Einheit der Christen, in dem wirklichen Eintreten der Kirche für die soziale Gerechtigkeit, in der rechten Bindung der Laien. 4. Zum Vorgehen der Kirche ist zu sagen: zunächst nicht verurteilen, jeden guten Willen anerkennen. Anderseits muß das Konzil verkünden, daß niemand mit Gewalt zum Atheismus gezwungen werden darf. In Ländern unter kommunistischer Herrschaft ist anzuraten, für den lebendigen Gott Zeugnis abzulegen durch Mitarbeit beim wirtschaftlichen Fortschritt des Vaterlandes und zu beweisen, daß der Gläubige noch größere Energie besitzt als der Atheist, vor allem aber an Bruderliebe die anderen zu übertreffen. Damit knüpft der Kardinal an die Reden des Papstes beim Konzilsbeginn an.

Es mag sein, daß manchen diese Haltung als zu versöhnlich erscheint, doch stimmte ihr auch der Bischof Wojtila im Namen der polnischen Hierarchie zu. Auf diese Weise wird jedenfalls selbst der Atheismus, eines der erschreckendsten Zeichen unserer Zeit, ein Aufruf zur eigenen Selbstbesinnung und zur Vertiefung christlichen Denkens und Lebens. Also gerade das, was diese Pastoralkonstitution will. Indem die Kirche die Welt zu verstehen sucht, sucht sie sich selbst.

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