Hoffnungsvolle Kirche am Kap

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Wer Südafrika in düsteren Farben zeichnen will, findet genug "Farbstoff". Doch gerade Christinnen und Christen gewinnen im Vielvölkerland neues Selbstbewusstsein und Mut zum Umdenken.

Wer Südafrika noch zur Zeit der Apartheid erlebt hat, muss diesem Land Respekt zollen. "Es ist erfreulich", heißt es in einem Dokument der katholischen Bischofskonferenz, "dass die Art und Weise, wie unser Land von den Schrecken der Apartheid zu einer Befreiung gefunden hat, ein hohes Maß an Bewunderung hervorruft." Die weißen christlichen Kirchen waren zum Teil in das System der Apartheid verstrickt. Sie haben dann aber im Kampf gegen die Rassentrennung vor allem in der Übergangszeit 1990-94 durch ihr Bemühen um die Eindämmung von Gewalt, in der Vermittlung zwischen den Verhandlungsparteien und durch ihren Einsatz für Versöhnung und Gerechtigkeit in der Mitgestaltung der neuen Gesellschaft eine wesentliche Rolle gespielt. Sie sehen sich in der gegenwärtigen sozialen Situation Südafrikas vor ganz neue Herausforderungen gestellt.

Kirche als Licht im Dunkel

Wer Südafrika in düsteren Farben malen will, findet genug "Farbstoff". Die Statistiken zeigen erschreckende Arbeitslosigkeit: fünf bis sieben Millionen stehen buchstäblich auf der Straße. Südafrikas Wirtschaft ist nach wie vor überwiegend in weißen Händen und orientiert sich an den Erwartungen der alten und neuen Eliten und nicht an den Bedürfnissen der Mehrheit. "Neun Jahre nach Ende der Apartheid", zitiert die ökumenische Zeitschrift Challenge den Generalsekretär der Vereinigung südafrikanischer Gewerkschaften, "können wir weithin noch von zwei Nationen sprechen - von einer relativ reichen und weißen, und einer relativ armen und schwarzen".

Eine solche Situation ist Nährboden für alle Formen von Gewalt. Raubüberfälle sind an der Tagesordnung. Keiner - weiß oder schwarz, reich oder arm - ist seines Besitzes und seines Lebens sicher. Die Kirchen werden nicht müde, gegen diese Gewalttätigkeit ihre Stimme zu erheben. "Was wir in Südafrika heute am meisten brauchen", schreibt Kardinal Wilfried Napier von Durban in der Missionszeitschrift Worldwide, "ist der Respekt vor dem Leben. [...] Wir werden keine Abkehr von dieser Kultur der Gewalt und des Todes haben, solange wir nicht in unserem kollektiven Bewusstsein wieder eine aus dem Glauben kommende Ehrfurcht vor dem Leben entfaltet haben."

Die katholische Bischofskonferenz bemüht sich, durch basisnahe Arbeit in den Gemeinden eine Bewusstseinsbildung voranzutreiben, in der die Probleme beim Namen genannt werden. Für Neville Gabriel vom Justice and Peace Department der Bischofskonferenz, darf sich die Kirche nicht damit begnügen, die sozialen Übel zu beklagen: Katholiken müssten gemeinsam mit Christen anderer Kirchen an einer moralischen und effektiven Erneuerung der Gesellschaft mitwirken. Im Geist des katholischen Pastoralplanes, der den bezeichnenden Titel "Community Serving Humanity" trägt, setzt Gabriel vor allem auf die Arbeit lokaler Gemeinden und Gruppen, in denen ein neues Bewusstsein christlicher Verantwortung für gesellschaftliche Herausforderungen entstehen soll.

Mit mehr als fünf Millionen HIV-Infizierten gehört Südafrika zu den am meisten betroffenen Ländern der Erde. In einer Konferenz, die an der neuen Katholischen Universität von Johannesburg stattfand, haben katholische Theologinnen und Theologen und in der HIV-Bewusstseinsbildung und Basisarbeit mit Aidskranken engagierte Sozialarbeiter um eine pastorale Antwort auf diese humanitäre Katastrophe gerungen. Die katholische Kirche scheint Aids tatsächlich als pastoralen Ernstfall zu betrachten, der nicht nur praktisch in Angriff zu nehmen ist, sondern eine differenzierte theologisch-sozial-ethische Auseinandersetzung erfordert. Von ihrer traditionellen Moral her ist die katholische Kirche noch kaum auf eine glaubwürdige Auseinandersetzung mit der komplexen Aidsproblematik vorbereitet.

Auf die katholische Mission in Südafrika, die zweifellos vom selbstlosen Einsatz vieler weißer Missionare geprägt war, fallen aber auch die Schatten des Rassismus. Andererseits waren es gerade auch weiße Vertreter der Kirche, wie der letzten Freitag verstorbene Alterzbischof von Durban, Denis Hurley, oder die Theologen und Verfasser des berühmten "Kairos"-Dokumentes von 1985, die ganz wesentlich zum Fall des Apartheidsystems beitrugen. In der Erneuerung der katholischen Kirche haben europäische Bischöfe - etwa der dieser Tage 75 Jahre alt gewordene Fritz Lobinger - durch ihr Bemühen um die Förderung von "kleinen christlichen Gemeinden" wesentliche Impulse gesetzt.

Bischof und "Sohn Sowetos"

Trotzdem brauchen die Katholiken in Südafrika heute vor allem eine schwarzafrikanische Leitung, die eine inkulturierte Kirche verkörpert und der schwarzen Bevölkerung Hoffnung gibt. Eine dieser Hoffnungsgestalten ist der seit Juni amtierende Erzbischof von Johannesburg, Buti Tlhagale. Tlhagale hatte schon als Generalsekretär der Südafrikanischen Bischofskonferenz und ab 1999 als Erzbischof von Bloemfontain seine Führungsqualitäten unter Beweis gestellt. Die Bevölkerung begrüßte ihn enthu-siastisch als "Sohn Sowetos", des schwarzen Townships von Johannesburg. Genau dort hatten ja die Unruhen begonnen, die - nach vielen Opfern - schließlich zum Ende der Apartheid führten. Dort hatte Buti Tlhagale als beliebter Pfarrer vieles von dem miterlebt und miterlitten, was das neue Südafrika an Geburtswehen durchmachte: Kein Wunder, dass ein solcher Amtsträger der Kirche in der Unsicherheit und Bedrohtheit der gegenwärtigen Situation ganz von selbst zum Hoffnungsträger avanciert!

Neue schwarze Identität

Symbolgestalten einer neuen schwarzen Identität treten auch innerhalb der Theologie hervor. An der vorher stark von weißer protestantischer Theologie bestimmten Theologischen Fakultät an der Südafrikanischen Universität von Pretoria (UNISA) übernahm im Jahr 2003 mit Tinyiko Sam Maluleke das erste Mal ein Schwarzer das Amt des Dekans.

Maluleke verkörpert die Sehnsucht nach einer neuen Gestalt von Kirche und das Ringen um eine Theologie, die sich der neue Dekan nur als "südafrikanische Befreiungstheologie" vorstellen kann. Die Theologie müsse sich, so Maluleke, noch viel stärker als bisher ihres Auftrags innerhalb der Gesellschaft bewusst werden. Diese neue Art theologischer Reflexion sollte ihre Wurzeln in der religiösen Erfahrung Afrikas entdecken und ihre Aufgabe als Faktor sozialer Veränderung wahrnehmen.

Mbekis zweifelhafte Vision

"Unsere Vision einer afrikanischen Renaissance muss in der Verwirklichung einer ihrer zentralen Zielsetzungen dafür Sorge tragen, dass die breiten Massen unserer Bevölkerung ein besseres Leben ... und das Recht haben, selbst über ihre Zukunft bestimmen zu können." Was Südafrikas Präsident Thabo Mbeki mit solchen Statements immer wieder propagiert, klingt für die unter zahlreichen Zwängen und Engpässen leidende Bevölkerung verheißungsvoll. Der südafrikanische Präsident verfolgt damit eine neue Variante von Protestpolitik, die er - an die Weltmächte adressiert - mit starken emphatischen Worten zu beschreiben weiß: "Der Ruf nach einer Erneuerung Afrikas, nach einer Renaissance Afrikas, ist ein Aufruf zur Rebellion. Wir müssen aufstehen gegen Tyrannen und Diktatoren, die unsere Gesellschaften zu verderben versuchen und den Reichtum stehlen, der den Leuten gehört."

Mbeki denkt in den Kategorien des Weltmarktes. Ihm schwebt vor, dass sich Afrika neben Asien, Europa und Nordamerika zu einem expandierenden Markt entwickelt, wo dem südafrikanischem Kapital eine besondere Rolle zufallen wird. Die finanzkräftigen Eliten hören solch Zukunftsmusik gerne und auch die Massen der Armen lassen sich leicht von solchen Tönen betören.

Südafrikanische Theologen setzen sich dagegen sehr kritisch damit auseinander und bezweifeln mit Recht, ob eine solche "Wie-dergeburt" Afrikas wirklich eine größere wirtschaftliche Unabhängigkeit der afrikanischen Staaten bewirken wird. Die neue südafrikanische Theologie erhebt die Forderung, dass eine afrikanische Renaissance vor allem auch von einer Wiederentdeckung des vielschichtigen pluriethnischen religiösen und kulturellen Erbes auszugehen hat, die den Menschen hilft, ihre tief sitzenden Minderwertigkeitsgefühle aufzuarbeiten und zu neuem Selbstbewusstsein zu finden.

Wie aber steht es um die Kirche in Südafrika? Untersuchungen über die Entwicklung der religiösen Landkarte Südafrikas zeigen einen deutlichen Rückgang von Gläubigen in den großen historischen Kirchen (Reformierte, Lutheraner, Anglikaner, Katholiken) und einen sprunghaften Zuwachs der Unabhängigen Afrikanischen Kirchen und der Pfingstkirchen: Vor allem die Armen ziehen eine Kirche vor, die in überschaubaren Gruppen ihren sozialen und religiösen Bedürfnissen unmittelbar entgegenkommt. Diese Entwicklung vollzieht sich auch in den meisten anderen Ländern Afrikas, in denen kirchliches Leben sich besonders in der katholischen Kirche noch vielfach in großen und anonymen Pfarren vollzieht.

Räume der Hoffnung

Seit 30 Jahren haben deshalb - wohl auch unter dem Einfluss der Basisgemeinden in Lateinamerika - einzelne regionale und nationale Bischofskonferenzen in Afrika die Entfaltung so genannter "Small Christian Communities" als Substrukturen der Pfarrei zur pastoralen Priorität erklärt.

Im Township Mamelodi bei Pretoria, wo über 400.000 Menschen leben, gibt es nur acht Prozent Katholiken. In St. Peter Claver, einer der fünf katholischen Pfarreien, gibt es in den einzelnen Vierteln und Straßenzügen 25 solcher neuer pastoraler Lebensräume, in denen sich jeweils einige Familien unter der Leitung von Laien einmal in der Woche zum Bibellesen treffen. Hier sollen die alltäglichen Sorgen der Leute besprochen und konkrete nachbarliche Überlebenshilfen angeboten werden.

Aus allen Richtungen Südafrikas treffen hier Menschen mit verschiedenen Sprachen und kulturell-religiösen Traditionen aufeinander. Der Großteil lebt in prekären Verhältnissen. Obwohl Arbeitslosigkeit und niedrige Einkommen und die allgegenwärtige Angst vor Gewalt, vor der auch die Armen untereinander nicht sicher sind, wenig Aussicht auf eine Verbesserung verheißen, scheinen die Menschen doch von unbändigem Lebenswillen bestimmt zu sein. Das Christentum hat hier offensichtlich nicht nur Unterwerfung gepredigt. Hier wurde das Evangelium verkündet, das in seinem Kern eine befreiende Botschaft ist und den Menschen zu einer neuen Würde und einer eigenen kulturellen Identität verhilft.

Der Autor ist Professor für Pastoraltheologie und Missionswissenschaft an der Katholisch-Theologischen Fakultät Innsbruck.

HINWEIS: Ausführlicheres zum Thema im Internet: http://theol.uibk.ac.at/ leseraum/artikel/409.html

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