Ich bin beides: Chef &AssIstent

Werbung
Werbung
Werbung

Wenn man die Schraubenfabrik, ein Gemeinschaftsbüro in der Wiener Leopoldstadt betritt, atmet man Unkonventionalität. Ein Wuzzler, eine Couch und viele zusammengeschobene Tische lassen eher auf eine alternative Bar als auf ein Büro schließen. Die Atmosphäre wirkt gemütlich, nicht geschäftlich. Im ersten Stock sieht es dann aber schon etwas mehr nach Arbeit aus. Schreibtische, Regale, Computer und jede Menge Bücher finden sich hier. Hier hat der Einzelunternehmer Clemens Böge von der "Beraterei Böge" neben vielen anderen "Home Office-Flüchtlingen" seit einigen Jahren einen Arbeitsplatz gemietet.

Von allem eine Ahnung haben

"Ich bin ja eigentlich gerade im Urlaub, aber wie Sie sehen, ist das als Einzelunternehmer etwas ganz anderes. Da vermischen sich Berufs-und Privatleben eben viel stärker," begrüßt er. Böge ist als Organisationsberater, Coach und Trainer viel unterwegs. Sein Geld verdient er nicht im Büro, sondern dann, wenn er draußen ist: "Entweder direkt beim Kunden oder in Seminarhotels: "Hier im Büro mache ich den ganzen administrativen Kram. Und ich denke." Als Ein-Personen-Unternehmer brauche man eben ein gewisses Maß an "Generalistentum", um bestehen zu können. Man hat zwar die Freiheiten eines Chefs, darf sich aber gleichzeitig auch für keine lästigen Aufgaben zu schade sein, die in größeren Unternehmen ein Assistent übernehmen würde. Einiges könne an Steuerberater ausgelagert werden, ganz ohne jegliche Ahnung von Buchhaltung habe man aber dennoch keine Chance, meint auch Robert Pfeifer, beratender Ingenieur für Energie-und Umwelttechnik, der ebenfalls in der Schraubenfabrik seinen Arbeitsplatz hat. "Daran sind bestimmt schon einige zugrunde gegangen. Eine gute Idee alleine reicht einfach nicht, um als EPU überleben zu können".

Der Traum vom Unabhängigkeit

Sein eigener Chef zu sein, das ist wohl für viele Jungunternehmer der größte Ansporn, um in die Selbstständigkeit zu gehen. Angestellte sehen sich in ihrem Berufsleben einem immer größer werdenden Druck ausgesetzt, meint Pfeifer, und haben dabei selbst oft wenig eigene Gestaltungsmöglichkeiten. Oder, wie Böge es ausdrückt: "Als Angestellter wird man gestaltet". Daher versuchen sich immer mehr, als unselbstständig Beschäftigte, etwas eigenes aufzubauen.

Dieser Trend zeigt sich auch beim diesjährigen Trilog Salzburg der Bertelsmann Stiftung, wo auf interkultureller Ebene zum Thema "Freiraum für Unternehmertum" diskutiert wurde. Eine in dessen Rahmen geführte Umfrage ergab, dass nur ein Drittel der Österreicher meint, in ihren Angestelltenverhältnissen lohne sich Eigeninitiative. Zumindest in der Phantasie sind viele dann ihr eigener Chef: Fast jeder vierte Österreicher hat eine konkrete Vorstellung für ein eigenes Geschäftsmodell.

Auch statistische Daten zeigen einen zunehmenden Trend zum Unternehmertum: Waren es im Jahr 2004 noch rund 138.000 Ein-Personen-Unternehmen, so sind es heute bereits 267.000. In der Wirtschaftskammer stellen sie bereits mehr als die Hälfte der Mitglieder dar. Doch nicht immer ist der Wunsch nach Selbstverwirklichung der Auslöser für die Unternehmensgründung. Mitunter werden Menschen nämlich regelrecht in die Selbstständigkeit gedrängt: Für Langzeitarbeitslose ist es oft der letzte Weg, um sich aus ihrer Situation befreien zu können, sind sich Pfeifer und Böge einig. Problematisch ist jedoch, dass die Selbstständigkeit in solchen Fällen nur als Mittel zum Zweck gedacht wird und womöglich nicht genug Durchhaltevermögen und Überzeugung in das eigene Unternehmen mitgebracht werden.

Die andere Seite der Medaille

Adriana Krezic ist selbstständig seit sie 22 Jahre ist, und besitzt ein Nagelstudio im 16. Wiener Gemeindebezirk. Sie habe sich damals alles viel einfacher vorgestellt, sagt sie rückblickend, während sie die Fingernägel einer Kundin feilt. Auch heute ginge es vielen Jungunternehmern so. "Nebenan hat zum Beispiel vor vier Monaten eine junge Frau einen Laden eröffnet und muss jetzt schon wieder zusperren. Man muss sich so einen Schritt einfach sehr gut überlegen".

Vor allem mit Kindern habe man es als Einzelunternehmerin oft schwer. Eine Entbindung könne man sich kaum leisten. Krezic ist froh, dass das Mutterschutz-Geld von rund 700 Euro auf 1.500 Euro erhöht worden ist. Aber anders wäre es auch einfach nicht möglich, das Unternehmen weiterzuführen. Die Sozialversicherungsanstalt habe darauf reagieren müssen, dass Frauen, die immerhin 48 Prozent der EPU ausmachen, in dieser Beschäftigungsform kaum mehr Kinder bekommen haben.

Im Gegensatz zu Böge und Pfeifer, die beide als Einzelunternehmer zufriedener sind als sie es in einem Angestelltenverhältnis waren, ist sich da Krezic nicht so sicher: Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld und Pflegeurlaub sind Vorteile, die sie als selbstständige Unternehmerin eben nicht hat. "Wenn die Kinder krank sind, ist es einfach sehr schwierig durchzukommen, da man es sich nicht erlauben kann, einem Kunden abzusagen". Auf die Frage, was sie Jungunternehmern raten würde, antwortet Krezic: "Sich nicht selbstständig zu machen".

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung