„Ich liebe das Leben“

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Obwohl schwer erkrankt, hat der Berliner Regisseur und Aktionskünstler Christoph Schlingensief große Pläne für die Zukunft, darunter die Errichtung eines Festspielhauses in Burkina Faso sowie einer Musikschule, einer Filmschule für Kinder, eines Krankenhauses, einer Großküche und einer Kirche, die aber frei sein soll – ohne ein Monopol für Jesus oder Mohammed.

Im Jänner 2008 wurde bei dem Berliner Regisseur und Aktionskünstler Christoph Schlingensief Lungenkrebs diagnostiziert. Nachdem er seine Todesangst in einem Theaterstück verarbeitet hat und nach vielen Wochen im Krankenhaus plant er nun intensiv an einem Festspielhaus in Burkina Faso. Ein Gespräch über Afrika, Gott und Bayreuth.

DIE FURCHE: Gerade erst waren Sie in Burkina Faso, dann in Amsterdam, danach mit dem Stück „Mea culpa“ in Wien. Woher nehmen Sie die Kraft dafür?

Christoph Schlingensief: Reisen war für mich früher nie ein Problem, ich kam an, hab gearbeitet, und dann fuhr ich wieder ab. Und jetzt komm ich an und bin kompliziert, fast fremdle ich. Heute zum Beispiel bin ich ganz nah am Wasser gebaut. „Mea culpa“ war ein Riesenerfolg, es kommen viele Zuschauer, die selbst Krebs haben, und mir geht das sehr an die Nieren. Aber die Leute im Burgtheater, die ganzen Techniker, die sind wie meine Familie, und das gibt mir extreme Kraft. Jetzt fahr ich heim und muss erst wieder mit mir alleine klarkommen. Aber Afrika hat mir viel Kraft gegeben.

DIE FURCHE: Warum Afrika?

Schlingensief: Nicht, weil ich denen kolonialmäßig mal den Goethe vorlesen will! Ich finde es viel wichtiger, dort hinzufahren und etwas zu lernen. Ich hab in Burkina einen Architekten kennen gelernt, Francis Kéré, der ist der Sohn eines Häuptlings, lebt das halbe Jahr in Berlin und hat gerade einen großen Architekturpreis gewonnen. Er baut daheim Schulen aus Lehm, mit ganz wenig Beton und einem Belüftungssystem ohne Strom. Dadurch hat es innen 25 Grad, auch wenn draußen 44 Grad im Schatten sind. Der hat uns mitgenommen zu seinem Vater, und der lebt da in der völligen Einöde. Der ist Christ, und dort wohnt auch der Onkel, der ist Moslem.

DIE FURCHE: Ist das ein Problem?

Schlingensief: Dort gehört es fast zum guten Ton, zwei-, dreimal im Leben die Religion zu wechseln. Großartig! Diese kleinkarierte Gütertrennung, die wir praktizieren im Religiösen und im Kulturellen, das ist so unnütz! Ich hab keine Lust mehr, mich mit Leuten zu streiten, die ihre Lebensfreude vergeuden und nicht kapieren, dass man helfen kann, indem man einfach zuhört. Dass man mehr loben sollte als tadeln, das sagt ja auch Joseph Beuys.

DIE FURCHE: Was ist derzeit das große Thema in Ihrem Leben?

Schlingensief: Das Festspielhaus in Afrika. Diese Idee hab ich seit Jahren schon. Ich hatte immer das Gefühl, meine Arbeiten müssen auch einen sozialen Kontext haben. Ich hab viel mit Behinderten gearbeitet, mit ALS-Patienten (Amytrophe Lateralsklerose, die zu einer langsamen Totallähmung führt, Anm.), mit Obdachlosen bei der Bahnhofsmission in Hamburg. Selbst der Wien-Container mit den Asylbewerbern hatte ein soziales Thema. Aber erfüllt hat es mich nicht ganz, ich wollte immer etwas Langfristiges hinkriegen. Wie kann ich Zukunft erzeugen für Leute, die das noch nutzen, wenn ich nicht mehr da bin? Ich lebe ja auch nur, weil jemand vor mir den Weg freigeräumt hat.

DIE FURCHE: Aber Oper ist doch eine sehr europäische Kunstform.

Schlingensief: Ich will um Himmels Willen jetzt nicht Bayreuth da runtertragen, das wäre absolut daneben. Bayreuth ist schon schlimm genug in Bayreuth. Aber es wäre schön, die Oper auf das Wesentliche zurückzuführen. Heute ist das eine Betonveranstaltung, die Musik ist ja ganz nett, aber der einzige Gag, der ihnen einfällt, ist, es blutig zu machen oder jemanden nackt über die Bühne zu schicken. Und das ist für mich sowas von abartig langweilig, das kann ich gar nicht ausdrücken.

DIE FURCHE: Gibt es schon einen konkreten Plan für das Festspielhaus?

Schlingensief: Ich denke, wir werden es in Burkina Faso bauen, aber die Entscheidung fällt erst im Oktober. Ich fahr jetzt noch zu Henning Mankell nach Mosambik, mit dem war ich in der Jury bei der Berlinale, der betreibt dort ein Theater. Vielleicht fahr ich noch nach Ruanda, aber tief drin kenne ich meine Entscheidung. In Burkina lebt ein Volk, das keine richtigen Kriege führt, die sind so etwas wie die Schweiz Afrikas. Rundherum sind Ghana, Togo, Mali, Elfenbeinküste und so, alle sind da mal durchgezogen, und dabei bleibt immer was liegen. Die Afrikaner haben ja nie etwas wirklich archiviert, aber man kann ja mal sagen: Du schreib doch auf, was erzählen deine Eltern für Geschichten, was ist bei euch passiert. Dazu brauch ich aber ziemlich viel Geld. Eine halbe Million haben wir schon fast zusammen, eine brauchen wir noch.

DIE FURCHE: Wie groß soll das werden?

Schlingensief: Die Schule soll für fünf- bis sechshundert Leute sein, dann kommt da noch eine Musikschule dazu, eine Filmschule – es gibt schon eine, aber ich möchte eine für Kinder machen, wo man den zwölfjährigen so billige Flip-Kameras mit nach Hause gibt, das wird Youtube aus Afrika! Dann machen wir eine Großküche, ein Krankenhaus, und auch eine Kirche. Die wird aber sehr frei sein, die hat alle Kirchen inklusive, da hat nicht ein Mohammed oder ein Jesus das Monopol.

DIE FURCHE: In Ihrem Buch „So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!“ ist der Glaube etwas, das den Gedankenfluss fast ständig begleitet. Ist der durch die Krankheit zurückgekehrt?

Schlingensief: Ich hab meinen Glauben ja gelernt als katholischer Messdiener, so mit Gott als Mann mit dem Bart. Das hat mich in der kranken Phase überhaupt nicht mehr interessiert. Die Mutter Maria mit ihrem Gewand, das ist für mich als Kind schön gewesen. In der Kirche weiß immer der Priester wo’s langgeht, aber das ist eine Herrengesellschaft, die gar nicht im Leben steht. Das gottähnliche System hängt jetzt für mich nicht mehr an einer Religion. Ich mochte das in Brasilien und in Nepal sehr, wo der Glaube synkretistisch ist, die Leute nehmen sich ein bisschen von diesem Gott und ein wenig von jener Naturgewalt. Die Beziehung des Menschen zu sich selber ist doch die größte Gottesfrage: Ich bin Teil Gottes – wenn ich mich nicht mag, dann mag ich also Gott nicht. Wenn ich so damit umgehe, dann bin ich auch Erzeuger dieser Welt und habe die Verantwortung, die Gott vielleicht gar nicht aufbringen kann, wenn er von der Kirche vertreten wird. Da hängt Jesus ja nur irgendwie im Tabernakel rum und muss warten bis wir ihn essen, und Gott schwebt da drüber.

DIE FURCHE: Gott, Jesus und Maria – diese Sonderdreifaltigkeit kommt bei Ihnen immer wieder vor.

Schlingensief: Ja, aber die sind vielleicht schon längst weg und haben uns längst vergessen. Die Kirche hat mir nicht geholfen, aber die Auseinandersetzung mit meinem Glauben: Was ist eigentlich das Leben, und was passiert, wenn der Tod kommt? Ich kann nicht in den Schoß Gottes einkehren im Moment, ich kann nicht sagen ‚Ich bin so weit‘, das kommt mir noch sehr fremd vor. Ich liebe das Leben enorm, ich glaube, ich hab hier noch Einiges zu tun.

DIE FURCHE: Was für ein Verhältnis haben Sie jetzt zu Gott?

Schlingensief: Es ist doch kein Problem, wenn einer Atheist ist, letzten Endes werden wir uns ja alle weiterhin in diesem Universum da aufhalten, so oder so. Wenn ich zum Himmel gucke, seh ich ja auch Licht von Sternen, die schon lange tot sind, aber die leuchten immer noch. Die Energie wird nicht weg sein. Wenn ich es auf Erden schaffe, jemandem einen Weg in die Zukunft zu bauen, dann ist das das Tollste. Vielleicht schaffe ich es dann auch zu sagen, so, jetzt sterbe ich, das war’s für mich, aber ich habe etwas gemacht, mit dem jemand anderer weiterlebt. Ob ich dann Gott treffe? Wenn das ein bärtiger Mann ist, der mich tadelt, weil ich falsch geparkt habe oder meine Freundin schief angeguckt oder zu viel gesoffen, dann sag ich ihm, beruhigen Sie sich, so kleinkariert muss es echt nicht ablaufen. Aber das ist ja das Dilemma. Bei Waffenschiebern zum Beispiel hoff ich schon, dass es ein Tribunal gibt im Himmel! Bei Politikern auch.

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