"Ich muss einfach geduldig sein“

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Der Steyler Missionar P. Kofi Patrick Kodom blickt als Schubhaftseelsorger in die Abgründe des Asylwesens - und erlebt als Priester in Zivil tagtäglich am eigenen Leib, was es heißt, in Österreich schwarz zu sein.

Es war eine ganz normale Woche: dienstags Menschen aus Nigeria, Gambia und der Karibikinsel Antigua im Wiener Polizeianhaltezentrum am Hernalser Gürtel; und mittwochs an der Roßauer Lände drei Frauen aus Nigeria und eine aus Marokko. Die Marokkanerin ist P. Kofi Patrick Kodom schon vertraut: Seit drei Monaten sitzt sie hier in Schubhaft; jeden Mittwoch kommt sie in seine Sprechstunde und alle zwei Wochen besucht sie seinen Gottesdienst. Konkrete Hilfe oder rechtliche Wunder kann die verzweifelte Frau nicht von ihm erwarten. Nur zwei offene Ohren, Mitgefühl und zum Abschluss ein Gebet.

Ihre Geschichte ist unendlich kompliziert - wie die Geschichten der meisten Menschen, die voll Hoffnung auf ein besseres Leben nach Europa aufgebrochen sind, sich bis Österreich durchgeschlagen haben und nun hinter Wiener Gittern auf ihre Abschiebung warten. Wann es bei der Frau aus Marokko so weit ist - und wo sie überhaupt landen könnte - weiß noch niemand. Nur ihr schlechter Gesundheitszustand ist gewiss: Weil Angst und Panik sie nicht schlafen lassen, bekommt sie Psychopharmaka.

Lieber sterben als das Gesicht verlieren

Seit fünf Jahren schon versucht P. Kofi Patrick Kodom, in der abgründigen Welt der Schubhaft so etwas wie Seelsorge zu leisten. Anders als Angehörige der Inhaftierten, die in Kojen hinter Glasscheiben Platz nehmen und zum Telefonhörer greifen müssen, sitzt er ihnen direkt vis-à-vis. Menschen in Hungerstreik, die sich durch diese Verzweiflungsaktion ihre Freilassung erhoffen, spendet er Trost; jenen, die ihn darum bitten, schenkt er eine Bibel, einen Koran oder einen Rosenkranz; und manchmal packt er auch eine Telefonwertkarte aus, damit Häftlinge vor der Abschiebung zumindest ihre Verwandten kontaktieren können. Es sind bange Momente, erzählt der Seelsorger: "Auch wenn sie schwer enttäuscht worden sind: Manche wollen lieber hier sterben als in ihrer Heimat ihr Gesicht zu verlieren.“

Wenn P. Kofi dienstags oder mittwochs in T-Shirt und Sportschuhen das Polizeianhaltezentrum verlässt, muss er einmal tief durchatmen. Bis heute machen ihn die bürokratischen Hindernisläufe im Asylbereich oft fassungslos. Bis heute kann er nicht verstehen, dass Menschen, die der bitteren Armut ihrer Heimat entfliehen wollen und Kopf und Kragen für ein besseres Leben riskieren, als bloße "Wirtschaftsflüchtlinge“ bezeichnet werden und womöglich hinter Gittern landen. Doch anders als früher hat er mittlerweile gelernt, sich abzugrenzen. "Das ist aber nicht leicht“, sagt der 42-Jährige. Schließlich fühle er sich berufen.

Die Berufung hat ihn mitten in Ghana zu den Steyler Missionaren geführt. Hier, im kleinen Dorf Kranka, wird er 1969 an einem Freitag geboren, wie sein erster Vorname "Kofi“ verrät; hier wird er (katholisch) Patrick getauft, obwohl es in seiner Familie auch Anglikaner, Muslime und Anhänger von Naturreligionen gibt; und hier trifft er als Kind einfacher Bauersleute auf jenen Orden, der 1875 vom deutschen Priester Arnold Janssen gegründet worden ist. Der junge Mann geht ins Priesterseminar, studiert Philosophie, Theologie und Französisch - und stimmt zu, als Missionar nach Europa zu gehen. Auf der Länderliste macht er sein Kreuz ganz oben: bei A wie Austria.

2001 landet P. Kofi Patrick Kodom schließlich im Provinzhaus der Missionare in St. Gabriel bei Mödling - und spürt recht bald, was es heißt, in diesem Land ein Schwarzer zu sein. Um Deutsch zu lernen, muss er täglich nach Wien zu einem Sprachinstitut pendeln - und wird in der Straßenbahn oft als Einziger von der Polizei kontrolliert. "Anfangs habe ich mich sehr geärgert“, erinnert er sich. "Bis ich mir gesagt habe: Ich darf das nicht persönlich nehmen. Hier geht es nicht um mich, sondern um alle schwarzen Menschen.“ Aus Solidarität legt er im Alltag seine Priesterkleidung ab, erst Recht, als ihn ein Arbeitspraktikum nach Linz zur Voest Alpine an den Hochofen führt. "Du Neger, geh zuerst hin, da ist es so heiß wie in Afrika“, höhnen die Kollegen - bis der Bischof ihn besucht und als Priester outet. Auf einmal wird aus dem Neger der Hochofen-Pfarrer. Und P. Kofi geht aus Protest in Zivil.

Er will das Leben ungeschönt erleben. Deshalb meldet er sich nach drei Jahren in Innsbruck auch für den Dienst im Flüchtlingslager Traiskirchen. Und als er dort erfährt, dass jene, die in Schubhaft landen, ohne Seelsorge sind, bittet er als Mitglied des Vereins "Fair und Sensibel - Polizei und AfrikanerInnen“, diese Arbeit übernehmen zu dürfen. Er hat Glück - und darf.

"Ich warte auf einen Nachfolger“

Fünf Jahre ist das mittlerweile her, und nicht selten war P. Kofi fast am Ende seiner Kräfte. Er kann keine Rechtsberatung leisten, darf nicht einmal Anwälte vermitteln. Wie hält man so etwas aus? "Wenn ich einfach aufhöre, weil ich müde bin, dann ist alles umsonst gewesen“, sagt der schwarze Missionar. "Also warte ich auf einen Nachfolger. Aber ich muss geduldig sein.“ Einstweilen will er hoffen - und weiter täglich nach jenem Motto leben, das sein Glaube ihm aufgetragen hat: "Ich war im Gefängnis, und ihr habt mich besucht.“

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