"Ich schreibe aus Unzufriedenheit"

Werbung
Werbung
Werbung

Mit ihrem ersten Roman "Das Geisterhaus" landete sie 1982 gleich einen Weltbesteller. Seitdem gehören Bücher von isabel allende ("Eva Luna", "Paula", "Die Stadt der wilden Götter" ...) zur weltweit beachteten und gelesenen Literatur. Ein Gespräch über das Buch "Mein erfundenes Leben", "magischen Realismus" und "Nostalgia".

Die Furche: In ihrem neuen Buch "Mein erfundenes Land" kommen Sie auf den "magischen Realismus" zu sprechen - interessanterweise gerade in dem Kapitel, in dem Sie auch über Gott reden.

Isabel Allende: Den "magischen Realismus" gibt es überall auf der Welt, das ist nichts genuin Lateinamerikanisches. Er beschreibt die Fähigkeit zu verstehen, dass die Welt, in der wir leben, ein sehr mysteriöser Ort ist, an dem viele Dinge geschehen, die wir uns nicht erklären können. Seltsame Übereinstimmungen, prophetische Träume, unerklärliche und seltsame Ereignisse, sei es aus der Welt der Religion oder des Aberglaubens. In allen Kulturen gibt es dafür eine Bezeichnung, wir in Lateinamerika haben dafür die des "magischen Realismus".

Die Furche: Gibt es Schnittpunkte von Religion und Magie?

Allende: Das alles ist eine Frage der Semantik und der Wortwahl. Was der weiße Mann glaubt, das ist Religion, was der Rest der Welt glaubt, das ist Aberglaube. Das, was Kirchen und große organisierte Gemeinschaften glauben - das nennt man Religion, egal ob es sich um die katholische Kirche, um die Mormonen, aber auch Muslime oder Juden handelt. Das hat also einen gewissen Wert. Alles andere nennt man dann Aberglaube. Wenn wir es aber genau betrachten, gibt es da keinen wesentlichen Unterschied, all das ist Magie, die man nicht beweisen kann. Sie glauben vielleicht an Gott, aber meine Großmutter nennt dasselbe Phänomen den Geist der Toten, wo liegt da der Unterschied?

Die Furche: Ist Ihre Literatur "magischer Realismus"?

Allende: Meine Literatur ist sehr realistisch. Ich erzähle die Dinge so, wie sie sind. Und im Leben gibt es viele Aspekte, die sich einfach einer Erklärung widersetzen. Das ist wie mit den Emotionen: Manchmal bewirken sie, dass wir ganz außergewöhnliche Taten setzen. Warum beispielsweise ziehen wir in den Krieg? Aus Angst! Was aber ist die Angst? Eine unantastbare Emotion, die wir nicht rechtfertigen können. Gerade spielt sich in der Welt eine politische Katastrophe ab, Gewaltausübung steht an oberster Stelle. Da werden Emotionen geschürt, die unantastbar sind. Hat das nicht auch etwas Magisches an sich?! Über all das schreibe ich, es geht um menschliche Beziehungen. Ich versuche also, der Literatur die Dimension des wirklichen Lebens zu geben, das eben nie nur realistisch ist: Viele Dinge sind nicht erklärbar.

Die Furche: Sie gelten immer noch als lateinamerikanische Schriftstellerin, leben aber in den Vereinigten Staaten. Was können die Europäer und Nordamerikaner von der Weltsicht der Lateinamerikaner lernen?

Allende: Die Lebensweise der Lateinamerikaner gleicht der der Menschen in anderen weniger entwickelten Ländern - egal wohin auf der Welt man blickt. Bei uns ist der Gemeinschaftssinn viel stärker ausgeprägt als der Individualismus. In der westlichen Welt, den USA und Europa, gibt es eine Überhöhung des Individuums. Der Einzelne gilt mehr als die Gemeinschaft. Wir kommen aus einer Kultur, in der die Gemeinschaft, die Familie, das Zusammenleben im Dorf wichtiger sind als die individuellen Bedürfnisse. Diesen verlorenen Gemeinschaftssinn müssen wir wieder zurückgewinnen, das wäre sehr wichtig.

Da gibt es das Gefühl einer tiefen Unsicherheit, das Leben - ja unsere ganze Welt - ist nicht sicher. Was tun Europäer und Nordamerikaner? Sie habe eine Obsession entwickelt, die der Sicherheit. In den USA gibt es Versicherungen für alles und jedes! Wenn jemand auf der Straße auf einer Bananenschale ausrutscht, kann er sogar die Stadtverwaltung klagen. Wir wollen Sicherheit, aber in den meisten Ländern der Welt ist das Leben nicht sicher. Was tun? Man muss sich dem Risiko stellen!

Die Furche: Sie sagen, dass die Sehnsucht eine starke Triebkraft Ihres Schreibens darstellt. Es gibt da so einen Topos, vielleicht sogar das Klischee, dass Unzufriedenheit und Unglück große Literatur gebären helfen.

Allende: Ich kann das für mich nicht so einfach sagen. Jeder Autor hat andere Motivationen. Es gibt Künstler, die vom Glück inspiriert schaffen wie Marc Chagall! Aber die meisten künstlerischen Produkte entspringen einem Zustand des Mangels. Man fühlt, da fehlt etwas! Und daraus beginnt man zu suchen, eine Wahrheit zu suchen, eine Erklärung, man beginnt Ordnung in das Chaos und die Anarchie der Welt zu bringen. Und es entsteht der Wunsch, das alles in eine künstlerische Gestalt zu bringen, in meinem Fall ist es Literatur. Wenn ich etwas geschrieben habe, verstehe ich es, vorher verstehe ich es nicht! Mein Motiv zu schreiben ist die Unzufriedenheit, das innere Chaos in mir. Die Angst mit Worten etwas eingrenzen zu müssen.

Die Furche: Und wie steht es mit dem, was man im Spanischen "Nostalgia" - also Sehnsucht - nennt?

Allende: "Nostalgia" ist ein Gefühl, mit dem ich das Adjektiv kitschig verbinde: Traurig und süß und so auch lähmend. Man sperrt sich ein, es ist eine romantische Emotion - ich kenne das aus der Zeit, als ich in Venezuela im Exil gelebt habe, auf Grund der Diktatur nicht nach Chile zurückkehren konnte. Aber jetzt ist das anders, ich kann zurück und reise auch mehrmals im Jahr nach Chile! Deshalb gibt es dieses Gefühl jetzt nicht, sondern mehr das der Zärtlichkeit und der Wut, das sind die Gefühle, die sich derzeit in Verbindung mit meiner Heimat bilden. Die angesprochene Sehnsucht gibt es jetzt also nicht, obwohl aus diesem Gefühl mein Roman "Das Geisterhaus" geschrieben wurde, mit dem ich meine verlorene Heimat Chile wiedergewinnen wollte.

Die Furche: Sie schreiben, Chile sei das katholischste Land der Welt ist, mehr als Irland. Welche Spuren hat der Katholizismus in ihrem Leben und Denken hinterlassen?

Allende: Ich bin in einem sehr konservativ-katholischen Milieu aufgewachsen. Deshalb meine Vorliebe für die Magie, Religion ist ja Magie, für das Unerklärliche. Mich faszinieren Rituale und Zeremonien. Das Mysteriöse der Religion zieht mich an, die Frage: Warum braucht und sucht die Menschheit Gott? Und auch die ihn leugnen, anerkennen ihn ja damit als existent an! Auch der Tod interessiert mich, er ist eine Schwelle um von einem Zustand in einen andern zu kommen. All diese Fragen bewegen mich!

Die Fragen stellte Klaus Ther für das ORF-Magazin "Orientierung".

Schreiben als beständige Übung der Sehnsucht

"Keine Angst, altes Haus, drei Jahre lebst du noch." Dieser Ausspruch ihres Enkels Alejandro, der die Großmutter beim Betrachten des Spiegelbildes überrascht, waren das eine Motiv für Isabel Allende, die Lebenszeit zu nutzen und ihr Buch "Mein erfundenes Land" anzugehen. Die Frage eines Lesers, welche Rolle das Heimweh in ihren Romanen spiele, bildete den zweiten Anstoß. Und so entstand das eben auch auf Deutsch übersetzte "Mein erfundenes Land", das eine Projektion ihrer Erinnerungen und Sehnsüchte nach Lateinamerika darstellt: "Bis dahin ist mir eigentlich nicht klar gewesen, dass mein Schreiben eine beständige Übung der Sehnsucht ist", hat Allende über das Buch gesagt.

Die chilenische Schriftstellerin wurde 1942 als Diplomatentochter in Lima/Per\0xFA geboren. 1958 kehrte sie nach mehreren Stationen mit der Familie nach Chile zurück. Ab 1959 arbeitete sie für die UNO in Santiago de Chile, danach wurde sie Journalistin und schrieb Geschichten für Kinder. Als Nichte von Salvador Allende, des 1973 von den Pinochet-Putschisten ermordeten Staatspräsidenten Chiles, ging Isabel Allende 1975 ins Exil nach Venezuela, wo sie als Journalistin und Lehrerein arbeitete. 1982 gelang ihr mit dem Roman "Das Geisterhaus" weltweit der literarische Durchbruch. Ende der achtziger Jahre heiratete sie Willie Gordon, ihren zweiten Mann, mit dem sie seitdem in Kalifornien lebt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung