Identität durch Vielfalt

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Die Indologin Bettina Bäumer über das pluralistische Fundament der indischen Gesellschaft: die Vielzahl von Religionen und die facettenreichen Formen der Mehrheitsreligion Hinduismus.

Bettina Bäumer wurde in Salzburg geboren und studierte Philosophie, Indologie und Theologie. Sie lehrt als Gastprofessorin in Wien und Salzburg und ist Consultant am Indira Gandhi National Centre for the Arts in Varanasi.

Die Furche: Der Schriftsteller Sashi Tharoor meint, den Religionen sei es zu verdanken, dass Indien eine pluralistische Gesellschaftsordnung habe. Tatsächlich ist es schwer sich vorzustellen, dass so viele Religionsgemeinschaften, Hindus, Moslems Christen, Sikhs, Parsen unter dem Dach einer Demokratie zusammenleben. Welche Rolle spielt dabei der Hinduismus, dem 80 Prozent der Inder anhängen?

Bettina Bäumer: Der Hinduismus trägt auf der positiven Seite das Toleranzmodell schon in sich. Er ist ein Konglomerat von verschiedenen spirituellen Richtungen und Traditionen, keine klassische Religion wie etwa der Islam, in dem Sinn, dass der Gläubige strikt einer Version des Glaubens zu folgen hätte. Daher gibt es hier auch platz für Demokratie. Das Negative am Hinduismus ist natürlich das Kastenwesen.

Die Furche: Sie haben die vielen Schattierungen des Hinduismus erwähnt. Welches sind die konstanten Merkmale?

Bäumer: Der Zweck, den der Hindusismus verfolgt, ist die Befreiung des Individuums. Im Christentum würde das Erlösung heißen. Der Hinduismus kennt die Erlösung aus dem Kreislauf des Samsara, der Gebundenheit an die Welt. Das kann auf verschiedenen Wegen erfolgen. Was bei uns bekannt ist, ist Yoga. Aber Yoga meint hier nicht wie im Westen eine Gesundheitsrichtung, sondern die Vereinigung mit dem Göttlichen. Das steht in einem religiösen Kontext nicht nur von praktischen Übungen. Das ist ein Weg zur Befreiung. Es gibt dazu auch sehr gesellschaftsbezogene Strömungen. Dazu zählt alles, was den Tempelkult betrifft, gemeinschaftliche Feste, oder eben einen spirituellen Meister, um den sich seine Schüler scharen, das hat große gemeinschaftliche Aspekte.

Die Furche: Von einen pluralistischen Erbe ist bei den Vertretern des radikalen hinduistischen Nationalismus, der Hindutva, nur noch wenig zu spüren.

Bäumer: Das ist auch das Interessante, dass die Fundamentalisten eigentlich von der Religionswissenschaft aus betachtet unhinduistisch sind, weil sie das Dasein auf einen Monotheismus mit dem Gott Ram reduzieren. Das ist eine sehr entfremdete Form des Hinduismus. Dieser Meinung sind auch viele traditionelle Hindus. Viele sagen: Das ist nicht unsere Religion.

Die Furche: Trotzdem hatten die Nationalisten sehr großen politischen Erfolg.

Bäumer: Ja, aber man muss bedenken, dass 80 Prozent der Wähler wenig gebildet sind. Dadurch sind sie auch leichter in die Irre zu führen mit den einfachen Botschaften der Fundamentalisten. Sie glauben die Reden über die Mehrheitsreligion, die sich gegenüber den anderen verteidigen müsse. Das wirkt wie eine Gehirnwäsche.

Die Furche: Zulasten der anderen Religionen, vor allem der Moslems.

Bäumer: Es gab große Spannungen zwischen den Fundamentalisten beider Seiten, die auch immer wieder durch Terrorakte geschürt wurden, wie jenen von Mumbai 2008. Aber trotzdem muss man sagen, dass sich die Lage in den vergangenen Jahren sehr gebessert hat. 1992, als fanatische Hindus die Babri-Masjid-Moschee von Ayodhya zerstörten, verursachte das einen Religionskrieg. Davon sind wir heute weit entfernt. Hier in Varanasi gab es im Dezember einen Anschlag durch eine Muslimsplittergruppe auf Hindus, bei dem es auch zwei Tote gab. Trotzdem kam es zu keinen Racheakten. Diese radikalen Gruppen sind jetzt nicht mehr so dominierend.

Die Furche: Sie haben vorhin das Kastenwesen angesprochen. Es gibt Berichte wonach auch christliche Gemeinschaften, etwa in Kerala, Reglements des Kastenwesens übernommen haben.

Bäumer: Ja, das betrifft Christen, aber auch Muslime. Ich selbst habe eine Freundin, die aus einer christlichen Familie kommt und sehr stolz darauf ist, dass ihre Familie ursprünglich Brahmanen sind. Das Kastenwesen ist eine Gesellschaftsstruktur. Es ist eine Struktur, die sich von der Religion unabhängig gemacht hat. Das Tragische ist, dass das beispielsweise zur Folge hat, dass es unter anderem Kirchen für die höheren Kasten gibt und solche, wo nur die Outcasts hingehen. Damit wird die christliche Gemeinschaftsidee zerstört. Aber selbst Priester verteidigen dieses System. Es passiert auch, dass Priester, die als Outcasts geboren wurden, von Christen nicht ernst genommen werden.

Wie geht es den Christen im Umfeld so vieler Religionen?

Bäumer: Das Zusammenleben der Christen mit den Hindus ist eigentlich friedlich. Mutter Theresa wurde von den Hindus hoch geschätzt, ebenso christliche Institutionen wie Schulen und Krankenhäuser. Natürlich gibt es Zwischenfälle. Aber die Berichterstattung rückt diese Ausnahmen sehr in den Vordergrund.

* Das Gespräch führte Oliver Tanzer

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