Ihr Korn in die Erde gelegt

Werbung
Werbung
Werbung

Dorothee Sölle hat sich - mit allen selbstkritischen Anfragen - als Theologin und Schriftstellerin bezeichnet. Es ist es ihr nämlich darum gegangen, dass der Glaube heute eine neue Sprache braucht. Diese neue Sprache ist notwendig, damit die Religion des armen Schluckers aus Nazareth weiterleben kann. Das nannte sie Theopoesie, ihr widmete sie ihre ersten und letzten Arbeiten, noch am Abend vor ihrem Tod hat sie bei einer Veranstaltung der Evangelischen Akademie in Bad Boll aus ihren Gedichten gelesen.*)

Ein besonderer Satz einer solchen Theopoesie ist: Das weiche Wasser bricht den Stein. Dorothee Sölle schreibt, dass sie dieser Satz ihr Leben lang begleitet hat. Es ist für sie ein revolutionärer und spiritueller Satz zugleich, der ihre Verbindung von politischem Engagement und mystischer Kontemplation ausdrückt.

Als sie vor einiger Zeit als einzige Frau mit 25 Männern eingeladen wurde, ein Gedicht theologisch zu interpretieren, wählte sie bezeichnenderweise ein Stück anonymer Poesie. Die Dichterin (oder der Dichter) beschreibt in diesem Text die Angst, ein Korn aus der Hand zu geben, weil: Ich habe nie erlebt, daß es Frühling gibt. Erst am Schluss, nachdem der Geliebte sagt: Es gibt Frühling! heißt es: Ich lege mein Korn in die Erde. Wer der Botschaft vom Frühling vertraut, kann loslassen.

In diesem Vertrauen konnte Dorothee Sölle schreiben: Es spielt keine Rolle mehr, daß ich wahrscheinlich sterben werde, ehe das weiche Wasser den Stein gebrochen hat und der Krieg gegen die Armen und die Mitgeschöpfe, in dem wir leben, zu Ende ist.

So ist es nun gekommen.

Poesie teilt das, was ist. Und Gott, so hat Dorothee Sölle im Gefolge der Mystik formuliert, ist das Allermitteilsamste.

Das Korn ihrer Theopoesie ist in die Erde gelegt.

Der Autor ist Oberkirchenrat der Evangelischen Kirche A.B.

*) Nachruf auf D. Sölle auch auf Seite 2.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung