"Ihr Narrativ entlarven"

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Warum der Kampf gegen den Dschihad im Netz so schwierig ist und ein muslimisches Gegen-Narrativ die beste Maßnahme wäre, erklärt Terrorexperte Felipe Pathé Duarte.

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Warum der Kampf gegen den Dschihad im Netz so schwierig ist und ein muslimisches Gegen-Narrativ die beste Maßnahme wäre, erklärt Terrorexperte Felipe Pathé Duarte.

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Das Ausspionieren von Dschihadisten im Netz gehört zu den Aufgaben von Felipe Pathé Duarte, Forschungsleiter bei "Global Risk Awareness". Außerdem ist der Politikwissenschaftler spezialisiert auf geopolitische Analysen in den Bereichen Gewalt und Religion, Sicherheit und internationale Politik.

DIE FURCHE: Wieso sind die Dschihadisten im Netz so erfolgreich?

Duarte: Dort braucht es nur diese radikale Idee, zu der man sich hingezogen fühlt. Alle von uns könnten potenzielle Dschihadisten sein, denn all die Botschaften, Narrative, Doktrinen, Identitätsangebote und Taktiken werden online verbreitet. Derzeit erleben wir einen Dschihad 2.0. Jemand in den Vorstädten von Leeds kann sich leicht mit wem in Syrien austauschen. So wurde der Dschihadismus zum globalen Phänomen.

DIE FURCHE: Ist das Blocken der Netz-Aktivitäten eine Sisyphos-Arbeit?

Duarte: Ja. Es gibt täglich tausende radikale Tweets -wie soll man das überwachen? Ich glaube, die Dschihadisten sind sämtlichen Behörden zwei Schritte voraus. Sie kreieren Scripts, sodass es unmöglich ist, sie ausfindig zu machen. Wir müssen bessere Instrumente entwickeln, um die Aktivitäten in den sozialen Netzwerken zu analysieren, damit wir die Dimension der Bedrohung einordnen können.

DIE FURCHE: Wie kann man sich den Kampf gegen den Online-Dschihadismus vorstellen?

Duarte: Stellen Sie sich vor, Sie wären ein Geheimagent, wie James Bond. Sie verwenden die Werkzeuge des Geheimdienstes, um das "deep and dark web", eine tiefere Schicht des Netzes, zu entern. Sie kreieren verschiedene Identitäten, beginnen, mit anderen zu kommunizieren und bauen ein Vertrauensverhältnis auf. Meist dauert das ein halbes Jahr oder ein Jahr. Danach erhalten Sie Zugang zu den Chatrooms der Dschihadisten und Einblick in das Ausmaß der Vorgänge: Wer zu Gewalt aufruft, wie die Person heißt, etc.

DIE FURCHE: Wieso lassen sich Leute von derart brutalen Videos der Dschihadisten manipulieren?

Duarte: Nehmen wir an, Sie sind ein 20-jähriger Pakistani der zweiten oder dritten Generation. Sie sind nicht sehr religiös, aber voller Erwartungen an das Leben. Sie können aber Ihre Ziele nicht erreichen, sind frustriert und in einer Identitätskrise, denn Sie betrachten sich nicht als Pakistani, werden aber von der Aufnahmegesellschaft auch nicht völlig akzeptiert. Plötzlich gibt es ein Narrativ, das Ihnen alle Antworten liefert und die Instrumente für Ihren Kampf.

DIE FURCHE: Was macht dieses islamistische Narrativ so mächtig?

Duarte: Es ist simpel, es schafft ein unglaubliches Gemeinschaftsgefühl, bietet dir Identität und vor allem die Möglichkeit, Gewalt auszuüben, mit Waffen, etc. Insofern hat es sogar etwas Kindliches: "Jetzt bin ich stark und kämpfe für etwas, das größer ist als ich selbst." Man kämpft gegen die USA, ist ein heiliger Krieger - diese Rhetorik ist sehr stark. Es ist schwer, gegen explizite Gewalt anzukommen.

DIE FURCHE: Wie könnte eine sinnvolle Prävention aussehen?

Duarte: Wer einmal radikalisiert ist, ist nur schwer aus dem Sumpf herauszuziehen. Man muss bei der Bildung, der Integration ansetzen, und dafür brauchen wir die Imame, die der eigenen Community klarmachen: Wenn ihr Muslime sein wollt, macht da nicht mit, das ist nicht der wahre Islam. Daran arbeiten wir seit über 20 Jahren. Die geistliche Führung müsste sich klar vom Dschihadismus distanzieren, das passiert zu wenig. Das Narrativ dahinter muss entlarvt und dekonstruiert werden, das wäre die beste Gegenmaßnahme, um Fundamentalisten zu isolieren.

DIE FURCHE: Warum funktioniert das denn nicht besser?

Duarte: In Europa gab es in den 60er-bis 80er-Jahren Terror von der extremen Rechten und vor allem von der extremen Linken. In den 80er- und 90er-Jahren konnten viele aus der Arbeiterklasse aufsteigen. Sie zogen aus den proletarischen Vorstädten weg, während sich viele Immigranten aus muslimischen Ländern dort ansiedelten.

DIE FURCHE: ...Und in diesen Ghettos können die europäischen Dschihadisten bestens operieren.

Duarte: Ja. Die Abwesenheit eines extrem linken oder extrem rechten Narrativs erlaubt es einem anderen Narrativ, Fuß zu fassen. Es ist dasselbe Muster: Sie wollen den Status quo mit Gewalt ändern. Aus Worten werden Taten, man kann für die Zugehörigkeit zu einer Klasse, Ethnie oder Religion töten. Derzeit ist der Dschihadismus das attraktivste Narrativ in Europa.

DIE FURCHE: Im Zuge der "Flüchtlingskrise" in Österreich glauben manche, es gäbe eine Verbindung zwischen muslimischen Flüchtlingen und islamistischem Terror.

Duarte: Nein. Damit sollte man sehr vorsichtig sein: Eine Islamophobie könnte ein gefundenes Fressen, eine Rechtfertigung für Islamisten darstellen, westliche Länder zu attackieren. Die meisten Dschihadisten versuchen die Legitimierung ihrer Attacken in der Idee zu finden, dass die muslimische Gemeinschaft bedroht wäre. Aber der Islam an sich wird nicht attackiert, und der Dschihadismus repräsentiert nicht den Islam.

DIE FURCHE: Investiert die EU genug Geld in Prävention?

Duarte: Nein. Das Geld wird in den Kampf gegen Terror gesteckt. Nach den Attacken auf Charlie Hebdo hat die EU viel Geld in die Analyse sozialer Netzwerke investiert. Die Rechtfertigung von Terrorismus und Gewalt und der Aufruf dazu wird nun als Verbrechen geahndet. Aber unsere Antworten kommen immer zu spät. Die Attacken auf Charlie Hebdo hätten verhindert werden können.

DIE FURCHE: Wie lange wird uns das Problem noch begleiten?

Duarte: Ich denke, es wird ein generationenübergreifendes Problem werden. Die Islamisten sagen, sie brauchten auch während der Kreuzzüge 200 Jahre, um Jerusalem zu befreien. Ein Taliban-Führer sagte zu einem US-General: "Ihr habt vielleicht die besseren Uhren, aber wir haben Zeit."

Entstanden im Rahmen von "eurotours 2015", einem Projekt des Bundespressedienstes im Bundeskanzleramt.

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