6653971-1959_18_11.jpg
Digital In Arbeit

Im Banne des Schreckens

19451960198020002020

DIE ATOMBOMBE UND DIE ZUKUNFT DES MENSCHEN. Von Karl Jaspers. Verlag Piper. München. 506 Seiten. Preis 25 DM

19451960198020002020

DIE ATOMBOMBE UND DIE ZUKUNFT DES MENSCHEN. Von Karl Jaspers. Verlag Piper. München. 506 Seiten. Preis 25 DM

Werbung
Werbung
Werbung

Nach den aufsehenerregenden Rundfunkansprachen Sės gi-ößen Philosophen hat man dieses Buch mit Spannung erwartet — in gewisser Beziehung ist es eine Enttäuschung. Das Wunschbild des Propheten, dessen Wort und Beispiel eine innere Wandlung des Menschen herbeiführen müsse, wird hier noch weniger glaubwürdig und verdämmert hinter einer verwirrenden Fülle geistreicher Analysen zur Situation unserer Zeit. Das Buch geht von der Alternative aus: Entweder Atomkrieg mit restloser Vernichtung alles Lebens auf der Erde oder Unterwerfung unter den Totalitarismus mit restlosem Verlust von Freiheit und Menschenwürde.

Beide Grenzsituationen sind fiktiv: es liegt weder in den Absichten noch in der Macht der Weltmächte, das Leben des Menschen auf der Erde auszulöschen. Ein Atomkrieg, geführt bis zur völligen Vernichtung des wirtschaftlichen und militärischen Potentials des einen Kombattanten würde wohl viele Millionen Toter, Kranker und Krüppel, schwere Schäden an der Erbgesundheit der Menschheit über Generationen hinaus, die Zerstörung von kulturellen und zivilisatorischen Werten in höchstem Ausmaß bedeuten — ein schauriges Bild, das wir nicht durch das billige Schlagwort von der „Vernichtung alles Lebens” entwerten sollten. Denn auch nach einem Atomkrieg würde die Menschheit weiterleben und wieder vor das Problem ihrer Existenz gestellt sein. Der Totalitarismus in seiner höchsten Vollendung scheint wohl das Dasein nicht lebenswert zu machen, aber auch er ist nichts absolutes, sondern nur Menschenwerk (eine Relativierung, die Jaspers recht freigiebig der Religion und Kirche gegenüber verwendet) und daher vom Menschen aus zu verändern, Freiheit und Menschenwürde können wohl geknechtet und gedemütigt, aber nie vernichtet werden, da sie mit dem Menschen in der Schöpfung untrennbar verbunden sind.

In der schwülen Treibhausluft dieser fiktiven Alternative läßt Jaspers den verspäteten Sproß der Aufklärung erblühen, die rettende „große Vernunft”, die als eine Art Ersatz- und Ueberreligion angeboten wird. Die kirchliche Religion findet man als Absatz behandelt in dem Kapitel „Wovon an Stelle der Vernunft die Rede sein kann”. Dort lesen wir: „Die Kirchen sind heute noch wirksame Organisationen” — der übernatürliche Charakter der Kirche ist Jaspers offenbar ein Greuel. Im Hauptteil des Buches wird die Rolle der Vernunft, von der eine „neue Denkungsart” des Menschen ausgehen soll, in einer Reihe von psychologischen, soziologischen und historischpolitischen Betrachtungen behandelt: Die Idee des vernünftigen Staatsmannes, Vernunft und Widervernunft im geschichtlich-politischen Weltwissen. Die Vernunft scheint utopisch. Wo bleibt noch Vertrauen? In einer Fülle von scharfsinnigen Thesen und Antithesen, Aphorismen und Paradoxen zeigt sich die bedenkliche Halt- und Richtungslosigkeit unserer Zeit dem unerbittlich scharfen Blick dieses geistreichen Kritikers. Gewiß, eine für jeden von uns sehr nützliche Lektüre! Wie viele der uns wohlvertrauten Denk- und Sprechformeln erweisen sich heute bei kritischer Betrachtung als hohl und kraftlos, auch im Gebiet unseres religiösen Lebens! Ein Meisterstück ist zum Beispiel die Erörterung der Lage des Forschers im Atomzeitalter, insbesondere die Unter”- suchung über die bekannte Erklärung der „Göttinger 18”. Stellenweise tritt uns die in Deutschland jetzt sehr beliebte, aber auch in anderen Ländern Europas verbreitete Neigung entgegen, die Empörung der „öffentlichen Meinung” gegen die Regierung auf den Plan zu rufen — eine Erscheinung, die mutatis mutandis in den Vereinigten Staaten in der allgemeinen Geringschätzung der Regierung ihre Entsprechung hat und die zu einer tiefgreifenden Krise der Demokratie werden könnte.

Es ist eigentümlich, daß in diesem 500 Seiten starken Buch nirgends ernstlich der Versuch gemacht wird, die wahren, tieferen Wurzeln der Kriegsgefahr und der Kriegsbereitschaft aufzudecken. Die billige Meinung, daß nur die Politiker daran schuld seien, ist eine weitere Fiktion, die den Leser unbefriedigt läßt. Gewiß, der Autor betont wiederholt, daß er keine Lösung empfehlen, sondern nur zum Nachdenken und zur Selbstbesinnung führen wolle. Und darin liegt auch der unbestreitbar sehr große Wert des Buches, auch und besonders für den katholischen Christen. Dies hat dem Autor aber auch schon den Vorwurf eingebracht, das allgemeine Unbehagen nur vermehrt zu haben. Denn viele werden den Verzicht auf eine Lösung als einen Beweis für die Ausweglosigkeit aus der vom Autor postulierten fiktiven Alternative empfinden. Man hat den Eindruck, daß der Autor über die von ihm abgelehnte Fragestellung, was nun zu „machen” sei, selbst nicht hinauskommt und auf dem von ihm begangenen Weg auch gar nicht hinauskommen kann, woran auch der in alttestamentlicher Verhüllung auftretende Gott der Philosophen nichts zu ändern vermag. Ohne die Gnade des Glaubens bleibt auch die Liebe unwirksam und die Hoffnung eitel — und auch die sittliche Forderung machtlos, die doch am Anfang aller lleberlegungen stehen müßte. Es ist uns wohl nicht aufgegeben, aus einer postulierten Alternative einen Ausweg zu suchen, sondern für die in der Vertrauensentscheidung des Glaubens begründete sittliche Forderung einzustehen — in jeder Situation!

EWIGE HÖHEN. Ein Bildbuch mit 180 photographischen Aufnahmen, Text von Andrė Guex. Fretz-und-Wasmuth-Verlag, Zürich-Stuttgart. Preis 40.50 sfr.

Die Schweiz, so hat Orson Welles einmal ungalant behauptet, habe seit Jahrhunderten außer Uhren nichts Nennenswertes hervorgebracht. Man kann darüber diskütieren, aber für den Bereich des Verlegerischen kann diese Behauptung nicht gelten. Den Eidgenossen verdanken wir eine große Anzahl hervorragend ausgestatteter Druckwerke — die nun mit dem vorliegenden Bildband „Ewige Höhen” um ein weiteres vermehrt worden ist. ln dem stattlichen Buch sind viele Arbeiten erprobter Bergphotographen vereinigt, die als photographische Leistung und als Reproduktion gleichermaßen Anerkennung heischen und dem Betrachter in eindringlich-unaufdringlicher optischer Sprache Wucht und Schönheit der Schweizer Bergwelt vor Augen führen. Ein echter männlicher, den Alpen und der Alpinistik verbundener Geist spricht aus ihnen. Er geht durch das ganze Werk, in dem Liebe, Mühe und fachliches Können eine Symbiose eingehen. In sinnvoller Anordnung werden da nicht nur Eisriesen, Felsbänke, Mauern und Grate gezeigt, sondern die ganze Vielfalt des Gebirges, also Flora, Fauna, Alm und See, das Leben der Bewohner und der Kampf um die Gipfel.

Besonderes Gewicht erhält der Bildband aber durch den sprachlich meisterhaften, in fünf Abschnitte unterteilten Essay Andrė Guex’. Seine Sachkenntnis bringt eine nuancenreiche Schilderung der Volksund Sagenkunde, informative Details aus der Geschichte der Alpinistik und monographische Studien über verschiedene Bergpioniere, dann eine tiefschürfende Abhandlung der Problematik malerischer Erfassung der Berge und Kommentare namhafter Künstler zu ihr. Last, but not least, schreibt Guex eine ernste Betrachtung über das Vordringen der Technik in die Bergwelt und seine Konsequenzen. Daß den Hochspannungsleitungen die Sessellifts und ihnen die wirbelnden Massen folgen, ist wohl unausbleiblich. Daß die Bergeinsamkeit einst zum Tummelplatz von Snobs werden wird, ist zu fürchten. Diesen „Bergfreunden” ist es freilich unmöglich, einen Lebenswert (wie etwa die „Alpinistik”) um seiner selbst willen zu begreifen. Ihnen wird darum auch Gaston Rėbuffats, des französischen Eiger-Nordwand-Bezwingers, Wort: „La vie, ce luxe de l’existence” nichts weniger als ruchlos erscheinen. Die Berge aber sind das letzte Revier der großen Abenteuer in einer durchorganisierten Welt, deren Wohlfahrtsgesinnung und Kleinteilung des Alltags das Abenteuerliche, das ein Grundstoff menschlichen Lebens ist, unterdrücken, lähmen und zerstören. Das alles einmal ins Bild gehoben zu haben, ist das Verdienst dieses wertvollen Werkes.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung