Im Dorf der IS-Rekruten

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Bosnien ist heute eine der größten Rekrutierungsstellen für die Terrormiliz IS. Als wichtigstes Anwerbezentrum gilt das Dörfchen Gornja Maoca. Eine Spurensuche.

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Bosnien ist heute eine der größten Rekrutierungsstellen für die Terrormiliz IS. Als wichtigstes Anwerbezentrum gilt das Dörfchen Gornja Maoca. Eine Spurensuche.

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Die Reifen rotieren im Schlamm. Der Weg in das abgelegene nordbosnische Bergdorf Gornja Maoca ist kurvenreich. Ein Ortseingangsschild gibt es nicht in der Siedlung, in der die notdürftig hochgezogenen Häuser schon wieder zerfallen. Auch keine Geschäfte. Aber es gibt eine Wand, auf die das Wappen des "Islamischen Staats" gemalt ist. Auch ohne Handyempfang spricht sich schnell herum, dass Journalisten im Ort sind. Hektisch werden die schwarzen Flaggen des IS von den Häusern entfernt. Ein Mann versucht die hektische Aufräumaktion zu erklären: "Wir haben mit diesen Leuten nichts zu tun. Sie haben das Dorf verlassen, wir wissen nicht, wohin".

Bosnien ist eine der größten Rekrutierungsstellen des IS in Europa. Experten schätzen, dass mindestens 1000 Personen vom Balkan zum Kämpfen in den Irak und nach Syrien gezogen sind. Hinzu kommen Bosniaken, die inzwischen deutsche, österreichische oder serbische Staatsbürger sind. Als wichtigstes Anwerbezentrum gilt Gornja Maoca. Im Dezember vergangenen Jahres wurden Einwohner des Dorfes bei einer Razzia festgenommen. Anfang Februar durchsuchten erneut Spezialeinheiten das Dorf. Es wurde über Terrorcamps nahe der Siedlung spekuliert.

Waffen und Attentate

Die Taten der Männer aus Gornja Maoca erzählen eine eigene Geschichte. Am 28. Oktober 2011 eröffnete Mevlid Jasarevic mit einer AK-47 das Feuer auf die US-Amerikanische Botschaft in Sarajevo und schrie dabei "Allahu Akbar". Der junge Mann, der zuvor in Gornja Maoca lebte, verletzte bei dem Terroranschlag zwei bosnische Polizisten, bevor er von Sicherheitskräften niedergeschossen wurde. Er überlebte und wurde von einem bosnischen Gericht zu 18 Jahren Haft verurteilt.

Jasarevic ist wie viele Einwohner seines Dorfes Anhänger des Wahabismus, der ultrakonservativen Glaubensrichtung des Islam, die vor allem in Saudi-Arabien verbreitet ist und seit dem Bosnienkrieg vermehrt Anhänger in der Region findet. Tausende Mudschaheddin kamen damals aus Nordafrika, dem Nahen und Mittleren Osten, um auf Seiten der bosnischen Muslime zu kämpfen.

Islamistische Netzwerke aus dem Bosnienkrieg sind weiterhin aktiv und stehen heute dem "Islamischen Staat" zur Verfügung. Damals reisten viele Islamisten über Wien nach Bosnien, um auf der Seite ihrer Glaubensbrüder zu kämpfen. Heute machen viele Bosnier eine Zwischenstation in Wien, bevor es über Istanbul in die Gebiete geht, die vom "Islamischen Staat" kontrolliert werden.

Religiöser Führer der wahabitischen Gemeinde in Gornja Maoca war lange Zeit Nusret Imamovic. Laut Angaben der bosnischen Spezialpolizei Sipa warb er seit 2012 um Dschihadisten für den Syrienkrieg. Imamovic verließ Bosnien-Herzegowina illegal am 28. Dezember 2013, um sich den sunnitischen Al-Nusra Brigaden in Syrien anzuschließen. Seit 2014 steht er auf der Terrorliste der USA.

Die Lebensrealität in Gornja Maoca hat mit dem restlichen Bosnien kaum etwas gemein. Die Frauen sind vollverschleiert und dürfen nicht mit Fremden sprechen. Zwei von ihnen spannen einen Regenschirm auf und blicken mit dem Gesicht gegen eine Wand, damit sie nicht fotografiert werden können. Einige der Männer werden aggressiv und drohen: "Wenn wir Bilder von uns im Internet finden, dann bekommt ihr Probleme". Schon öfter wurden Journalisten in Gornja Maoca angegriffen. Heute jedoch ist auch eine Polizeistreife vor Ort.

Das Problem des Islamismus in Bosnien ist jedoch nicht nur Sache abgelegener Bergdörfer. 150 Kilometer südlich von Gornja Maoca liegt die Hauptstadt Sarajevo. Hier wird in Gaststätten neben den Moscheen Schweinefleisch gegessen und Bier getrunken. Katholische und orthodoxe Kirchen befinden sich unweit von Synagogen und Moscheen. Etwa sieben Kilometer Talkessel trennen die osmanisch geprägte Altstadt von den kommunistischen Blockbauten Neu-Sarajevos. Die Hochhäuser wurden im ehemaligen Jugoslawien hochgezogen. Ein 20 Stockwerke hoher Block steht neben dem nächsten. Dort, wo 1984 das olympische Dorf stand, sind die Blockfassaden noch übersät mit Einschusslöchern aus dem Bosnienkrieg. Aus den Ruinen des Kriegs wuchs das neue Bosnien-Herzegowina.

In Titos Neu-Sarajevo gab es keine prächtigen Gotteshäuser. Im Jahr 2000 wurde hier mit Geldern aus Saudi-Arabien die größte Moschee Südosteuropas fertiggestellt. Die König-Fahd-Moschee gilt als eine Hochburg der wahabitischen Szene des Landes.

Der Pförtner dieser Moschee ist Elvir Rizvic. Er geht gerne zu Fußballspielen und ab und an auch ins Wirtshaus. Stolz führt er interessierte Besucher durch das Gebäude:

"Früher gab es hier gar keine Moschee, jetzt finden hier an Ramadan bis zu 4000 Menschen Platz." Die Vorwürfe, dass es sich um eine Hochburg der Islamisten handelt, kennt er und winkt ab: "Sehe ich für euch etwa aus wie ein Islamist? Das ist alles Unsinn." Viele der Moscheebesucher sind gemäßigte Muslime. Dennoch kamen viele der bosnischen Dschihadisten zum Gebet hierher. Die wahabitische Ausrichtung des Islam, die hier gelehrt wird, hat wenig mit der moderaten hanafitischen Tradition in Bosnien-Herzegowina gemein. Es waren vor allem Gelder aus den Golfstaaten, die eine neue Interpretation des Islam nach Bosnien brachten.

Der "Verräter"

Sarajevo war bis zum 9. Februar auch der Arbeitsort von Mirsad Kebo. Das Interview, das er an diesem Tag gibt, ist eines der letzten in seiner Funktion als Vizepräsident. Zweimal schon hat er den Krebs besiegt und trainiert in seiner Freizeit Taekwondo. Um sich zu motivieren, klebt er die Gesichter ehemaliger Parteikollegen aus der SDA an den Boxsack, bevor er darauf einschlägt.

Kebo hat der Staatsanwaltschaft tausende Seiten Dokumente überlassen, welche dabei helfen sollen, die Identität von ausländischen Kämpfern aus dem Bosnienkrieg und deren Kriegsverbrechen aufzuarbeiten. Von vielen Bosniaken wird ihm deswegen Verrat vorgeworfen. Doch er weist diese Vorwürfe zurück: "Ich habe niemals die Armee der Republik Bosnien-Herzegowina kritisiert. Ich spreche über die Verbrechen, die ausländische Islamisten im Krieg gegen Zivilisten begangen haben."

Mirsad Kebo hat in den vergangenen Wochen die Seiten gewechselt. Laut eigener Aussage wollte er nicht mehr mit ansehen, wie das Land von seinen ehemaligen Parteifreunden der bosniakisch-konservativen SDA ausgebeutet wird und sich immer weiter von Europa entfernt. Er behauptet, dass es vor dem Bosnienkrieg 1992 keine Islamisten in Bosnien-Herzegowina gab. Der bosnische Islam sei tolerant und ein Teil Europas. Seine Vorwürfe sind brisant, weil sie sich gegen amtierende Politiker richten. Die meisten davon Mitglieder der SDA, aus der er selbst 2013 ausgetreten ist: "Der Präsident Bakir Izetbegovic ist der Führer des Extremismus in Bosnien-Herzegowina. Die Kontakte zu den Mudschaheddin von damals bestehen bis heute." Warum er so lange geschwiegen hat, bevor er mit diesen Informationen an die Öffentlichkeit ging?"Es war Krieg, und manche Dinge brauchen eben ihre Zeit. Es hat ja auch 25 Jahre gedauert bis zu Willy Brandts Kniefall in Warschau." Die Spezialkräfte der Sipa sprechen von vier Dörfern, die heute in der Hand extremistischer Wahabiten sind. Neben Gornja Maoca sind das Dubnica, Bosanksa Bojna und Osve. Keines der Dörfer hat mehr als 1000 Einwohner.

Von Syrien bis nach Wien

Vor dem Bosnienkrieg gab es auch in Gornja Maoca keine Islamisten. In dem Dorf lebten einst bosnische Serben, die aus Holz Gebrauchsgegenstände gefertigt haben. Von ihrer einstigen Anwesenheit zeugt heute nur noch ein serbisch-orthodoxer Friedhof in der Nähe des Dorfes. Nach dem Krieg verkauften die Serben ihre Häuser zu Spottpreisen. Angesiedelt haben sich dort arme Bosniaken, Mudschaheddin und Hilfsorganisationen aus den Golfstaaten. Weil der bosnische Staat nirgendwo aktiv war, fiel es den Islamisten leicht, ihre Interpretation des Islam durchzusetzen. Nach den Plänen des IS-Anführers Abu Bakr al-Baghdadi soll der Balkan bis nach Wien Bestandteil des Kalifats werden, das die dschihadistische Terrororganisation in den Gebieten des Iraks und Syriens ausgerufen hat. In Gornja Maoca werden schon einmal die Flaggen gehisst.

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