"Im Gewissen war er aufgeklärt"

Werbung
Werbung
Werbung

Zuerst waren es die Friedensbewegten, später propagierten auch konservative Kirchenführer Jägerstätters Beispiel. Von Otto Friedrich

Wenn am 26. Oktober, dem österreichischen Nationalfeiertag, Kardinal José Saraiva Martins im Linzer Dom namens des Papstes die Seligsprechung Franz Jägerstätters vornimmt, ist die kirchliche Sensation perfekt: Noch vor wenigen Jahren hätten nur wenige darauf gewettet, dass Jägerstätter in der Logik vatikanischer Prozeduren eine Chance auf die Erhebung "zur Ehre der Altäre" haben könnte. Noch keine zehn Jahre ist es her, dass auch der Autor dieser Zeilen in der römischen Heiligsprechungskongregation zu hören bekam, Jägerstätter sei ja ein "Umstürzler" gewesen: Dass man so jemanden selig sprechen könne, sei ja doch kaum denkbar.

In der Tat waren es zuerst pazifistische Gruppen und Galionsfiguren, die das Beispiel des 1907 geborenen und 1943 in Brandenburg hingerichteten Bauern aus dem Innviertler Flecken St. Radegund ans Licht brachten: Der amerikanische Soziologe Gordon C. Zahn war der erste, der 1964 (auf deutsch: 1967) eine Biografie Jägerstätters recherchierte und veröffentlichte. 1965 nannte der Alterzbischof von Bombay, Thomas Roberts SJ, auf dem II. Vatikanum den Namen Jägerstätters: "Märtyrer wie er sollen nie das Gefühl haben, dass sie allein sind." Hierzulande wurde er 1971 durch Axel Cortis Film "Der Fall Jägerstätter" bekannt - und ein Vorbild für friedensbewegte Christen.

Ein langer Atem war nötig - etwa von Jägerstätter-Biografin Erna Putz, die seit Jahren Gedenkveranstaltungen und-symposien in Jägerstätters Heimatort veranstaltet. Putz hat neben ihrer ausführlichen Biografie von 1997 soeben die Kurzfassung "Franz Jägerstätter - Leuchtendes Beispiel in dunkler Zeit" (Buchverlag Franz Steinmaßl, Grünau 2007) veröffentlicht und berührende Jägerstätter-Texte neu herausgebracht (siehe Seite 2). Aber erst als linker Umtriebe gewiss unverdächtige Hierarchen wie der Wiener Kardinal Schönborn sich das Beispiel Jägerstätters, den Dienst in der Deutschen Wehrmacht aus christlichen Gewissensgründen zu verweigern und dafür in den Tod zu gehen, zu Eigen machten, geriet Bewegung in die Sache. Die Diözese Linz hatte unter Bischof Maximilian Aichern 1997 ein Seligsprechungsverfahren eröffnet, das 2001 abgeschlossen wurde, Postulator des Verfahrens war der heutige Innsbrucker Bischof Manfred Scheuer (Interview rechts).

Noch sechs Jahre dauerte es, bis der Vatikan am 1. Juni 2007 bestätigte, dass Jägerstätter ein Märtyrer ist. Damit stand der Seligsprechung nichts mehr im Weg, denn bei Märtyrern bedarf es keines zusätzlichen Wunders, um den Status eines Seligen zu erreichen.

INFOS: www.jaegerstaetter.at

Der neue Selige als "Kommunikator" zwischen den Strömungen in der Kirche: Das wünscht sich Innsbrucks Bischof Manfred Scheuer.

Die Furche: Franz Jägerstätter wird in einer Aussendung der österreichischen Bischofskonferenz als "Märtyrer des Gewissens" bezeichnet.

Manfred Scheuer: Jägerstätter war keiner, der der Mehrheit nach dem Mund geredet hat, und er wollte sich nicht auf allgemeine Vorschriften und Regeln ausreden. Im Gewissen war er aufgeklärt, das heißt, er hat sich des eigenen Denkens bedient. Er bezog sich in seiner Urteilskraft auf das kirchliche Lehramt und nahm dieses auch beim Wort, als die meisten Bischöfe schwiegen. In der Rückschau erinnert sein Ge-wissensprotest gegen das nationalsozialistische Unrechtsregime daran, dass die Maßstäbe von Gut und Böse unverrückbar bleiben.

Die Furche: Sie haben sich persönlich über Jahre hinweg für die Seligsprechung von Franz Jägerstätter engagiert. Gibt es dafür persönliche Gründe?

Scheuer: Es war der Auftrag meines damaligen Bischofs Maximilian Aichern, der mich zur Auseinandersetzung mit Jägerstätter führte. Nach und nach bin ich mit seinen Briefen und Aufzeichnungen vertraut geworden. Faszinierend waren die Gespräche mit Zeitzeugen und mit seiner Familie. Es gibt eine persönliche Beziehung und zugleich eine gewisse Fremdheit. Es bleiben Fragezeichen - vor allem mir selbst gegenüber.

Die Furche: Jägerstätter thematisierte immer wieder den Begriff "Mitverantwortung". Gibt es für Sie einen aktuellen Bezug. Ich nenne unter anderem Ihre Position für ein Bleiberecht in der Asylfrage.

Scheuer: Eine Stoßrichtung gegenwärtiger Bedeutung würde ich in der Wahrnehmung der Opfer und des Leidens sehen. Gegenüber den heutigen Individualisierungstendenzen geht es um öffentliche Verantwortung. Wenn einzelne Asylwerber oder auch eine Familie nach einigen Jahren abgeschoben werden, ist zu fragen: Was wird damit an bereits vollzogener Integration zerstört, welche Beziehungen gehen kaputt? Bei einem humanitären Bleiberecht für Menschen, die mit ihrer Familie schon mehrere Jahre in Österreich sind und sich hier auch integrieren, geht es um ein Recht, nicht um bloße Gnade, freilich nicht um ein automatisches und nicht um ein undifferenziertes Recht.

Die Furche: Wird sich diese Seligsprechung in-nerhalb der katholischen Kirche in Österreich nachhaltig auswirken? Wo und in welcher Form wird der "Selige Franz" spürbar werden?

Scheuer: Ich hoffe, dass das Gedenken an Franz Jägerstätter zum offenen Raum für Erzählen, Bekenntnis und Hoffnung wird. Hoffnung, die auch die Täter und Verführten mit einschließt. Und noch eines: Ganz unterschiedliche Stilrichtungen der österreichischen Kirche haben einen positiven Zugang zu Jägerstätter. Ich hoffe, dass Jägerstätter zum Kommunikator zwischen Gruppierungen der Kirche wird, die kaum mehr miteinander reden und sich wenig bis nichts zu sagen haben.

Das Gespräch führte Bernd Wachter.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung