Gerade die beinahe unüberschaubare Vielfalt des Angebots zeichnet die heutige postmoderne Welt aus. Dies gilt sowohl für das materielle als auch für das geistige Angebot. In einem Supermarkt hat man schon beim Einkauf einer Seife die Qual der Wahl. Junge Menschen stehen heute im Supermarkt der Sinnangebote vor einem Überangebot an Lebensalternativen und Lebensstilen. Diese Sinnangebote werden aber immer uneindeutiger, fragiler, unvollendeter, diffuser, sie bieten den Jugendlichen keine Klarheit mehr, keine Eindeutigkeit und somit kaum Vertrautheit. Gerade die digitalen Kommunikationsmedien verschaffen Jugendlichen wie auch Erwachsenen einen Zugang zu diesem Hyperangebot.
Wenn es um islamisch-religiöse Orientierung ging, dann waren es früher primär die Familie, die Moschee und der Religionsunterricht, die die religiöse Sozialisation maßgeblich geprägt haben. Heute sind es viel mehr die virtuellen Peergroups, also die Freunde aus dem Internet, sowie die unüberschaubaren Angebote an religiösen Auslegungen, die im Netz in Form von Vorträgen, Diskussionen, Texten usw. jedem zur Verfügung stehen. Bei dieser Fülle an religiösen Angeboten, die traditionelle Formen der religiösen Erziehung, vor allem der institutionellen, wie Kirchen und Moscheen, ablösen, stellt sich nicht mehr die Frage nach der einzig richtigen Auslegung.
Jugendliche sind heute Sinnbastler, die durch diese Sinnangebote navigieren. Religiöse Erziehung soll nicht mehr darauf abzielen, die einzig richtige Deutung von Religion zu vermitteln, sondern vielmehr, die Jugendlichen dazu zu befähigen, konfliktfrei durch das Leben zu navigieren. Scheitert dieses Navigieren, beginnt die Suche nach Eindeutigkeit, nach der einzig wahren Auslegung der Religion. Und so bietet gerade der Fundamentalismus einen gefährlichen Ausweg aus dem Hypermarkt an religiösen Angeboten.
Der Autor leitet das Zentrum für Islamische Theologie an der Uni Münster
