Im Namen Gottes gegen den Rausch

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"In den sogenannten 'dry counties' (trockene Bezirke) ist der Verkauf von Alkohol auch heute noch stark reglementiert oder gänzlich untersagt, in vielen Schichten gilt Alkohol als 'No Go'."

Es glich 2016 einem mittelgroßen Skandal, als der evangelikale US-Pastor Perry Noble, Gründer der "New Spring-Church", einer evangelikalen Kirchengemeinschaft mit mehreren tausend Gläubigen in South Carolina, vom Leitungsgremium seiner eigenen Kirche aufgrund seines Alkoholkonsums aus dem Dienst entlassen wurde. Als er nach seinem fristlosen Rauswurf während eines Interviews, in dem er sich öffentlich zu seinem Alkoholproblem bekannte, dabei gleichzeitig auf einen großen Prozentsatz evangelikaler Amtsträger hinwies, die unter demselben Problem litten, schien das moralische Dilemma perfekt. "Wir müssen für Menschen wie Perry beten!", stellte etwa der Prediger Ed Stetzer auf Christianity Today, dem einflussreichsten Magazin evangelikaler Christen in den USA, klar und ließ keinen Zweifel daran, dass sich Alkohol und ein wahres christliches Bekenntnis, wie es sich viele der protestantischen Freikirchen vorstellen, nicht vereinbaren ließen. "Dennoch bleibt es auch eine christliche Pflicht, alkoholkranken Menschen beizustehen und ihnen zu helfen."

Das Thema "Alkohol" ist in Teilen der USA auch heute noch umkämpft und wird vielerorts noch als Tabu gehandelt: Zahlreiche (nicht selten religiöse) Gruppen stemmen sich weiterhin gegen den scheinbar übermächtigen Feind, wenngleich vor 100 Jahren das Kräfteverhältnis bereits zugunsten der Alkoholgegner entschieden zu sein schien, als der US-Senat den Gesetzesentwurf zu einem umfassenden, allgemeinen Alkoholverbot vorlegte.

Trotz eines Vetos von Präsident Wilson

Dass an jenem 18. Dezember 1917 in weiten Teilen der USA mitunter frenetischer Jubel ausbrach, war keinesfalls ausgemacht: Weder war der Erste Weltkrieg beendet, noch hatte sich die Wirtschaft, die durch die amerikanische Kriegsteilnahme nicht unwesentlich in Mitleidenschaft gezogen worden war, nachhaltig erholt. Nichtsdestotrotz hatten viele Meinungsführer der amerikanischen Gesellschaft die Entscheidung des US-Senats, die an diesem Tag verkündet wurde, jahrelang sehnlichst erwartet und feierten den Vorstoß der US-Politiker bereits als Sieg gegen den erbitterten Erzfeind. Letzten Endes hatten dann auch die US-Senatoren der breiten Front unterschiedlicher religiöser, politischer und gesellschaftlicher Gruppierungen nachgegeben und den Gesetzesentwurf zum 18. Verfassungszusatz offiziell vorgeschlagen.

Das Resultat dieses Artikels, der schließlich am 28. Oktober 1919 vom Kongress trotz eines Vetos des damaligen US-Präsidenten Woodrow Wilson ratifiziert werden sollte, war die bis heute für viele europäische Ohren unvorstellbare Zeit der US-amerikanischen Prohibition, in der die Erzeugung, der Transport und der Verkauf von alkoholischen Getränken verfassungsrechtlich verboten wurde. Geschichten um die organisierte Kriminalität, die den Alkohol trotz Verbot weiterhin in den Bundesstaaten produziert und vertrieben haben, sind legendär, ihre Protagonisten lieferten Stoff für zahllose Bücher, Filme und Legenden -schließlich waren sie es auch, die maßgeblich am Scheitern des nationalen Alkoholverbotes nach nur 14 Jahren beteiligt waren.

Die Konsequenzen dieser Zeit sind jedoch bis heute in vielen Teilen besonders der südlichen USA weiterhin spürbar: Mancherorts, in sogenannten "dry counties"(trockene Bezirke), ist der Verkauf von Alkohol immer noch stark reglementiert oder gänzlich untersagt, an einigen öffentlichen Colleges gilt schon der Besitz als Grund für den Verweis von der Universität und in vielen Schichten wird Alkohol als gesellschaftliches "No Go" argwöhnisch beäugt. Dies hat weniger damit zu tun, dass auch Präsident Trump keinen Tropfen Alkohol zu sich nimmt, sondern ist vielmehr in der religiösen und politischen US-Geschichte zu suchen.

Die "Temperance"-Bewegung

Die Wurzeln der "Temperance"-Bewegungen reichen bis ins 18. Jahrhundert zurück, doch erhielten sie ihre politische Schlagkraft und gesellschaftliche Breite insbesondere nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg. Ausgangspunkt der gesellschaftlichen Bewegungen am Beginn des 20. Jahrhunderts, die sich öffentlich und politisch gegen den um sich greifenden Alkoholmissbrauch in der US-Gesellschaft formierten und schließlich zur nationalen Prohibition führten, war jedoch ein handfestes soziales Problem, das fast alle Bevölkerungsschichten durchzog.

Noch 1979 bezeichnete der US-Historiker William J. Rorabaugh die USA des 19. Jahrhunderts als eine "Alkoholiker-Republik", eine "nation of drunkards"(Nation der Trunkenbolde). Es scheint kein Zufall zu sein, dass damals gerade jene Bevölkerungsschicht ihre Rechte mit besonders starkem Nachdruck einforderte, die am meisten unter dem Alkoholismus der männlichen Bevölkerung zu leiden hatte: Unter charismatischen Anführerinnen, wie etwa der methodistischen Mitbegründerin und zweiten Präsidentin der "Women's Christian Temperance Union"(WCTU), Francis Willard, formierten sich Frauenbewegungen im ganzen Land, die öffentlich und politisch gegen den Alkoholmissbrauch vorgingen und die gehasste Substanz aus der Gesellschaft verbannt wissen wollten. Große Teile der weiblichen US-Bevölkerung fanden im Alkoholismus ihrer Männer eine gemeinsame Bedrohung, gegen die sie ihre Kräfte bündelten.

Öffentlichkeitswirksam, wenngleich auch in Europa nach wie vor eher unbekannt, waren besonders die Saloon-Attacken von Carrie Nation: Die gläubige Protestantin aus Kansas, die in ihrer ersten Ehe mit einem schweren Alkoholiker verheiratet gewesen war, fühlte sich nach einer göttlichen Vision dazu berufen, gleich in mehreren Bundesstaaten Saloons und Bars im Alleingang anzugreifen. Während ihre Angriffe auf die "Pfuhle des Alkoholismus", bei denen sie, mit Axt und Bibel bewaffnet, die Gaststätten demolierte, zu mehr als 40 Verhaftungen und Verurteilungen führten, gewann sie in vielen Südstaaten, wie etwa Texas oder Arkansas, eine breite Anhängerschaft in großen Teilen der Bevölkerung.

Protestanten gegen irische Katholiken

In ihrem Ansinnen fanden Frauen wie Willard oder Nation insbesondere auch in evangelikalen und protestantischen Kreisen regen Zuspruch, in denen etwa von überzeugten fundamentalistischen Christen der damaligen Zeit, beispielsweise dem Prediger Billy Sunday, ebenfalls die Nüchternheit als christliche Tugend schlechthin herausgestellt wurde. Die religiöse Spitze dieser Bewegungen war nicht zuletzt gegen die katholischen Einwanderer aus Irland, denen immer schon ein erhöhter Alkoholgenuss nachgesagt wurde und die diese Substanz insbesondere auch für ihren Gottesdienst benötigten, gerichtet. Das Ergebnis jener Umstände war eine breite gesellschaftliche Front aus religiösen Gruppierungen und Frauenbewegungen, die sich für einen nationalen Alkoholbann einsetzten.

Der Erste Weltkrieg trug ein Übriges dazu bei: Das Getreide der US-Landwirtschaft sollte besser für die Kriegsführung gespart werden und nicht in die Herstellung alkoholischer Produkte investiert werden. So wurde der Prohibition insbesondere auch ein kriegswichtiger Rang zugesprochen. Damit war auch ein wirtschaftlicher Grund für das Alkoholverbot gefunden, eine zeitweilige Verfügung während des andauernden Kriegszustandes ebnete den Weg in eine dauerhafte Prohibition, die schließlich 1919 in Kraft trat.

Deren schnelles Ende war nach nur 14 Jahren im Verfassungsrang zwar denkbar schnell wieder erreicht -die damit verbundenen Aktivitäten am Schwarzmarkt und illegale Produktion stellten schlichtweg eine zu große Einnahmelücke für den Staat dar, was besonders in der Zeit nach der Weltwirtschaftskrise zu spüren war -doch blieb das Idealbild vieler US-amerikanischer Kreise streng enthaltsam. Politisch und insbesondere wirtschaftlich gesehen, scheint die Prohibition der 1920er-Jahre in der heutigen US-Gesellschaft zwar für viele unvorstellbar und in weite Ferne gerückt zu sein, dennoch reichen ihre Auswirkungen in etliche Gebiete der USA bis in die Gegenwart: Dazu zählen nicht nur -wenngleich am offenkundigsten - gesetzliche Beschränkungen in zahlreichen südlichen US-Bundesstaaten, sondern vor allem auch gesellschaftliche und nicht zuletzt religiös besetzte Stigmata, die auch heute noch dem Alkohol zugeschrieben werden.

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