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In den Höhlen der Wüste Juda

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Neue aufsehenerregende Handschriftenfunde.

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Neue aufsehenerregende Handschriftenfunde.

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Die Ausgabe der „Lettres de Jerusalem“ vom 31. Dezember 1952, die vom dominikanischen Bibelinstitut in Jerusalem veröffentlicht werden, berichtet von neuerlichen aufsehenerregenden Handschriftenfunden in der Wüste Juda. Um phantastischen und unsachlichen Nachrichten zuvorzukommen, sei hier von diesen neuesten Funden kurz berichtet.

In unmittelbarer Nähe der Höhle, aus der 1947 und 1949 die bisher bekanntgewordenen Texte von En Feschcha, auch Totes-Meer-Rollen genannt, zutage gefördert wurden, gelang den Beduinen ein neuer Fund f. In einer Höhle fanden sie Fragmente des sogenannten Damaskusdokuments, das bisher, obwohl nur aus mittelalterlichen Abschriften bekannt, aus inhaltlichen Gründen mit den En-Feschcha-Texten in Zusammenhang gebracht wurde. Ebenso drangen die Beduinen in eine nähe davon entfernt gelegene Felsenhöhle ein, die sich an einer Stelle befindet, wo das Gelände irgendeinen Fund dieser Art kaum vermuten ließ. Von den Beduinen aufmerksam gemacht, untersuchten vom 22. bis 29. September 1952 Mitglieder der Antikenabteilung des Königreichs Jordanien, des dominikanischen Bibelinstituts in Jerusalem und des Palästinamuseums die von den Beduinen glücklicherweise noch nicht gänzlich in Unordnung gebrachte Höhle. Das Ergebnis dieser Untersuchung ließ erkennen, daß die Funde aus dieser Höhle bedeutender sind als die aus der Höhle von En Feschcha. Es wurden zahlreiche Fragmente alttestamentlicher Bücher gefunden, darunter hebräische und aramäische Bruchstücke des Buches Tobias. Außerdem schienen zum erstenmal in diesem Gebiet Fragmente des Alten Testaments in Griechisch auf. Außer biblischen Büchern wurden noch eine Reihe von bisher bekannten wie unbekannten nichtkanonischen Werken gefunden.

Im Wadi en Nar wurde eine Reihe von arabischen Papyri des 7. bis 9. Jahrhunderts n. Chr. gefunden, außerdem eine Anzahl oft sehr kleiner griechischer Fragmente, die etwa in die Zeit vom 5. bis zum 8. Jahrhundert n. Chr. zu datieren sind, darunter Teile des Buches der Weisheit, des Markusevangeliums, des Johannesevangeliums, der Apostelgeschichte und nichtkanonischer Werke. Außerdem wurden aus derselben Höhle Fragmente in christlich-palästinensischem Syrisch zutage gefördert, darunter Teile des Buches Josua, des Lukasevangeliums, des Johannesevangeliums, der Apostelgeschichte und des Kolosserbriefes. Aus mehreren anderen Höhlen, die bisher noch nicht identifiziert werden konnten, bargen die Beduinen zum Teil datierte Texte aus der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts n. Chr. und Münzen, die in dieselbe Zeit weisen. Unter den Texten befindet sich wieder ein an Simeon ben Kose-bah (i. e. Bar Kochba), den Führer des jüdischen Aufstandes gegen Rom, adressierter Brief. Weiter bargen die Beduinen aus demselben Gebiet eine griechische Version der kleinen Propheten sowie eine Reihe von nabatäischen Papyri.

Es versteht sich von selbst, daß nicht alle neugefundenen Texte zum Schrifttum der Sekte gehören, von dem durch den Fund der Beduinen von 1947 und durch die Grabung von 1949 Teile auf uns gekommen sind. Nur die Fragmente des Damaskusdokuments sind mit Sicherheit mit den bisher bekannten En-Feschcha-Texten in Zusammenhang zu bringen. Es wird vor allem die Veröffentlichung der nichtkanonischen Schriften abzuwarten sein, um etwas über den religionsgeschichtlichen Zusammenhang und die Herkunft dieser Texte aussagen zu können. Eines kann aber schon jetzt mit ziemlicher Sicherheit behauptet werden: die neutestamentlichen Texte stehen mit der Sekte, der die bisher bekanntgewordenen Handschriften entstammen, in keinerlei Zusammenhang. Es ist auch zu hoffen, daß es den zahlreichen archäologischen Institutionen im Königreich Jordanien noch gelingen . wird, sämtliche Höhlen, aus denen diese Texte zutage gefördert wurden, aufzufinden und archäologische Argumente zur Klärung der Herkunft der Texte beizubringen.

Durch diese neuen Funde gewinnen aber auch die bisher bekannten Handschriften an Bedeutung, weil sie zumindest zum Teil diese ergänzen, und weil zu erwarten ist, daß dadurch die Religionsgeschichte des Judentums der letzten beiden Jahrhunderte vor Christus-noch mehr Aufhellung erfährt und einige abwegige Theorien endgültig abgetan werden können. Bei der Lektüre der Texte von En Feschcha hat es den Anschein, daß in diesen Texten die ältesten greifbaren gnostischen oder protognostischen Schriften vorliegen, einer Gnosis allerdings, die mit iranischen Elementen noch recht wenig zu tun hat. Der ethische Dualismus, der zum Beispiel im sogenannten Sektenkanon einer der theologischen Grundgedanken ist, erklärt sich hinreichend aus alttestamentlichen Vorbildern und der innerjüdischen Entwicklung der letzten beiden Jahrhunderte v. Chr. In den Texten von En Feschcha ist nirgends von zwei Göttern die Rede, von denen der gute den bösen einmal überwinden wird, sondern von zwei Geistern oder Engeln, von denen zwar der eine der Fürst des Lichtes und der andere der Engel der Finsternis ist, die aber beide von Gott geschaffen wurden, der letzthin den Engel der Finsternis, den Satan, austilgen und unschädlich machen wird. Doch solange diese Welt besteht, haben beide Kräfte Gewalt über die Menschen, deren Taten einer der beiden zugeordnet sind, aber dennoch von der freien Entscheidung des Menschen selbst abhängen. Es ist so, „weil sein Wandel vom Menschen selbst abhängt, der seinen Schritt nicht recht macht, denn bei Gott ist das Recht und aus Seiner Hand kommt die Vollkommenheit des Wandels“. Das Heil des Menschen hängt von der Erkenntnis dessen ab, daß es zwei Wege gibt, einen Weg des Lichtes und einen Weg der Finsternis. Welchen Weg er gehen will, hängt von ihm selbst ab. Diejenigen, die den Weg des Lichtes wählen, schließen sich der Sekte an und nehmen somit Teil an der Erkenntnis der wahren Seinszusammenhänge, die von Gott begnadeten Männern aus der Sekte mitgeteilt wurden und innerhalb der Sektengemeinschaft tradiert werden. Diese neuen Erkenntnisse sind das Ergebnis der Teilnahme an der Sekte, die sich selbst als die Gemeinschaft der Kinder des Lichtes verstand. Diese Teilnahme aber ist für den Menschen heilsnotwendig, denn alle draußen Befindlichen sind Kinder der Finsternis. Die Gabe der Erkenntnis, der Gnosis im strengen Sinn des Wortes genommen, ist in der Sekte von En Feschcha das Ergebnis der heilsnotwendigen Teilnahme an der Sekte. Welche Wege diese Gnosis ging und inwieweit sie die Voraussetzung für die spätere jüdische Gnosis wurde — daß sie es wurde, steht auch schon jetzt fest —, kann auf Grund der bisher bekannten Texte noch nicht zur Gänze bestimmt werden. Es ist daher zu hoffen, daß einige der neugefundenen Texte in denselben Sektenbereich gehören und auch in diesem Sinne werden deutlicher sehen lassen.

All diese Fragen sind deshalb von größter Bedeutung, weil die christliche Urgemeinde in nicht unwesentlichem Ausmaß von dieser Sekte, die zum größeren Verband des Essenismus gehörte, beeinflußt wurde, und weil es sehr wahrscheinlich ist, daß eine Anzahl frühchristlicher Irrlehren aus dem theologischen Lehrgebäude dieser Sekte ihre Anschauungen bezog. Daher wäre es äußerst wünschenswert, wenn in die wirren Verhältnisse der frühchristlichen Ketzergeschichte mehr Licht von Seiten der jüdischen Sektengeschichte der letzten beiden Jahrhunderte v. Chr. fiele. Es soll damit nicht behauptet werden, daß eine genaue Kenntnis des jüdischen Milieus die Fragen der Herkunft der frühchristlichen Irrlehren restlos klären könnte. Hier wirkten dann vor allem in der Gnosis reichlich iranische und hellenistische Einflüsse mit. Aber auch das Judentum gehörte mit zur Oekumene, von der der Apostel Paulus sagte: Die Zeit ist erfüllt.

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