In den Wirren des Übergangs

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Das Gespräch führte Otto Friedrich • Fotos: Katrin Bruder

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Das Gespräch führte Otto Friedrich • Fotos: Katrin Bruder

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Dina Khalil (o. li.) und Nagwa Farag (o. re.) sind ägyptische Christinnen. Im FURCHE-Gespräch äußern sie ihre Hoffnungen, Freuden und Besorgnisse über die Entwicklungen in ihrem Land.

Hosni Mubarak und sein Regime sind weg. Das Militär regiert. Lokale Gewalt zwischen radikalen Muslimen und Christen flammt immer wieder auf. Die Christinnen Nagwa Farag und Dina Khalil über die ägyptischen Wirren dieser Tage.

Die Furche: Wie charakterisieren Sie die aktuelle Lage in Ägypten?

Nagwa Farag: Wir erleben eine Übergangsphase. Das bedeutet auch Unordnung und wenig Rechtsstaatlichkeit. Alle Gruppierungen, die das abgetretene Regime unterdrückt hat, können sich nun frei artikulieren. Aber die Richtung, in die es gehen wird, ist unklar. Die "Revolutionäre“, ja beinahe alle Gruppierungen haben keine Zukunftsvision überlegt. Zurzeit ist alles chaotisch.

Die Furche: Kam der Kollaps des Mubarak-Regimes für Sie überraschend?

Farag: Als wir auf die Straße gingen, um gegen Unterdrückung und Folter zu demonstrieren, hat niemand geglaubt, dass dies in eine Revolution mündet. Wir träumten von einer Art Wechsel, aber ich selber hätte nie geglaubt, dass er noch zu meinen Lebzeiten stattfindet. Wir haben darüber nachgedacht, was nach Hosni Mubaraks Tod sein würde. Wir wussten auch um die Korruption, aber nicht um deren Ausmaß. Das ist vorbei und kann so nicht wiederkehren.

Dina Raouf Khalil: Viele Ägypter haben nicht realisiert, dass innerhalb weniger Tage so etwas wie eine Revolution stattfand. Wir hätten nie geglaubt, dass Mubarak so schnell abtreten würde: Das ganze System ist in drei Tagen auseinandergefallen.

Die Furche: Sie freuen sich über den Wandel?

Farag: Ja. Insbesondere, wenn wir uns umschauen, wie es anderswo geht - in Syrien, im Jemen, in Libyen, dann haben wir viel Glück gehabt. Vielleicht erkennt Mubarak mittlerweile, dass er zu schnell abgetreten ist. Es gab aber zuvor schon einige Vorfälle, die das Ende des Regimes beschleunigt haben: Da waren die gefälschten Parlamentswahlen Ende 2010 - deshalb haben Bürgerrechtsgruppen ein Schattenparlament gebildet. Als sie den Präsidenten fragten, was er von diesem halten würde, antwortete er: Lasst ihnen ihren Spaß… Das war ein Schlag ins Gesicht der Bürgerrechtler. Dann kam der Bombenanschlag auf die koptische Kirche in Alexandria in der Neujahrsnacht.

Die Furche: Und auch dieses Ereignis trug zum Wandel bei?

Farag: Ja, denn auch wenn man keinen politischen Standpunkt einnahm: Der einfache Ägypter ist ein Gemäßigter, auch der durchschnittliche Muslim. Auch wenn die Medien den Fokus auf die Fanatiker richten: Ebenso wenig wie die normalen Christen sind auch die Muslime fundamentalistisch. Nach dem Anschlag von Alexandria hatten die meisten Ägypter - nicht nur die Christen - genug. Es war klar: Dieses System konnte Menschen nicht beschützen. "Sicherheit“ war der größte "zivile“ Posten im Budget . Und da gingen Menschen zum Neujahrsgottesdienst in die Kirche und wurden dennoch durch einen Anschlag getötet - das war einfach zu viel.

Khalil: Schon davor gab es die "Bewegung für den Wandel“, Mohammed el-Baradei gehörte ihr an, oder seit 2004 die "Kefaya“- ("Es ist genug“)-Bewegung, die gegen Gamal Mubarak als Nachfolger seines Vaters auftrat.

Die Furche: Es kam vor Kurzem wieder zu religiösen Gewaltausbrüchen. Wendet sich die Revolution nun gar gegen die Christen?

Khalil: Das ist auch ein Teil der Entwicklung. Die Islamisten wurden lange Zeit aus der Öffentlichkeit verbannt und saßen auch im Gefängnis. Und nun wollen sie ihre Freiheit nützen. Ihr Verständnis von Freiheit ist, dass sie nun tun können, was sie wollen. Sie versuchen, ihr eigenes Recht durchzusetzen. Aber die Gruppe der Gemäßigten, die Frieden wollen und einen bürgerlichen, säkularen Staat, ist nach wie vor groß.

Farag: Die religiösen Spannungen gibt es schon seit Langem - aber man hat sie geleugnet. Das frühere Regime gab nie zu, dass es Vorurteile gibt, dass die Gesellschaft gespalten ist, dass Gegensätze auf beiden Seiten da sind. Dass sich etwa die Christen in ihren Kirchen zusammenscharten - nicht nur in religiösen Belangen. Sie stellten sich dadurch ins Eck und isolierten sich selber.

Die Furche: Aber ist diese Isolation nicht auch die Folge davon, dass sich die Christen durch radikale Muslime bedroht fühlen?

Farag: Da geht es vor allem um zwei Gruppierungen: die Muslimbrüder, die eher im Mittelstand angesiedelt sind, und die Salafisten. Letztere sind gewalttätig - jeder kleine Zusammenstoß führt bei ihnen zu Gewalt. Die Salafisten-Führer heizen das an. Einer hat kürzlich zu seinen Anhängern gesagt: Ihr seid keine Menschen, wenn ihr nicht alle Kirchen im Kairoer Imbaba-Bezirk (Ort der jüngsten Ausschreitungen, Anm.) zerstört. Das Problem bei solchen lokalen Konflikten ist, dass die Regierung das Recht nicht durchsetzen konnte oder wollte. Sie brachte wohl Religionsführer an einen Tisch. Aber es gab nie polizeiliche oder gerichtliche Untersuchungen - und keine Strafverfolgung für diejenigen, die Häuser und Geschäfte niederbrannten. Wir haben einfach genug von der Untätigkeit des Staates. Auch das meinen nicht nur die Christen: Das Recht muss durchgesetzt werden. Lokalen Gewaltausbrüche wird es weiter geben. Denn die Gesellschaft ist über einen langen Zeitraum polarisiert worden. Menschen mit geringer Bildung, die auch Demokratie noch nie kennengelernt haben, versuchen, ihr Recht mit eigenen Händen zur Geltung zu bringen. Wir müssen uns der Tatsache stellen, dass die Gesellschaft vor dem Hass lange die Augen verschlossen hat.

Die Furche: Sie haben den durchschnittlichen Muslim in Ägypten als gemäßigt bezeichnet. Sind diese aber in der Mehrheit?

Khalil: Wie groß der Anteil der Gemäßigten ist, ist schwer zu sagen. Einen Hinweis liefern die jüngsten Hochschülerschaftswahlen, wo die Muslimbrüder nur 22 Prozent der Sitze errungen haben. Dort haben die gebildeten jungen Leute ihre Wahl getroffen. Das ist ein Indikator, den man aber nicht ohne weiteres verallgemeinern kann. Bei vielen Menschen mit niedriger Bildung in den Dörfern ist es so, dass sie gar nicht sehen können, was anderswo vorgeht - und da ist noch viel zu tun, bis sie ihre Wahl auf der Basis auch anderer Kriterien als der Religion treffen. Wenn die Muslimbrüder in der Vergangenheit an den Wahlen teilnahmen, dann kehrten sie den Islam heraus, um größere Unterstützung zu bekommen, indem sie sagten: Der Islam ist die Lösung. Dieselbe Argumentation versuchen sie erneut.

Farag: Es gibt Prognosen, nach denen die Muslimbrüder bei den Parlamentswahlen die Hälfte der Sitze erhalten werden. Vielleicht ist das so. Aber wir stehen vor harten Zeiten. Denn unsere Wirtschaft liegt am Boden liegt. Die Politik der Muslimbrüder bietet keine wirtschaftliche Perspektive: Der Islam schafft keine Arbeitsplätze, es wird keinen Tourismus durch den Islam geben. Ägyptens Wirtschaft ruht auf drei Säulen: der Überweisungen von Gastarbeitern im Ausland, dem Tourismus und den Suezkanal-Gebühren. Wenn die Auslandsägypter sehen, dass die Lage instabil bleibt, werden sie kein Geld überweisen. Es wird seine Zeit dauern, bis sich die Wirtschaft erholt hat. Viele Menschen erwarten aber, dass ihre Bedürfnisse über Nacht befriedigt werden können. Das wird nicht geschehen. Unsere Rolle ist es, die Hoffnung aufrechtzuerhalten und zu sagen: Habt Geduld, schickt eure Kinder in die Schule, kümmert euch um eure Nachbarn, geht wählen und hört auf die jeweiligen Programme. Hoffentlich bringt das Veränderung. Aber das wird nicht in der unmittelbaren Zukunft sein. Das klingt ein wenig pessimistisch, aber es ist die Realität. Die Muslimbrüder, die viel versprechen, werden viel Glaubwürdigkeit verspielen. Jeder, der das Land während und nach dem Übergang regiert, hat einen schwierigen Job.

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