In der Armut Geschwister werden

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Seit bald dreißig Jahren baut der Karmelit und Bischof Julio X. Labayen auf den Philippinen die Kirche der Armen auf.

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Seit bald dreißig Jahren baut der Karmelit und Bischof Julio X. Labayen auf den Philippinen die Kirche der Armen auf.

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Einen Hang zum religiösen Kitsch kann man der philippinischen Kirche nicht absprechen. Das ist aber keine Spezialität der pazifischen Region, sondern gemeinsames Erbe aller Völker, die von vor allem spanischen oder portugiesischen Missionaren unter das Kreuz gebracht worden sind. Nicht das Wort, sondern Bilder und Figuren standen im Vordergrund: Da war das liebe Jesulein, die jungfräuliche Mutter und Himmelskönigin, der leidende, auferstandene und vor allem triumphierende Gottesknecht - und das alles verpackt und vor allem durch die Mütter weitergegeben in Meßfeiern, Predigten, Rosenkranz und in die verschiedensten Novenen, vor allem zu hohen Fest- und Feiertagen.

Diese Kirche der buntfarbigen Volksfrömmigkeit, der Bilder , der Gebete und Gesänge, Prozessionen und Wallfahrten liebten und lieben auch jene Kirchenmänner und Kirchenfrauen, die sich in den siebziger Jahren auf einen anderen Kirchenweg begeben haben, hin zu dem, was zuerst einzelne Bischöfe und Theologen, ab 1992 dann auch die philippinische Bischofskonferenz auf ihre Fahnen geschrieben haben, die Kirche der Armen.

Johannes XXIII. und Paul VI.

Ahnungsweise hat bereits Papst Johannes XXIII. bei der Eröffnung des 2. Vatikanischen Konzils von dieser Kirche der Armen gesprochen. Der direkte Anstoß kam dann 1970, als Papst Paul VI. die Bischöfe Asiens in Manila zusammenrief, um neue Wegmarken zu setzen: "Es geht nicht an, daß die Kirche Inseln des Reichtums in einem Ozean von Armut und Elend aufrechterhält. Die Kirche Asiens muß zu einer Kirche der Armen werden", hieß es im Abschlußdokument dieser Versammlung.

Dieser päpstliche Aufruf fiel naturgemäß nicht überall auf fruchtbaren Boden, war doch die Kirche in weiten Bereichen vor allem der Philippinen, Teil des feudalen oder zumindest halbfeudalen Systems, das die Kolonialmächte hinterlassen hatten, und eng mit den alten Familien der postspanischen Oligarchie verschwistert und verbunden.

In einigen Diözesen des 7.000-Inselreiches begann allerdings Neues zu wachsen. Auch der junge Karmelitermönch Julio X. Labayen - gerade erst fünf Jahre Bischof der bitterarmen Prälatur Infanta - war als Teil dieser halbfeudalen Gesellschaft aufgewachsen, hatte aber auf den Zuckerrohrplantagen seiner Familie und seiner Nachbarn auf der Insel Negros einen anderen Blick für das Schicksal der ausgebeuteten Landarbeiter entwickelt. Für ihn, der inzwischen alle einschlägigen Konzilsdokumente und alles, was sonst bis dahin kirchliche Soziallehre war, studiert hatte, war der Aufruf des Papstes eine Bestätigung dessen, was er schon seit Anfang in der Prälatur Infanta gegen vielerlei Widerstände versucht hatte.

Yapak - Das Fuss-spuren-Programm Die Laien, auch hier im Süden der philippinischen Hauptinsel Luzon, an liturgischen Konsumismus gewohnt, wußten nicht, wie ihnen geschah, als der Bischof sie in ihre Kirchenverantwortung rufen wollte. Die Priester, deren Zahl sehr klein war, revoltierten und verstanden ihre Kirchenwelt nicht mehr. Und trotzdem gelang es dem charismatischen jungen Mann, der längst seine schweren bischöflichen Gewänder abgelegt hatte und mit den Fischern auf fragilen Booten zum Fischfang gefahren, mit den Bauern im Schlamm der Reisfelder gestanden war und gemeinsam mit seinem armen Kirchenvolk Kanäle für die Bewässerung gegraben hatte, die Menschen für sein neues religiöses Bildungsprogramm zu begeistern, dem er den Namen Yapak (Fußspuren) gegeben hatte.

Regenbogen - ständiger Begleiter Um das - für die Filipinos wichtig - deutlich zu machen, entstand eine großflächige Wandmalerei: Im Halbprofil ein Hauch von Bischof, die rechte Hand auf dem Herzen ruhend, den Blick in die Ferne gerichtet: Einer der pazifischen Sandstrände, gut sichtbare Fußspuren, die einem starken Licht entgegenführen und darüber gespannt ein prächtiger Regenbogen, ständiger Begleiter der Menschen an dieser Küste und daher als Symbol nicht weit hergeholt.

Bischof Labayen aber ging es nicht um irgendwelche, sondern um die Fußspuren Gottes in der Geschichte des Volkes, wie in der Geschichte jedes einzelnen Menschen. In den mehrstufigen, nun seit 15 Jahren erfolgreich laufenden Yapak-Seminaren- ging es also vordringlich darum an Hand realer Lebensgeschichten dem Evangelium und der Geschichte Gottes mit den Menschen näher zu kommen und dabei auch die aktuelle soziale, politische und kulturelle Realität des Landes verstehen zu lernen.

Jeder ist Gegner des Regimes ...

Das, was heute in Infanta aber inzwischen auch in zahlreichen anderen Diözesen die Kirche der Armen ist, wurde in päpstlichen Köpfen geboren, hatte eine schwere Kindheit in mühevollen Lernprozessen und mußte ihre Bewährungsprobe unter den brutalen Konditionen des Kriegsrechtes unter Präsident Marcos und unter seinen Nachfolgern ablegen. In den Marcos Jahren, aber auch unter Cory Aquino, General Ramos und erst recht heute unter der Führung des ehemaligen Fernsehstars Erap Josef Estrada, der die neoliberale Globalisierung ins Unerträgliche steigert, ist jeder ein Gegner des jeweiligen Regimes, der sich auf die Seite der Armen - der Mehrheit des 70 Millionen Volkes stellt. Daher waren es Männer und Frauen, Priester und Ordensleute, die sich dieser Kirche der Armen verschreiben haben, die zu Opfern der Polizei, der Armee und der vielen paramilitärischen Gruppen geworden sind.

Reich Gottes: andere Gesellschaft Warum diese Menschen, die das Evangelium ernst nehmen und zum Leben bringen wollen, das menschliche Leben und die Würde des Menschen ins Zentrum stellen und die Armen ermächtigen wollen, ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen, für die Mächtigen und Reichen so bedrohlich wirken, daß man sie verfolgen muß, wird klar, wenn man Theodorus van Loon, Diakon aus den Niederlanden und einer der engsten Mitarbeiter von Bischof Labayen, sagen hört: "Ich glaube, daß die Quintessenz der Botschaft Jesu Christi die Errichtung des Gottesreiches in der Welt ist. Und dieses Reich Gottes ist nicht die katholische Kirche, das zielt viel weiter. Das Reich Gottes ist eine ganz andere Art von Gesellschaft, aufgebaut auf Wahrheit, auf Solidarität, auf Liebe und Geschwisterlichkeit, auf ehrlichem Teilen. Und die katholische Soziallehre bestätigt: Die Botschaft vom Reich Gottes ist das eigentliche Zentrum des Evangeliums. Alles andere ist der Rest. Das Reich Gottes ist das Absolute. Und im Zentrum des Absoluten steht der Mensch, von dem Gott will, daß er das Leben in Fülle hat. Und daher glaube ich, daß jedem Menschen die Möglichkeit eröffnet werden muß, an einer Welt mitzubauen, die gerecht, geschwisterlich und liebevoll sein wird. Und unsere Aufgabe hier und überall ist es, dieses Potential des Glaubens zu wecken und zu stärken."

Direkt zu den Armen gehen Um diesem Ziel, dieser Utopie einen kleinen Schritt näherzukommen, sind Bischof Labayen und sein sich sehr schnell weitender Mitarbeiterkreis mit ihrem Bildungsangebot ganz an die Basis, direkt zu den Armen - in diesem Bereich zu den kleinen Bauern und Fischersleuten gegangen - um mit ihnen ins Gespräch über die Fußspuren Gottes in ihrem Leben zu kommen. Theodorus van Loon, der seit nunmehr 23 Jahren auf den Philippinen und an der Seite des Bischofs von Infanta lebt und arbeitet, faßt diese Strategie zusammen.

"Wir wußten, wir mußten mit den Armen sein. Von ihnen mußte das kommen, von ihnen, nicht von uns, denn wenn uns jemand lehren konnte, wofür Jesus gestorben ist, dann sind sie es. Und das wurde zum bis heute tragenden Leitmotiv der Kirche der Armen."

Das Gesicht der Kirche verändert Und daher war es auch klar, daß sich das in Kreisen wachsende Yapak-Bildungsprogramm vor allem an die Laien wendet, denn sie, die Laien des schmalen zwischen der Sierra Madre und dem Ozean eingezwängten Gebietes der Prälatur, die vor genau 50 Jahren dem Orden der Unbeschuhten Karmeliter als Missionsgebiet übergeben worden ist, waren und sind es, die Armen, um die es geht.

Und sie waren und sind es, die das Gesicht ihrer Kirche, das Gesicht ihrer Pfarren und kleinen christlichen Gemeinden so verändert habe, daß sich trotz wachsender Armut Züge einer solchen neuen Gesellschaft der Wahrheit, Solidarität und Geschwisterlichkeit im täglichen Leben erkennen lassen. Das Erstaunlichste an diesen kleinen Gemeinden aber ist etwas, das in den verfaßten europäischen Kirchen und Pfarreien oft so schmerzlich vermißt wird: Gott ist das absolute Lebenszentrum für diese Menschen. Sie sind überzeugt, daß er unter dem Bund des Regenbogens, auf ihrer Seite und mit ihnen ist.

Daher ist auch in wahrhaft bedrängter und immer bedrohter werdender Lebenssituation, gerade durch die brutalen Auswirkungen der Globalisierung eine große Kraft, viel Mut und eine unerschütterte Hoffnung zu spüren. Auch wenn der Himmel dunkel ist: Diese einfachen Menschen stehen zusammen, stärken und ermutigen einander und hören nicht auf mit ganzem Herzen daran zu glauben, daß Gott ihr Schicksal wenden wird, wenn sie alles geben, alles tun, was in ihrer Kraft steht.

Hier erwächst, so möchte ich träumen, die Kirche von morgen, die Kirche des dritten Jahrtausends.

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