"In der Bibel steht nichts von Sparen"

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Sie mache Wahlkampf, sagt die Sprecherin des SPÖ-Pensions-Volksbegehrens Gertraud Knoll. Und sie will die Stimmen jener, die den sozialen Zusammenhalt gefährdet sehen. Ein Gespräch über Verteilungsgerechtigkeit, neoliberalen Fatalismus und Frauen für das höchste Amt im Staat.

Die Furche: Frau Knoll, welche Erinnerungen verbinden Sie mit Kardinal Franz König?

Gertraud Knoll: Für mich war er eine der glaubwürdigsten Persönlichkeiten. Er hat große moralische Autorität mit einer tiefen Liebe zu den Menschen verbunden. Das hat man in seinem Gesicht gesehen, und das hat man gespürt, in dem was er gesagt und gemacht hat. Da war eine Wahrhaftigkeit, die aus dem Glauben kommt. Menschenliebe und die Liebe zu Gott waren bei ihm eine gewinnende Einheit.

Die Furche: Früher Bischöfin, heute Politikerin - gibt es Parallelen, vermissen Sie etwas?

Knoll: Ich stehe auf einer anderen Bühne, mit anderen Möglichkeiten. Meinen Wechsel bereue ich keine Sekunde. Das Ringen um soziale, menschenwürdige Verhältnisse war für mich bereits als Theologin wichtig und bestimmt auch meine jetzige Arbeit.

Die Furche: Das Ringen um die Pensionsreform wurde unlängst von der Debatte über den Preis von Wurstsemmeln überlagert. Wissen Sie, was eine Wurstsemmel kostet?

Knoll: Ich gehe jeden Tag einkaufen, ich weiß, was Lebensmittel kosten. Und den Pensionisten, die mit sechs-, siebenhundert Euro im Monat auskommen müssen, braucht eine Abgeordnete nicht zu erklären, was man um zehn Euro bekommt. Das zeigt, mit welchen Methoden bei dieser Pensionsreform gearbeitet wird: Die Jungen werden gegen die Alten ausgespielt, die Frauen gegen die Männer. Diese Methode der Spaltung halte ich für das eigentlich Gefährliche, weil es den sozialen Zusammenhalt zerstört.

Die Furche: Ist die Sorge der Jungen, einmal keine oder nur eine kleine Pension zu haben, nicht berechtigt?

Knoll: Die Sorge ist berechtigt, aber es darf nicht der Zynismus die Oberhand gewinnen. Das Signal ist verheerend, wenn heute jeder vierte Jugendliche nicht mehr damit rechnet, jemals eine sichere Pension zu erhalten. Das ist dieser Regierung geglückt: das Vertrauen, das ja den sozialen Zusammenhalt ausmacht, zu zerstören.

Die Furche: Das SP-Pensionsmodell sei unfinanzierbar, sagt die Regierung. Zerstören Sie mit solchen Versprechen nicht auch das Vertrauen?

Knoll: Das ist eine Killerphrase der Regierung. Die überfallsartige Kürzungsaktion bei den Pensionen kann nicht mit ökonomischen Gründen argumentiert werden. Das Budgetdefizit hat ja nur indirekt etwas mit den Pensionen zu tun, denn die werden größtenteils durch Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge finanziert. Der Bundeszuschuss ist gering, und er wird in Zukunft noch kleiner werden. Und da berufe ich mich nicht auf SPÖ-Zahlen, sondern diese Prognose stammt von der Expertenkommission der Regierung.

Die Furche: Immer mehr Pensionisten stehen weniger junge Berufstätige gegenüber - wie soll da das Umlageverfahren funktionieren?

Knoll: Drehen Sie Ihr Argument um: In den Ländern mit den höchsten Geburtenraten müsste es demnach die besten Sozialsysteme geben - das stimmt doch nicht. Wir haben Handlungsbedarf, aber aus einem anderen Grund: Die Summe aller Löhne und Gehälter, die das Pensionssystem finanzieren, wächst wesentlich langsamer als die gesamte Wirtschaftsleistung. Die Produktivität ist permanent im Steigen, der Kuchen wird immer größer, aber immer weniger haben etwas davon. Hier müssen wir ansetzen und den Gewinn mehr als bisher für die soziale Gerechtigkeit nützen. Die Wertschöpfungsabgabe darf nicht länger ein Tabu sein. Das ist eine Frage des sozialen Friedens. Und das hat nichts mit Ideologie zu tun, sondern mit meiner christlichen Positionierung - und in der Bibel steht nichts von Sparen, aber viel von Verteilen.

Die Furche: Am jetzigen Umlageverfahren würden Sie nichts ändern?

Knoll: Es ist kein Geheimnis, dass dieses System auch nicht das gerechteste ist. Die langfristige Harmonisierung ist ein wesentlicher Punkt des Pensionsvolksbegehrens. Langfristig heißt, dass es keine radikalen Eingriffe in die Lebenseinkommen gibt. Als Grundprinzip muss gelten: Für gleiche Leistungen sollen gleiche Beiträge herauskommen. Und eine Stichtagsregelung sollte nicht allein auf Kosten der Jungen gehen.

Die Furche: Sie wehren sich, eine Zahl an Unterzeichnern für das Pensionsvolksbegehren zu nennen. Haben Sie Angst vor zu wenig Interesse?

Knoll: Da ist keine Angst dabei. Ich merke, wie sehr die Menschen betroffen sind. Jeder und jede wird zusehends auf sich allein gestellt. Und es wird so weitergehen: das soziale Risiko eines Menschen wird mehr und mehr privatisiert.

Die Furche: Sie glauben nicht, dass Regierungen Reform- und Sachzwängen gehorchen müssen?

Knoll: Diese Erfindung von Zwängen ist der zutiefst fatalistische Grundzug des neoliberalen Denkens. Damit wird aber jede Politik überflüssig: Wenn nur mehr die Gesetze der Finanzmärkte die Spielregeln vorgeben, brauche ich keine Politik. Mir geht es in diesem Fall auch um die Wiedergewinnung von Politik. Und Politik machen heißt, zu überlegen, wo wir hinwollen. Die entscheidende Frage ist: Schaffe ich mit meiner Politik Strukturen, die einer menschenwürdigen Gesellschaft eine Chance geben?

Die Furche: Die Reformen von Rot-Grün in Deutschland sind denen in Österreich nicht unähnlich.

Knoll: Neoliberal hat sehr wenig mit Ideologie zu tun. Da gibt es einen unglaublich engen Horizont, der mit Menschen umgeht, als wären sie Marionetten, die sich beugen müssen. Für mich ist interessant, wie leicht sich der neoliberale Fatalismus mit der neokonservativen Haltung vereinbaren lässt. Der Neokonservativismus lebt ja vom braven Untertan, der sich anpasst und unterwirft. Und das Stichwort "anpassen" wird uns ja auch ständig eingebläut.

Die Furche: Volksbegehren in Österreich sind nur selten eine Erfolgsgeschichte - was macht sie dieses Mal zuversichtlich?

Knoll: Der Unterschied ist vom Thema her gegeben: Die Betroffenheit ist einfach da und die Angst. Und wenn auch von Entsolidarisierung geredet wird: Jede Oma will, dass es ihrem Enkerl einmal gut geht. Da geht es um eine Kernfrage der Solidarität und des Vertrauensgrundsatzes - all das ist mit der Pensionsreform ins Wanken geraten. Für mich ist es auch eine Art Notwehr. Das Parlament ist nicht die Endstation in einer Demokratie - es gibt auch noch das Volkbegehren als eine Art Notbremse.

Die Furche: Sie haben bei der letzten Bundespräsidentschaftswahl kandidiert. Wäre es nicht Zeit für eine Frau in der Hofburg?

Knoll: Es wäre in vielen Ämtern Zeit für eine Frau, aber ich werde trotzdem Heinz Fischer wählen und nicht Frau Ferrero-Waldner. Denn Frau-Sein allein ist als Programm zuwenig. Frau Ferrero-Waldner ist eine Mittäterin dieser Regierung - auch in all den Punkten, die Frauen am schärfsten treffen, wie die Pensionsreform. Sie hätte nur aufzeigen müssen und sagen: Diese Reform trifft vor allem die Frauen. Dass akkurat so jemand die Frauen-Karte zieht, finde ich nicht anständig.

Das Gespräch führten Doris Helmberger und Wolfgang Machreich.

Politikerin, bis es wieder "bumm" macht

Die interessantesten Wenden in ihrem Leben sind immer spontan gekommen, sagt Gertraud Knoll. Vier Jahre lang hätte ihre Amtsperiode im Burgenland noch gedauert, doch "bumm, und eine Woche später bin ich ausgestiegen" - und in den Wahlkampf der SPÖ zur letzten Nationalratswahl 2002 eingestiegen. Als aus dem "Kabinett des Lichts" von Schattenkanzler Alfred Gusenbauer nichts wurde, wechselte Knoll in die SP-Zukunftswerkstätte. Das Haus, in dem die sozialdemokratischen Vordenker untergebracht sind, heißt "Alte Schmiede", was nicht bedeutet, dass die dort Beschäftigten zum alten Eisen gehören. Josef Cap, der frühere Leiter der Zukunftswerkstätte, wurde zum geschäftsführenden Klubobmann wiederbelebt - und Gertraud Knoll ist die Sprecherin des von der SPÖ initiierten PensionsVolksbegehrens, das am kommenden Montag anläuft. Direktdemokratische Instrumente sind Knoll nicht fremd, war sie doch Mitinitiatorin des Sozialstaatsvolksbegehrens.

Geboren wurde Gertraud Knoll am 7. Dezember 1958 in Linz. Sie ist mit einem Theologen verheiratet und die Mutter von Esther Naomi, Eleni Ruth und Levi. Knoll war 1985 die erste evangelische Pfarrerin der Diözese Burgenland. 1994 wurde sie zur ersten Superintendentin Österreichs gewählt. 1998 kandidierte sie für das Amt des Bundespräsidenten und erreichte den zweiten Platz. In Deutschland wurde die Theologin Knoll mit dem Preis für Zivilcourage in der Kirche ausgezeichnet. Davor verlieh ihr die Israelitische Kultusgemeinde die Friedrich -Torberg-Medaille 2000. Diese Auszeichnung erhalten Personen, die sich für die Demokratie in Österreich einsetzen oder gegen das Wiedererstarken des nationalsozialistischen Ungeistes auftreten.

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