In der Stunde des Todes

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Wie der vor 10 Jahren verstorbene Dichter, der an der Institution Kirche kein gutes Haar ließ, einen Christen bewegen kann.

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Wie der vor 10 Jahren verstorbene Dichter, der an der Institution Kirche kein gutes Haar ließ, einen Christen bewegen kann.

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Es war der Tod, der mich mit Thomas Bernhard (1931-1989) zusammengeführt hat. Im Herbst 1991 kam ich nach Wien. In einer meinem Orden übertragenen Pfarre sollte ich pastorale Erfahrungen sammeln. Der Pfarrer war erleichtert, endlich wieder einen jungen Mitbruder zu haben. Als ich Ende November zum Diakon geweiht wurde, wußte ich, warum: Ihm graute vor Friedhöfen. Jahrelang hatte er sämtliche Beerdigungen allein abhalten müssen. "Das machst du jetzt", bestimmte er.

Weil in Wien "a schöne Leich" bekanntlich besonders wichtig ist und kirchliche Funktionäre nicht selten bedenkenlos jedes Bedürfnis bedienen, wenn's um den "letzten Weg" geht, habe ich den Gang zu den Dichterinnen und Dichtern angetreten, als ich merkte, daß sich Routine einschlich, so nach dem fünfzigsten Begräbnis innerhalb weniger Wochen.

So stieß ich auf das schmale Bändchen "In hora mortis". Unter diesem Titel sind 1958 Texte von Thomas Bernhard erschienen, die eigentlich Gebete sind, ja Psalmen. Geschrieben im Angesicht des Todes. Wer sie liest, dem wird bald klar: Es sind Todesstunden Thomas Bernhards selbst, die da zum Thema geworden sind.

Er war sein ständiger Begleiter, der Tod, von Jugendtagen an. Als Folge einer nicht ausgeheilten Erkältung und wegen der Entbehrungen der Kriegs- und Nachkriegszeit erkrankt er im Jänner 1949 an einer nassen Rippenfellentzündung. Sie wächst sich zur Lungentuberkulose aus und erzwingt monatelange Aufenthalte in Sanatorien und Lungenheilstätten. Sie ziehen sich bis Anfang 1951 hin. Thomas Bernhard beginnt zu lesen: Trakl, Verlaine, Baudelaire, Dostojewski. Und zu schreiben.

Ein Sterben - zu Hause "In hora mortis" verarbeitet die Ängste dieser Zeit. Als der 17jährige ins Salzburger Landeskrankenhaus eingeliefert wird, erscheint sein Zustand so hoffnungslos, daß man ihn in einen riesigen Saal mit todkranken Patienten legt. Großgmain und das Sanatorium Grafenhof im Salzburgischen Pongau sind weitere Stationen. "Es war schlimmer, nach Grafenhof zu gehen, als nach Stein oder Suben oder Garsten, in die berühmten Strafanstalten", wird er später in "Heldenplatz" schreiben. Nach Luft ringen, nicht atmen können: so oder so. Vieles hat Thomas Bernhard zeitlebens die Luft buchstäblich weggenommen oder im übertragenen Sinn. Wiederholt empfand sich der Schriftsteller ums Atmen gebracht, durch seine Umgebung und wechselnde Zeitgenossen.

Auch die autobiographischen Erzählungen "Der Atem" und "Die Kälte" handeln davon. Sie erklären zugleich den Wunsch, sein Leben nicht in der Anonymität einer Klinik zu enden, sondern "in hora mortis" zu Hause zu sein. Geht einem da nicht plötzlich der Sinn des uralten Stoßgebetes "um eine gute Sterbestunde" auf?

Das Sterben zu Hause war dann auch möglich, weil Bernhards Halbbruder und späterer Nachlaßwalter Peter Fabjan als Leibarzt zur Verfügung stand und Bernhard eine Wohnung neben dessen Internisten-Praxis erworben hatte. Erst hinterher sollte die Öffentlichkeit von seinem Sterben erfahren. Am 17. Februar, einen Tag nach dem Begräbnis auf dem Grinzinger Friedhof in Wien, wurde die Nachricht von seinem Tod am 12. Februar verbreitet.

Die 30 Seiten "In hora mortis" kamen zuerst im Salzburger Verlag Otto Müller heraus, ganz hinten versehen mit einer Widmung: Meinem einzigen und wirklichen Freund G. L.

dem ich im richtigen Augenblick begegnet bin.

Die Worte wurden später, bei der Neuauflage in der Insel-Bücherei (1987, 2. Auflage 1989) fallengelassen; der Druck wurde vergrößert, der Umfang beträgt jetzt 40 Seiten. Längst hatte sich Bernhard mit dem Komponisten Gerhard Lampersberg überworfen. Einen letzten Höhepunkt erlebte der Streit in der von seinem einstigen Mäzen erwirkten polizeilichen Beschlagnahme von "Holzfällen. Eine Erregung" (1984), für den Schriftsteller sein "Schlüsselroman".

Thomas Bernhard, bei manchen Christen als Misanthrop verschrien, hat es also fertiggebracht, Gebete zu verfassen. Das wiegt schwerer als die bekannte Tatsache, daß er 1972 seinen Austritt aus der katholischen Kirche meinte erklären zu müssen. "In hora mortis" zeugt von einer - ich möchte sagen: unverbrauchten - Religiosität. Denn in der Stunde des Todes wird vieles relativ. Und vieles meldet sich: Was Angst machen kann oder aber was in eine Weite führt. Thomas Bernhard beschreibt beides. Die Sinnlosigkeit der Existenz ebenso wie Todesnähe. Von Hoffnung in der Vergeblichkeit ist die Rede, von Warten, Bangen und Sehnen, vom Altern, vom Schmerz zum Tode.

Herr mein Gott ich fürchte nicht mehr was noch kommen mag mein Hunger ist schon ausgelöscht und die schwarze Qual ist ausgetrunken Könnte das nicht auch bei Jesaja zu finden sein oder sonst einem der Propheten? Das ist Thomas Bernhard: Ich bin nicht mehr allein bin Dir bin ich und froh zerflattert sind die Vögel schwarz und wieder schwarz die Zahl zerspringt der Mond schreit auf ich aber bin vorbei.

Oder: Herr gib mir Brot und Wein und laß mich sterben jetzt und wehn im Wind.

Wie fruchtbar das Aufsuchen von Schriftstellern sein kann, wenn kirchliche Rhetorik, unbiblisch geworden oder aus (austauschbaren) Versatzstücken eines wenig reflektierten Psycho-Jargons zusammengesetzt, versagen muß - das wurde mir seinerzeit auf dem Südwest-Friedhof am Rosenhügel klar: Paul M. Zulehner, nicht gerade ein mundfauler Theologe und begabt mit spitzer Feder, hat wiederholt gefordert, die Kirchen gehörten "in die Sprachschule der Dichtung". Vielleicht auch deswegen, um sich so ihres nichtssagenden Wortschwalls überhaupt erst bewußt zu werden? Dichterinnen und Dichter schwätzen nicht. Sie haben etwas zu sagen. Von Christine Lavant und Christine Busta, Hilde Domin und Nelly Sachs, Rose Ausländer, Ingeborg Bachmann, Erich Fried oder von Thomas Bernhard läßt sich lernen.

Wenn ich Thomas Bernhards Texte verwendete, spitzten die Trauernden die Ohren. Es war selten ihre Sprache. Doch war da etwas, worin sie sich leichter wiederfinden konnten als in liturgischer Formelsprache. Mit ihnen konnte ich Brücken schlagen zu den Texten der Propheten, zu Trauerklagen und Danksagungen. Vielleicht hört man so auf, mit großen Worten leichtfertig um sich zu schmeißen? Ich bin Thomas Bernhard zu Dank verpflichtet.

Apropos: Es war die Furche, in der Thomas Bernhard am 3. Dezember 1955 für einen veritablen publizistischen Eklat sorgte, als er eine Polemik über die Spielplangestaltung des Salzburger Landestheaters veröffentlichte und über "Schwachsinn und Schweinerei" des Theaters schrieb.

Der Autor ist Jesuit und lebt in Innsbruck.

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