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in echter Loseelöstheit

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KRISE UND ERNEUERUNG DfcK FRAUENORDEN. Von Kardinal Leon-Joseph S e n e n s. Otto-Müller-Verlag, Salzburg, 1962. 172 Seiten. Preis 59 S.

Zahlreiche Übersetzungen, die teils schon vorliegen, teils in Vorbereitung sind, legen von dem vielfältigen Echo ein beredtes Zeugnis ab, das die jüngste Schrift des bekannten belgischen Kardinals bereits gefunden hat. Was das Konzil für die allgemeine Kirche ins Rollen brachte, wollen die vorliegenden Erwägungen für die Ordensgemeinschaften veranlassen. Bei ihnen ist eine Erneuerungsbewegung oft viel schwieriger, da sie durch die Konstitutionen gebunden erscheinen. Die Gelübde, vor allem das des Gehorsams, unterstützen das Beharren auf Tradition und traditionelle Formen. Es ist keineswegs immer Lethargie oder Starrheit, die fortschrittliche Anpassungen behindern, sondern die Weltabgeschiedenheit im allgemeinen, welche die Orden pflegen, und die ehrfürchtige Treue zum jeweiligen Stifter im besonderen. Beide Gesichtspunkte enthalten schwerwiegende Probleme, die der Kardinal hier in aller Anerkennung der ordenseigenen Aufgaben doch freimütig aufgreift. Vor allem zeigt er, daß Neuerungen absolut nicht einer Laxheit in der Auffassung des Ordensideals entspringen müssen, sondern vielmehr einer Strenge, die sich nicht in Äußerlichkeiten manifestiert, wohl aber in echter Losgelöstheit auch von eigenen Lieblingsvorstellungen. Auch huldigt er keineswegs einem hektischen Aktivismus, der nichts von den vielberühmten „Anliegen der Zeit“ weglassen will, er bezeugt vielmehr seine Ehrfurcht vor Kontemplation und Klausur. Und doch bedeutet Weliabgeschiedenhcit etwas anderes als sich in einen „Käfig“ einschließen, jenseitige Luftschlösser erträumen, Flucht aus der Zeit betreiben und ■vor allem der Pflicht zum Apostolat aus dem Weg gehen.

Sehr aufschlußreich sind die Hinweise, wie oft sich Ordensgemeinschaften von der ursprünglichen Intention ihres Stifters entfernt haben, um auf Grund von Paragraphen und Buchstaben den „sichereren“ Wegt zu wählen, und damit eigentlich, trotz gegenteiligen Anscheinens, der geforderten Strenge zu entgehen. Die Orden, vor allem die apostolisch ausgerichteten, hätten doch eigentlich für das Konzil vorbildliche Leistungen zustande bringen sollen, aber man erwartete sie mit wenigen Ausnahmen vergeblich.

Alle diese Probleme wiegen bei den Frauenorden viel schwerer. Ersteris, weil die Frau eine weitgehende Veränderung in ihrer Stellung in der Welt erfahren hat, und zweitens, weil sich die Frau infolge ihrer Konstitution in der Auslegung der Regeln viel schwerer tut als der Mann. Der Kardinal lenkt den Blick auch auf den wachsenden Einfluß der Laienwelt, dem die weiblichen Orden, die ja nicht zum Klerus gehören, noch kaum Rechnung tragen, ia vielleicht nicht einmal gewachsen sind, wo doch gerade ihnen inmitten der Laienwelt hervorragende Wirkungsbereiche zustünden. Aber auch der Laie kann mit Nutzen dieses Büchlein lesen, macht er doch oft aus Unverständnis für das Ordensleben unmögliche Vorschläge oder, was noch schlimmer ist, diffamiert er oft mit oberflächlicher Gedankenlosigkeit, um nicht Getratsch zu sagen, echte Bemühungen um Fortschritt und notwendige Anpassung, die eben nicht immer auf erstem Anhieb gelungen sein müssen beziehungsweise verschiedene gleichberechtigte Möglichkeiten nebeneinander bestehen lassen können. Auf jeden Fall sind die Anregungen des Kardinals zu begrüßen und zu beherzigen, was der einleitende Brief des vatikanischen Staatssekretariates im Auftrag Johannes' XXIII. noch gebührend unterstreicht.

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