In Polen wächst der WIDERSTAND

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Nicht erst seit der Kontroverse um ein noch strengeres Abtreibungsgesetz tobt in Polen ein Kulturkampf. Die nationalkonservative Regierung spielt mit den Muskeln.

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Nicht erst seit der Kontroverse um ein noch strengeres Abtreibungsgesetz tobt in Polen ein Kulturkampf. Die nationalkonservative Regierung spielt mit den Muskeln.

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Seit nunmehr einem Jahr baut in Polen die von Jaroslaw Kaczynski angeführte rechtskonservative Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) den Staat um. Sie entmachtet das Verfassungsgericht, ersetzt unliebsame Journalisten der staatlichen Medien mit Propagandisten nationalklerikaler Sender und Zeitungen, besetzt Schlüsselpositionen in staatlichen Unternehmen mit Gefolgsleuten und fördert offen nationalistische bis faschistoide Kreise. Die darauf folgenden Massenproteste ließen die Akteure kalt - bis zur letzten Woche.

Eine radikale Gesetzesinitiative, die von einer Gruppe katholisch-fundamentalistischer Abtreibungsgegner eingebracht und von der PiS-Mehrheit angenommen worden war, führte zu einer bisher einmaligen Mobilisierung der Zivilgesellschaft. Diese Initiative sah nahezu ein Totalverbot von Schwangerschaftsabbrüchen und Haftstrafen für Frauen und ausführende Ärzte vor. Über Hunderttausend schwarzgekleidete Frauen - und Männer - blieben ihrer Arbeit fern und demonstrierten in großen und diesmal sogar in kleinen Städten. Die PiS ruderte zurück, der Gesetzesentwurf wurde abgelehnt. Ein erster Erfolg?

"Christliche Werte" und Nationales

Als Gegenreaktion auf die rasche gesellschaftliche und wirtschaftliche Liberalisierung des Landes nach 1989 versammelte die PiS bei ihrer Gründung vor 15 Jahren viele katholische Intellektuelle um sich. Die Kaczynski-Brüder setzten zunächst ein konservatives, soziales, in ihrer Diktion "solidarisches" Polen dem werte- und wirtschaftsliberalen Polen entgegen, sie wollten "christliche Werte" und den Nationalstolz der Polen stärker gefördert sehen. In ihrer sogenannten "Geschichtspolitik" sollten die Schattenseiten der polnischen Zeitgeschichte möglichst ausgeblendet werden.

Ihre Radikalisierung erfuhr die PiS zunächst durch den Absturz der Präsidentenmaschine über Smolensk 2010. Der damalige Staatspräsident Lech Kaczynski und bedeutende Teile der konservativen Elite des Landes kamen dabei ums Leben. Lechs Zwillingsbruder Jaroslaw bezichtigte die damals regierende Bürgerplattform PO und Premierminister Tusk der Versäumnisse bei der Aufklärung des Unglücks, um später einen Mythos rund um die Katastrophe mit dem Vorwurf der Mitschuld der Regierung und sogar der Mitwirkung Russlands aufzubauen.

Andererseits kam es durch die Auseinandersetzung mit der acht Jahre lang regierenden wirtschaftsliberalen PO zur Verhärtung der ideologischen Fronten. In dieser Zeit vollzog sich in Polen in Bildungs-, Kultur- und sozialen Einrichtungen ein rascher sozialer und wirtschaftlicher Wandel, von dem aber nur der erstarkte Mittelstand profitierte. So verdienten 2015 die meisten Arbeitnehmer knappe 400 Euro netto im Monat. Die hohe Arbeitslosigkeit konnte vor allem durch massive Abwanderung von Arbeitskräften ins EU-Ausland abgefedert werden. Die 500 Złoty (knapp 115 Euro) Kindergeld, die die PiS im Wahlkampf versprochen hatte und nun ab jedem zweiten Kind in der Familie auszahlt, sowie die Anhebung des Mindestlohns waren und bleiben das stärkste Argument für die meisten ihrer Wähler. Es waren überdurchschnittlich viele unterprivilegierte Ostpolen, die der PiS ihre Stimme gaben. Teile dieser "Wendeverlierer" wandten sich, unterstützt durch den erzkonservativen Flügel der katholischen Kirche, der PiS zu. Rund um den rechtsklerikalen und verschwörerischen Sender "Radio Maryja" entstand eine Bewegung, die zunehmend tonangebend wurde.

Doch wie repräsentativ ist diese Bewegung für die polnische Gesellschaft? Tatsache ist, dass nur ein relativ kleiner Teil des polnischen Elektorats die nun absolut regierende Partei Kaczynski gewählt hat. Gerade 19 Prozent der wahlberechtigten Polen haben für "Recht und Gerechtigkeit" gestimmt. Aufgrund der Wahlarithmetik hat die PiS nun aber im Sejm, dem polnischen Parlament, die absolute Mehrheit.

Kirche kämpft um Machterhalt

Im Grunde ist die jetzige Abtreibungsdebatte eine weitere Front im Kampf der Kirche um den Machterhalt. Die Bischöfe sind auf Kaczynski angewiesen und geben die Themen vor. Keine bisherige Regierung konnte die Macht der katholischen Kirche einschränken, die jetzige will es gar nicht. Vielmehr waren es die Liberalisierung und Modernisierung der polnischen Gesellschaft, die ihren Einfluss schwinden ließ. Nun versucht die Kirche an Terrain wiederzugewinnen. Der Trend ist aber möglicherweise unumkehrbar.

Die offen proklerikale Politik der jetzigen Regierung bringt die Bürger nur noch mehr gegen den Klerus auf. Das oberflächliche wirtschaftsliberale Infotainment, das die Vorgängerregierung im Staatsfernsehen servierte, wich einem Overkill an religiösen und historischen Themen. Durch Live-Übertragungen von Gedenkmessen, Berichte über Wallfahrten aller Berufsstände und posthume Ehrungen für Kriegshelden verlieren das öffentliche Fernsehen und Radiosender massiv Marktanteile. Nun sind die Fronten so verhärtet wie nie zuvor, der Bruch geht oft quer durch Familien. Nie hätten die Polen aber vermutet, dass diese von ihnen oft belächelten "Mohair-Mützen" von der "Sekte des heiligen Wracks", wie die PiS wegen der Verschwörungsgeschichten um den Absturz der Präsidentenmaschine von ihren Opponenten genannt wurde, Ernst machen.

Erst langsam erwacht die Zivilgesellschaft aus der Schockstarre. Der "Abtreibungskrieg", wie der Konflikt überspitzt in polnischen Medien genannt wird, könnte zum Wendepunkt werden. Er mobilisierte Menschen, die sich bisher kaum für Politik interessierten, weil er in ihr Privatleben eingreift. Seit 1993 sind Schwangerschaftsabbrüche in Polen nur nach Vergewaltigung, bei Missbildungen des Fötus und bei Gefahr für Gesundheit und Leben der Mutter erlaubt. Diese strenge Regelung hat zu einer Senkung der legalen Schwangerschaftsabbrüche auf knapp über 1000 im Jahr geführt.

Hohe Dunkelziffer

Andererseits werden geschätzte 150.000 Abtreibungen im polnischen Untergrund oder im benachbarten Ausland durchgeführt. In großen Teilen Ostpolens werden sogar Schwangere, die sich für den legalen Abbruch qualifizieren, regelmäßig von Spitälern abgewiesen, weil sich Ärzte auf die sogenannte Gewissensklausel berufen. Viele aus Angst vor Imageschaden, andere aus Überzeugung. Die Frauen bleiben mit ihrer Verzweiflung allein.

Kaczynski ist bewusst, dass ein Durchpeitschen radikaler Lösungen eine umgekehrte Wirkung erzielen und später zu einer Liberalisierung des Gesetzes führen könnte. Die PiS hat dennoch diesen Gesetzentwurf zugelassen und eine Initiative von Abtreibungsbefürwortern abgelehnt.

Premierministerin Szydlo kündigte bereits an, dass der radikale Gesetzesvorschlag nun gekippt wird, die PiS dem "Schutz des ungeborenen Lebens" aber weiterhin höchste Priorität einräumen werde. Die PiS-Politiker geben auch unverhohlen zu, dass sie sich nach der Position des Episkopats richten werden, welches für ein ausnahmsloses Abtreibungsverbot eintritt. Die polnischen Frauen rüsten sich bereits für neue Proteste.

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