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In seiner Wurzel getroffen

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ist der klassische Gegensatz der deutschen Katholiken und Protestanten. Verschiedene Gründe haben dazu geführt, daß seit 1945 ein Dialog zwischen den beiden Konfessionen begonnen hat, wie ihn Deutschland seit der Kirchenspaltung noch nie gesehen hat. Diese Entwicklung zeigt Aspekte von sehr verschiedenem Charakter.

Der deutsche Protestantismus war jahrhundertelang mit der Entwicklung des modernen Liberalismus einerseits und mit dem deutschen, vor allem dem preußischen Monarchismus andererseits eng verknüpft. Das hatte dazu geführt, daß der christliche Charakter des Protestantismus immer hohler und weltlicher geworden war: er verlor die Massen, die sich den „Evangelien“ des Liberalismus, des Sozialismus und des Faschismus zuwandten. Das Christentum seiner Führungsschichten hatte sich — sogar weitgehend in den theologischen Fakultäten — in einen philosophischen Idealismus (Schleiermacher), in eine natürliche Ethik (bereits Kant!) und in einen Religionshistorismus (Troeltsch usw.) beziehungsweise in eine rein philologische Kritik der Bibel verwandelt. Die Substanz gerade des Uranliegens Martin Luthers: der personale Glaube an Jesus Christus und sein göttliches Wort, war weitgehend verlorengegangen. Dagegen hatte sich seit 1919 die dialektische Theologie erhoben, die in Karl Barth, Emil Brunner und Friedrich Gogarten ihre klassischen Vertreter gefunden hat — sie war eine Absage an Idealismus, Moralismus und modernen Historismus. In seinem berühmt gewordenen Römerbriefkommentar hatte Karl Barth das Gewissen der gläubigen Protestanten wachgerufen: Unser Gott ist der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, er ist nicht der Gott der Philosophen, nicht der „Geist“ Hegels, nicht Gegenstand des „Gefühls“. Es ist leicht zu erkennen, daß diese radikale Rückkehr zum reformatorischen Ursprung, jene „sola fides“ Karl Barth in eine deutliche Distanz zur katholischen Kirche führte, die auch ihm gegenüber die Bedeutung der Tradition sowie die Möglichkeit natürlicher Gotteserkenntnis und freiheitlicher „Werke“ betonte. Aber man larf den Einfluß der dialektischen Theologie, jener letzten theologischen Konsequenz der Reformation, nicht in dieser abstrakten Weise apologetisch messen und verurteilen. Er äußerte sich in einer für den deutschen Katholizismus entscheidenden Form nach 1933: „Die von ihr geformten gläubigen Protestanten fanden sich — im Gegensatz zu den .deutschen Christen' und den Indifferenten. — in der .bekennenden Kirche' zusammen und leisteten in einer oft sehr eng werdenden Gemeinschaft mit den Katholiken dem Neuheidentum des Nationalsozialismus entschlossenen Widerstand.“

Diese Haltung war dem Protestantismus auch deshalb leichter geworden, weil er seit dem Sturz der Hohenzollern-Monarchie im Jahre 1918 eine größere politische Unabhängigkeit erreicht hatte. Auch für die Protestanten galt, was ein bedeutender Bischof vom Katholizismus gesagt hat: „Konstantin ist ebenso gefährlich wie Nero. Gunsterweise Casars, Staatskirchentum und — Gunst jeder Art werden im Laufe der späteren Geschichte meist teuer bezahlt.“

Diese Annäherung von Protestanten und Katholiken wirkte sich theologisch, psychologisch und politisch aus.

Von katholischer Seite erfolgten entscheidende Vorstöße in Richtung auf eine objektivere Beurteilung der Reformation und des wahren Kerns in Luthers Anliegen. Uber diese Tendenzen müßte man in einer eigenen Studie, „Luther in moderner katholischer Sicht“, berichten. Sie sind von größter Bedeutung und werden von der offiziellen Kirche anerkannt. Ich erwähne hier nur Josef Lortzs bedeutendes zweibändiges Werk „Die Reformation“, dem von den Protestanten höchste Achtung gezollt wird. Darüber hinaus bemerkt man, daß auf protestan-tischei Seite der Sinn für den sakramentalen Charakter des Christentums, für die Liturgie, für die hierarchische Struktur der Kirche und für den philosophisch-naturrechtlichen Teil der katholischen Lehre wächst. Die Katholiken ihrerseits lesen immer mehr die Bibel des Alten und des Neuen Testaments — es gibt eine Reihe ausgezeichneter kirchlich approbierter Ausgaben — und nähern sich damit dem Kern dessen, was bei den Protestanten als urkatholisch zu bezeichnen ist: das gläubige Vertrauen auf Gottes unendliche Barmherzigkeit und das Bewußtsein von der großen Schwäche des menschlichen Erkennens und Wollens. Auch der Einfluß der liturgischen Bewegung von Maria-Laach macht sich in diesem Sinne bemerkbar: Sie hat nicht nur dazu geführt, daß die kultische Gestaltung des Gottesdienstes, des Gebetes, bei der jüngeren katholischen Generation geformter und edler wird; die Sprache der Orationen, des Introitus, die ganze Atmosphäre des offiziellen Gebetes der Kirche trägt in echterer und lebendigerer Weise die Wahrheiten des katholischen Glaubens vor als die abstrahierenden Systeme, gegen die sich Luther in falschem Übereifer gewandt hatte.

Es ist klar, daß die Durcheinander-wirbelung von Katholiken und Protestanten im Krieg (Armee, Bombardements, Gefangenschaft) und nach dem Krieg (Flüchtlinge usw.) psychologisch von größter Bedeutung war. Während sich Katholizismus und Protestantismus als feindliche „Blocks“ gegenübergestanden hatten, wurden diese menschlichen Pwiofronten, die falsche Konsequenzen aus den Lehrabgrenzungen gezogen hatten, durch die Ereignisse zerstört.

Diese menschlich so bedeutsame Entwicklung spiegelte sich auch nach 1945

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