6666373-1960_36_11.jpg
Digital In Arbeit

In steter Erneuerung

Werbung
Werbung
Werbung

Man kann fast von einer Gleichzeitigkeit im Geiste sprechen: dieses Buch muß im Konzept fertig gewesen sein, als Papst Johannes XXIII. im vergangenen Jahr das große bevorstehende Konzil ankündigte und die Wiedervereinigung der Christen als eines seiner wichtigsten Themen bezeichnete. Küngs Werk, das wir als die bisher bedeutendste und fundierteste Problemdarstellung zum kommenden Konzil im deutschen Sprachraum bezeichnen möchten, unterscheidet sich von manchem der Begeisterung oder der unmittelbaren Aktualität entsprungenen Traktat vor allem durch sein solide erarbeitetes ekklesiologisches Fundament. Nicht zu Unrecht hat ihm der mit der weisen Vorsicht des Wissenschaftlers besonders ausgezeichnete und daher in abschließenden Werturteilen mit Recht zurückhaltende Kardinal von Wien ein Geleitwort vorangestellt, das mehr besagt als ein rein ordnungsgemäßes „Imprimatur“. Mit ausgewogener, von Ängstlichkeit wie von allzu kühner Spekulation gleichermaßen freier Klarheit der Formulierung erarbeitet Küng — im steten Blick auf das zeitgenössische evangelische Verständnis dieses Glaubensinhalts, das er, Verfasser eines Standardwerkes über Karl Barth, bei diesem an kompetentet Stelle studieren konnte — zunächst mit seinen Lesern den Kirchenbegriff. Die Kirche wird im Gegensatz zu allen spi-rituälistischen Interpretationen als eine lebendige Kirche aus Menschen und aus Sündern verstanden.

Diese Differenzierung erscheint von ganz besonderer Wichtigkeit. Entgegen allem weiterlebenden Jansenismus wird hier nämlich klar zwischen der Erden-schwere des „Menschlichen“ und dem Bösen der Sünde klar unterschieden. Gerade die Verwischung oder Gleichsetzüng dieser beiden grundverschiedenen Elemente hat ja einen großen Teil der Sprach- und Begriffsverwirrung der nachreformatorischen Zeit verschuldet. „Reformatio“ bedeutet demnach also auch nicht bldtfETeufel^Äfr¥img?^seMiÜn^-vbry'Ärger-nisspn oder gar Schaffung der „sündenlosen“ Kirche derjAuserwählfen, (Es gibt auch katholische Mißver-

natürlichen Lebeftsvorgahg, einen 'immerwährenden Prozeß, für den der Papst bei seiner Könzilsintetpre-tation den schwer zu übersetzenden Ausdruck „aggiornamento“ gefunden hat, der von „giorno“ (Tag) abgeleitet ist und die zielgerichtete Bewegung des Prozesses widerspiegelt. Küng versteht es, auf wenigen Seiten diesen Vorgang am Beispiel der Kirchengeschichte, vor allem ihres ersten Jahrtausends, das den Foimations- und Deformationsprozeß im Begegnen der jüdischen, griechischen, römischen und germanischen Welt dokumentiert, verständlich zu machen. Die ständige Erstarrungsgefahr (mit den Typen des immer wiederkehrenden Pharisäers und Sadduzäers ungemein farbig und plastisch verständlich gemacht), ist wohl nicht mit dem Einbruch des Sündhaften und eigentlich Bösen zu verwechseln, wird aber zum eigentlichen Ansatzpunkt einer innerkatholischen Analyse und Kritik, der der Hauptteil des Buches gewidmet ist. Seine Thesen sind keine Strafpredigten an die Sünder und Ärgerniserreger, keine Bußrufe an verweltlichte Hirten und verkommene Schafe, sie sind Gedanken für jene, die „drinnen“ stehen, die bereits vom Eifer und verzehrender Liebe erfaßt sind; sind aber auch Mahnungen für jene, die — ohne Heuchler zu sein — gerade ob ihrer Frömmigkeit sich selbst in schmerzlicher Weise im Wege stehen.

Küng geht aber auch den so notwendigen Schritt zur Praxis. Er steckt den Rahmen ab, innerhalb dessen sich heute eine Initiative im Sinne der „Semper reformanda“ entfalten kann. Durchaus zu Recht stellt er Opfer und Gebet rangmäßig vor Kritik und Aktion, ohne deshalb einem kraftlosen Pietismus und Quietismus das Wort zu reden.

Am schwächsten ist der historische Teil geraten. In dem Bemühen des Autors, Ansatzpunkte einer innerkatholischen Reform vor, neben und nach der Reformation aufzuzeigen, wird er gezwungenermaßen apologetisch. Das heißt: es werden Initiativen höchst verschiedenen, oft sogar entgegengesetzten Ursprungs, Zielsetzungen, die nicht immer konsequent waren, in eine Zusammenschau gebracht, die das einzelne vernachlässigt. So ist etwa die Aufzählung französischer Reformer (von Franz von Sales bis Pascal), die sich auf S. 102 findet, wohl aus dem Bestreben geboren, möglichst viele Namen als Eideshelfer zu zitieren. Weniger wäre allerdings mehr gewesen. In der historischen Beurteilung der eigentlichen Reformationsjahrzehnte folgt der Autor weitgehend den Thesen Friedrich Heers („Die dritte Kraft“), ohne daß dieser zitiert wird.

Ganz in seinem Element ist Küng dort, wo er sich in die Bewußtseinslage de heutigen Protestantismus versetzt. Man kann seine Auffassung, daß die Zu-rückführung der Reformation auf Ärgernisse der damaligen Zeit am eigentlichen Problem, das wesentlich tiefer liegt, vorbeigeht, nur mehrmals unterstreichen. Viel Leerlauf im interkonfessionellen Gespräch könnte erspart werden, wenn man von Anfang an berücksichtigen wollte, daß der konkrete historische Aspekt nur e i n Element und keinesfalls das wichtigste im Werk Luthers war. Von den eigentlichen Konzilsthemen greift Küng im abschließenden Teil einige der wichtigsten auf. Am bedeutsamsten sind hier seine fundierten Ansichten zur Frage des Bischofsamtes, das er auf theoretisch-dogmatischer Ebene (S. 204 ff.) in Anlehnung an moderne französische Autoren aber auch unter berechtigter Berufung auf Karl Rahner behandelt, während die praktisch-organisatorische Ebene dieser Frage in Anlehnung besonders auch an Pius XI. von ihm selbst interpretiert wird. Seine Königsidee, eine Wiederbelebung der Rechte und Vollmachten des zu bestimmten Gemeinschaften zusammengeschlossenen Landesepiskopats, wird wohl bei einigen Ängstlichen Erinnerungen an den Gallikanismus, im deutschen Sprachraum an die Bestrebungen Wessen-bergs, der gerade in diesen Tagen anläßlich seines hundertsten Todestages viel gerechter und positiver gewürdigt wurde als früher, hervorrufen. Gerade solche Konzeptionen aber werden vor allem im ostkirchlichen Bereich mit besonderer Aufmerksamkeit studiert werden. Durch seine zentralen Ausführungen über das Bischofsamt, dem stärker als bisher die praktische Durchführung römischer Rahmenverordnungen übertragen werden soll, kommt Küng zu Konsequenzen von außerordentlicher Kühnheit, so wenn er sogar (S. 217) die Meßfeier und das Breviergebet episkopalen Einzelregelungen unterwerfen will. Hier wird es naturgemäß manchen Widerspruch geben. Aber auch dieser Widerspruch steht ja schon mitten in jenem Leben, das durch die Konzilsankündigung in der Kirche neuerweckt wurde, und auch er gehört bereits zu jenen ersten Früchten des heutigen Pon-tifikats, die Küng mit berechtigtem Optimismus zum Anfang und zum Ende seines Buches zu erkennen vermag.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung