In Tagen der Unübersichtlichkeit

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Er erwarte, "dass niemals wieder ein Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank ein Renditeziel von 25 Prozent vorgibt". Solche Ziele zu setzen, sei eine Form des Götzendienstes: "In den aktuellen Zusammenhängen ist das Geld zum Gott geworden." Solches äußerte Bischof Wolfgang Huber, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, am 24. Dezember in der Berliner Zeitung. Selbstredend, dass die Wortmeldung des obersten Protestanten wütende Reaktionen der Deutschen Banker zur Folge hatte.

Aber auch Hubers katholische Brüder in Christo gerieren sich längst und in selten gekannter Schärfe als Wirtschaftskritiker. Reinhard Marx etwa, Erzbischof von München und gelernter Sozialethiker, reüssiert zurzeit mit dem Band "Das Kapital", in dem er - in Anspielung aufs berühmte Werk seines Namensvetters - Solidarität und Gerechtigkeit, global wie für den einzelnen einmahnt.

Und schon vor einigen Wochen titelte die gewiss nicht kapitalismusfeindliche Business Week: "Islamic Finance May Be On to Something" und meinte damit, dass Geldwirtschaft nach den Regeln der Scharia sich den Folgen der Finanzkrise hätte "weitgehend entziehen" können.

Wer hätte noch vor Jahresfrist gedacht, dass Religion so pointiert wieder ins Spiel kommen könnte, zumal im müden Europa, in dem sich der religiöse Glaube mehr in Richtung spiritueller Wellness zubewegt hatte? Unversehens scheint für die Religion neues Terrain zu gewinnen zu sein - auf den ersten Blick jedenfalls. Ein zweiter Blick sollte aber auf dem Fuß folgen - und auf Nachhaltigkeit dabei gerichtet sein.

5 Thesen zur Zukunft der Religion

1. Das neue Religionsbedürfnis könnte aus der - psychologisch verständlichen - Erfahrung kommen, dass "Not beten lehrt". In Zeiten der diffusen Unsicherheit und Zukunftsangst, aber auch in konkreter wirtschaftlicher Bedrohung mögen religiöse Institutionen Aufwind verspüren. Solange diese sich aber nicht um umfassende Lebensperspektiven für Menschen mühen, bleibt das Schlagwort von Marx - dem Philosophen, nicht dem Bischof - vom "Opium für das Volk" berechtigt.

2. Es ist nicht ohne Gefahr, auf schlechtere Zeiten zu warten und darauf zu hoffen, dass dann eine Rückbesinnung auf die Religion stattfindet. Das wäre eine defensive Grundhaltung, die gerade in Zeiten wie diesen völlig unangebracht ist. Schlagzeilen wie "Weihnachtsfest wurde zur Rückkehr zu den wahren Werten" deuten jedoch in solch bedenkliche Richtung. Die Kronen Zeitung am Christtag verknappte mit zitierter Schlagzeile Aussagen von Kardinal Schönborn, der im Bericht dann gleichfalls Wirtschaftskritik äußerte und danach - was die Krone mit den "wahren Werten" meinte - auf "Familie und Kirche" Bezug nahm.

3. Auch die Attitüde "Wir haben es immer schon gewusst" hilft wenig weiter. Das Christentum etwa hält in seinem Fundus einen menschenfreundlichen Gott bereit, der den Armen frohe Botschaft, den Gefangenen Freiheit, den Trauernden Freude etc. bringt. Solche Perspektive gilt es einzubringen.

4. In den angesprochenen Diskussionen ist - eben um der Nachhaltigkeit willen - auch von den Stimmen aus der Religion Sachverstand einzumahnen. Man darf dabei aber nicht nur Kirchenleute in die Pflicht nehmen. Denn wie war es um den Sachverstand der Finanzexperten, Banker und Politiker in den Jahren und Monaten vor der Krise bestellt?

Trost - Grundtugend der Religion

5. Will sie nachhaltig sein und über die aktuellen Zeitläufte hinaus eine Rolle spielen, muss sich Religion im Allgemeinen und das europäische Christentum im Besonderen auf eine Grundtugend neu besinnen: Trost. Menschen benötigen in diesen Tagen der Unübersichtlichkeit nichts so sehr wie Trost. Es wäre die Ur-Aufgabe von Religion, diesen zu bieten.

Damit ist keineswegs Vertröstung - aufs Jenseits oder eine unerreichbare Zukunft - gemeint. Sondern Trost beinhaltet von Anfang an das glaubwürdige Einstehen für Menschen, die erkennbare, hörbare und spürbare Solidarität und den unermüdlichen Einsatz für Gerechtigkeit.

Dass hierzulande die Menschen nicht in Scharen der Religion zulaufen, mag ja damit zu tun haben, dass deren Vertreter mit Trost in diesem Sinn (noch) nicht wirklich identifiziert werden.

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