"In unserer Existenz mehr und mehr bedroht"

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Bei der "Wiener Vorlesung" an der Universität Wien und beim Schweigemarsch für verfolgte Christen berichtete vorige Woche Sumaya Farhat-Naser, Vorkämpferin für das Gespräch zwischen Israelis und Palästinensern, über die Lage in ihrer Heimat.

die furche: Was erwarten Sie sich von den neuen Friedensinitiativen aus Saudi-Arabien und von den Forderungen der EU und der USA?

sumaya farhat-naser: Alles und nichts. Es kommt auf die Reaktion Israels an. Der Vorschlag von Kronprinz Abdallah ist nicht neu. Was neu ist, ist der Absender, denn er repräsentiert das heilige Zentrum des Islam. Wenn das, was Europa und Amerika fordern, nicht mehr ist als die bisherigen Sonntagsreden, wird das nichts bringen, wenn Israel nicht dazu gedrängt wird, die Besetzung aufzuheben, die internationalen Verträge zu implementieren und einen echten, politischen Willen zum Frieden unter Beweis zu stellen. Wir werden abwarten, denn von den Olivenbäumen haben wir Geduld gelernt und Gelassenheit.

die furche: Täglich liest und sieht man, was in Ihrer Heimat passiert: Panzer, Bulldozer, Selbstmordattentate... Wie kommt man damit im Alltag zurecht?

farhat-naser: Seit zwei Jahren leben wir Palästinenser in den besetzten Gebieten wie in Gefängnissen. Normalerweise brauchten wir drei Stunden, um das Gebiet in nord-südlicher Richtung zu durchqueren und zwei Stunden, um von Westen nach Osten zu gelangen. Dieses Gebiet ist heute in 48 voneinander getrennte Enklaven unterteilt. Es gibt zwei Straßennetze, eines für israelische Siedler und eines für Palästinenser. Überall, wo diese Straßen einander kreuzen, gibt es einen Check-Point des Israelischen Militärs. Unsere, die palästinensische Straße ist durch große Betonklötze blockiert, von Panzern und Bulldozern aufgerissen oder mit Erd- und Steinhaufen unpassierbar gemacht. Wenn ich von Bir-Zeit weg will, darf ich nur fünf Kilometer fahren, muss dann das Auto abstellen und zu Fuß über die Hindernisse klettern. Da musst du dann die Koffer, die Taschen, die Kranken, das Gemüse, was auch immer, auf deinem Rücken tragen, 500 Meter oder auch zwei Kilometer bis du wieder eine Chance bekommst, ein Auto für die nächsten paar Kilometer zu finden. Das gilt für alle, egal ob die Kinder zur Schule, die Studenten zur Universität, die Leute zur Arbeit müssen oder ob du einen Kranken ins Spital bringen willst. Das ist nur ein Beispiel für die Demütigung.

die furche: Ihr neues Buch, das in wenigen Tagen erscheint, trägt den Titel "Verwurzelt im Land der Olivenbäume". Was bedeuten Ölbäume für Sie?

farhat-naser: Das palästinensische Volk, so empfinden wir das alle, ist zunehmend in seiner Existenz bedroht. Daher wollte ich unsere Verwurzelung im Boden dieses Landes zeigen. Der Olivenbaum als Symbol der Standhaftigkeit, der Güte, der Gastfreundschaft und Fruchtbarkeit ist für unsere Menschen sehr wichtig. Im Schatten der Olivenbäume finden wir in aller Bedrängnis Ruhe Gelassenheit und auch den Traum vom Frieden, der uns Hoffnung gibt, wie schwer unser Los auch immer sei. Ich als Bäuerin - ich lebe nämlich auf dem Land und meine Familie hat viele Olivenbäume - weiß wie schwer die Ernte ist. Ich weiß aber auch wie genügsam die Olivenbäume sind, was ihre Pflege anbelangt. Wenn du Olivenbäume hast, kannst du dich über Wasser halten, wenn du Olivenbäume hast, kann die Hoffnung nicht sterben.

die furche: In letzter Zeit werden immer öfter Olivenhaine von israelischen Panzern und Bulldozern vernichtet. Geschieht das, weil die Bäume so wichtig für die Palästinenser sind?

farhat-naser: Nun ja, da ist sicherlich ein psychischer Faktor dabei. Aber der Hauptgrund ist, dass die Israelis das Land veröden lassen wollen, um eine Rechtfertigung zu finden, den Boden zu konfiszieren, zu behaupten, die Palästinenser würden sich ohnedies nicht darum kümmern und sie könnten ruhig neue Siedlungen errichten. Aber das Psychische ist natürlich nicht unwichtig. Sie wissen, dass die Olivenbäume unsere Lebensgrundlage sind, sie wissen, dass es bei uns so ist, dass jede Generation neue Olivenbäume pflanzen muss, um das Leben der nächsten abzusichern. So war das immer bei uns. Und das soll für uns ein Zeichen sein, dass sie diese Kontinuität unterbrechen, uns weghaben wollen. Wer Olivenbäume zerstört, hat wenig Respekt vor dem Leben, denn für uns sind Olivenbäume wie unsere Kinder.

die furche: Ihre Motivation für das Buch war sicher nicht, eine biologische oder psychologische Untersuchung über den Olivenbaum anzustellen. Was war also der Auslöser?

farhat-naser: Durch die zunehmende Einschnürung nach den Abkommen von Oslo musste ich nach so vielen Jahren meine konkrete und tägliche Arbeit für die Initiative "Frauen für den Frieden" aufgeben. Wir hatten ein israelisch-palästinensisches Büro an der Grenze von Jerusalem und der Westbank aufgebaut. Wir hatten unzählige Kurse für Gesprächstraining zwischen palästinensischen und israelischen Frauen abgehalten. Es war der Versuch zu zeigen, wie man mit Vorurteilen umgeht, wie man Misstrauen abbaut, wie man Verletzungen ertragen und in positive Richtungen lenken kann. Tausende Frauen sind durch diese Kurse gegangen. Wir haben gemeinsame Aktionen durchgeführt: Künstler mit Künstlern, Ärzte mit Ärzten, Lehrer mit Lehrern, Jugendliche mit Jugendlichen, und es war uns sogar gelungen, Politiker beider Seiten zu interessieren. Aber dann kamen all diese neuen Sperren und mein Weg, der vorher eine knappe halbe Stunde von Bir-Zeit an den Stadtrand von Jerusalem betragen hatte, dehnte sich nun auf drei Stunden aus. Das war neben meiner Lehrtätigkeit an der Universität von Bir-Zeit nicht mehr möglich. Da bin ich zu meinen Olivenbäumen gegangen, habe sie umarmt, habe geweint und beschlossen, dass ich diese mir so wichtige Arbeit aufgebe. Und, um ehrlich zu sein, um mit diesem für mich so schweren Entschluss fertig zu werden, habe ich begonnen, dieses Buch über unseren gewaltlosen Kampf für den Frieden zu schreiben.

die furche: Ein ganz anderes Thema: Wie wichtig ist der Faktor Wasser in dem nicht enden wollenden Konflikt zwischen Israel und Palästina?

farhat-naser: Sehr wichtig. Israel hat nicht genug Wasser und hat sich angewöhnt, sehr viel zu verbrauchen. Das einzige wirklich große, aber langsam absinkende Grundwasserreservoir liegt unter der Westbank. Es ist an sich unser Wasser. Schauen Sie sich die Verteilung an: Ich bekomme 32 Liter pro Tag. Ein Israeli hat über 200 und ein Siedler über 300 Liter pro Tag zugeteilt. Der Siedler und der Israeli zahlen pro Kubikmeter weniger als einen Schekel, ich zahle mehr als vier. Sie können sich vorstellen, was das im Sinne von Gerechtigkeit bedeutet. Wir, als Bewohner des Landes in einer Trockenzone, sind gewohnt, sparsam mit Wasser umzugehen. Als Kind habe ich viele Stunden damit zugebracht, das nötige Wasser aus einer sehr langsam fließenden Quelle einzufangen und meinen Schultern nach Hause zu tragen, sorgsam bedacht, keinen Tropfen zu verschütten. Die israelischen Siedler aber betreiben Tag und Nacht ihre Sprinkleranlagen, um Früchte zum Reifen zu bringen, die hier nicht hergehören, den Rasen zu besprengen und sich im Swimmingpool zu vergnügen. So kann es nicht gehen, denn das Klima ändert sich und die Regenfälle nehmen ab.

die furche: Werden Sie trotz der schrecklichen Erfahrungen, die sie kürzlich machten, wieder heimkehren?

farhat-naser: Selbstverständlich. Palästina ist meine, ist unsere Heimat. In Bir-Zeit leben sieben Sippen, und soweit sie christlich sind - wie etwa meine - stammen sie von jenen ersten Christen aus der Zeit der Apostel und ihrer Nachfolger ab. Wir sind die lebendigen Steine, auf denen unser Land ruht, und da wird jeder gebraucht, der sich nicht für den Krieg, sondern für Frieden und Versöhnung einsetzt. Ich tue das seit mehr als 20 Jahren. Wir müssen uns für eine Lösung dieses schrecklichen Konflikts zwischen den semitischen Brüdern einsetzen und einen Ausweg aus dem Töten und Getötet-Werden erbeten und erarbeiten.

Das Gespräch führte Dolores Bauer.

Zur Person: Wegbereiterin des Dialogs

Prof. Dr. Sumaya Farhat-Naser wurde im Jahr der Staatsgründung Israels in Bir-Zeit bei Ramallah geboren. Ihre Schulzeit verbrachte sie im Internat deutscher Diakonissen in Bethlehem. Studiert hat sie in Hamburg: Biologie, Geographie und Erziehungswissenschaften. Nach Hause zurückgekehrt, habilitierte sie sich an der Universität von Bir-Zeit in Biologie und begann, sich für einen gewaltlosen Weg zum Frieden zu engagieren. Sie nahm an bilateralen, aber illegalen Treffen teil und lernte, wie man über Abgründe hinweg miteinander redet, eine Fähigkeit, die sie dann in den beginnenden Dialog zwischen israelischen und palästinensischen Frauen mit Erfolg einbrachte. "Wir können zwar jetzt nur noch über das Internet miteinander kommunizieren, aber das, was wir miteinander gelernt haben, geht nicht mehr verloren. Das ist Kapital für den Frieden, der einmal kommen muss. Zu ihm gibt es keine Alternative."

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