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Indiens Thomas-Chrisien

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1952 jährte sich zum 1900sten Mal die Ankunft des heiligen Thomas in Indien. In zahlreichen größeren Städten des Landes wurden aus diesem Anlaß öffentliche Feiern abgehalten und in vielen Reden und Artikeln der Aufenthalt des heiligen Thomas in Indien besprochen. Vielen Menschen in Indien war diese Jahrhundertfeier eine Ueberraschung, man glaubte doch im allgemeinen, das Christentum sei mit den Europäern nach Indien gekommen, und fand es unfaßbar, daß dies bereits 1900 Jahre früher geschehen war.

In Travancore-Cochin in Südindien leben heute über zwei Millionen Christen, die sich als Nachkommen der ersten Christen in Indien bezeichnen. Sie sind als „syrische Christen“ bekannt, da sie irgendwann in ihrer langen Geschichte einmal mit der Kirche in Syrien in Verbindung gestanden und Syrisch als ihre liturgische Sprache angenommen hatten. Von diesen zwei Millionen syrischer Christen gehört nahezu die Hälfte der römisch-katholischen Kirche an und anerkennt den Papst als ihr Oberhaupt, eine andere Gruppe betrachtet den Patriarchen von Antiochia als ihr kirchliches Oberhaupt und die wenigen Verbleibenden gehören einer autonomen Kirche an. Obwohl sie sich in ihrer Kirchenzugehörigkeit unterscheiden, betrachten sich doch alle als syrische oder Thomas-Christen.

Nach der Tradition, die sich bei den syrischen Christen Malabars seit frühesten Zeiten überliefert hat, soll der heilige Thomas auf dem Seeweg von der Insel Socotra (im Arabischen Meer) gekommen und in Cranganore, einem Ort in der Nähe von Cochin, im Jahre 52 n. Chr. an Land gegangen sein. Er errichtete in verschiedenen Teilen Malabars sieben Kirchen. Später begab er sich an die indische Ostküste, und auch dort wurde seine Verkündigung von vielen gehört. Von der Ostküste reiste er nach China. Nach feiner Rückkehr an die Ostküste Indiens erreichte ihn dort der Märtyrertod.

Als die Europäer nach Indien kamen, wurde ihnen die Tradition des apostolischen Ursprungs der Kirche in Indien zu einem historischen Problem. Historische Forschung konnte jedoch nicht „beweisen“, daß der heilige Thomas nach Indien gekommen war,’ obwohl die Universalkirche von jeher den heiligen Thomas als den Apostel Indiens anerkannt hatte und die Kirche in Indien bis in die ersten Jahre des christlichen Zeitalters zurückverfolgt werden kann. Das historische Problem wurde lang durch den Umstand erschwert, daß von einer syrischen Schrift aus dem 2. Jahrhundert ein Besuch des heiligen Thomas am Hofe eines Königs namens Gondopharis verzeichnet wird. Bis vor einigen Jahren schien dieser Bericht auf bloßer Dichtung zu beruhen, da in der Geschichte kein König dieses Namens bekannt war. Ausgrabungen um Taxila in Nordindien bewiesen jedoch, daß ein solcher König einer jarthi- schen Dynastie angehörte, die im 1. Jahrhundert n. Chr. im Pandsdiab regierte. DJ»S wäre wohl ein klarer Beweis für St. Thomas' Aufenthalt in Indien.

Wie es scheint, hat sich das Christentum schon im 1. Jahrhundert bis nach Persien und China und viele Teile Indiens ausgedehnt. Vielerorts bestand es aber nur kurze Zeit, teils wt-ij es an der nötigen Durchschlagskraft fehlte, teils auf Grund von Christenverfolgungen. Die Erzählungen über die Ankunft des Heiligen Thomas im Pandsdiab und in Malabar brauchen nicht eigentlich sich widersprechende, sondei, können sehr wohl sich ergänzende Erzählunge-a sein. Es ist bekannt, daß in den früheren Jahrhunderten die Kirche in Malabar in engem Zusammenhang mit der Kirche in Persien stand. In Malabar fand man persische Kreuze mit altpersischen Schiiften aus dem 7. Jahrhundert. Später, als auch die persische Kirche aufhörte zu existieren, wurde, wie es scheint, mit den syrischen Kirchen Fühlung genommen.

Obwohl gelegentlich Besucher aus anderen Teilen der Christenheit nach Malabar kamen und auch zu verschiedenen Malen eine ziemlich große Zahl persischer und mittelöstlicher Christen nach Malabar auswanderte, bildeten doch die Thomas-Christen Malabars im großen und ganzen eine abgesonderte Enklave des Christentums und wurden unter diesen ungewöhnlichen Bedingungen eine Art eigene Kaste im indischen Sozialsystem. Dieses Kastengefühl hinderte die Thomas-Kirche in Indien an einer größeren Verbreitung, bewahrte sie aber auch vor dem Untergang. Das ständige Bestehen einer christlichen Gemeinschaft in Malabar seit 1900 Jahren ist ein Zeugnis für die Energie und Ausdauer der Christen selbst und die Toleranz und den friedliebenden Charakter ihrer Hindunachbarn.

Schon früh scheinen die syrischen Christen Sitten und Gebräuche gepflegt zu haben, die den Hindubräuchen glichen, gleichzeitig aber doch etwas sehr Bezeichnendes und Eigenes an sich hatten. Zur Bewahrung des eigenen Glaubens schienen die St.-Thomas-Christen stets sorgfältig darauf bedacht, ihre kirchlichen Rituale und religiösen Gepflogenheiten von denjenigen der Hindus klar zu unterscheiden. Für die kirchlichen Zeremonien wurden keine Blumen verwendet. Da die indische Musik religiösen Ursprungs war, wurde sie in die christlichen Gottesdienste selten einbezogen. Die gesellschaftlichen Bräuche und teilweise sogar die religiösen Feiern anläßlich einer Eheschließung und anderer Sakramente weisen ein seltsames Gemisch von christlichen und Hinduideen auf. Das charakteristische Merkmal einer Hochzeit bei den syrischen Christen z. E. besteht darin, daß der Bräutigam der Braut eine Schnur mit einem kleinen Goldkreuz um den Hals legt. Diese Schnur wird „Mangala Sutra“ genannt, das heißt „die heilige oder glückbringende Schnur“. Abgesehen von der Verwendung des winzigen Goldkreuzes an dieser Schnur ist diese Zeremonie eine willige Nachahmung der brahmanischen Heiratszeremonie. Bis vor kurzem noch kleideten sich alle syrischen Christen, Männer und Frauen, in reines Weiß, teils weil dies zu der allgemeinen Bekleidungsart der Bewohner Malabars paßte, teils auch weil diese Kleidung der strengen Einfachheit entsprach, welche die Christen in ihrer Kleidung übten. Sie scheinen von allem Anfang an Kaufleute und Händler gewesen zu sein. So ist bekannt, daß ein gewisser Iravi Korthan von Cranganore im Jahre 774 n. Chr. vom Herrscher des Landes eine Kupferplatte erhielt, wodurch ihm der Rang eines kaiserlichen Händlers von Kerala zuerkannt wurdfc. Anscheinend lag, wie auch heute noch, der Großteil des Pfefferhandels und des Handels mit anderen Waren, für welche Malabar seit jeher berühmt war, in den Händen der Christen.

Bis auf den heutigen Tag leben die syrischen Christen in Malabar nach einer strengen Tradition, und obwohl sie zu den gebildetsten Gemeinden Indiens gehören, haben sie sich in ihren Gewohnheiten nicht sehr verwestlicht. Wenigstens in ihrer Heimat Travancore-Cochin ist ihre Nahrung, Ktei- dung und Sprache noch heute dieselbe wie zu ihrer Väter und Urväter Zeiten. Die Christen des Heiligen Thomas in Malabar sind nicht nur Zeugnis für den langen Bestand des Christentums in Indien, sie beweisen auch, daß das Christentum nicht eine Fremdreligion ist und sich der sozialen und kulturellen Struktur Indiens ohne Mühe und Konflikte eingegliedert hat.

(Aus einem Bulletin der Wiener Indischen Gesandtschaft.)

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