Innenschau des Meisters

Werbung
Werbung
Werbung

Brasiliens musikalische Ikone Gilberto Gil, langjähriger Kulturminister unter Präsident Lula da Silva, kommt auf Besuch ins Wiener Konzerthaus: mit einem neuen Programm mit sparsamer Instrumentierung, geprägt von der Reife des Alters.

Schon als kleines Kind im Landesinneren Brasiliens kam Gilberto mit Akkordeonspielern und Troubadouren in Berührung und als er acht war, übersiedelte die Familie zurück nach Salvador da Bahia, der Hauptstadt afrobrasilianischer Kultur und Lebensfreude. Dort war er vor 69 Jahren auf die Welt gekommen. Da ihm seine Mutter ein Akkordeon schenkte, lernte er zuerst dieses Instrument. Als dann Ende der 1950er-Jahre der Bossa Nova aufkam, tauschte er die Harmonika gegen die Gitarre ein.

Obwohl der Arztsohn Betriebswirtschaft studierte, war schon früh die Musik seine Leidenschaft. Mit 18 gründet er seine erste Band. Die Jugend von Gilberto Gil fiel in eine Zeit eines starken gesellschaftlichen Aufbruchs und heftiger Diskussionen zwischen dem linken und rechten politischen Lager. Im Landesinneren entstand die neue futuristische Hauptstadt des Landes, Brasilia, wo im September 1961 João Goulart zum Präsidenten vereidigt wurde. Seine politischen Maßnahmen und Pläne wie Umverteilung, Agrarreform und bewusstseinsschaffende Volksbildung ließen in den konservativen Kräften das Gespenst des Kommunismus aufkeimen. Im März 1964 stürzte die Armee mit Unterstützung der USA den Präsidenten; eine 21-jährige Militärdiktatur begann.

Populäre Musik Brasiliens erneuert

In gesellschaftspolitischer Hinsicht war eine der Reaktionen auf die repressive Epoche des Militärregimes die Tropicália-Bewegung. Ein vor allem von jungen Menschen getragener, frecher und schriller Aufschrei in Zeiten des kulturellen und politischen Niederganges. Tropicália war auch so etwas wie ein avantgardistisches eigenes Lebensgefühl. Einer der Protagonisten dieser widerständischen Bewegung war Gilberto Gil, genauso wie sein Altersgenosse und Freund Caetano Veloso. 1969 wurden die beiden verhaftet, verurteilt - und gingen nach ihrer Freilassung nach London ins Exil. Dort traf Gil unter anderem Bob Marley, der ihn musikalisch stark beeinflusste.

Doch bereits 1972 zog es sie wieder in die Heimat zurück - die Zeit der stürmischen tropikalischen Jahre war jedoch unwiederbringlich vorbei. Gil befasste sich nunmehr mit den Wurzeln der brasilianischen Musik, erforschte die Musik des ländlichen Raumes und des afrikanischen Brasiliens. Zusammen mit Caetano Veloso und dessen Schwester Maria Bethânia kommt Gilberto Gil das historische Verdienst zu, die populäre Musik Brasiliens erneuert zu haben.

Mittlerweile ist Gilberto Gil ein Weltstar geworden. Es hagelt goldene Schallplatten, fünf Platin-Schallplatten, mehrere Grammies, den Polar Music Prize. Vielleicht ist es gerade der anhaltende Welterfolg, der den brasilianischen Musiker auch zu einem politisch engagierten Handeln verlockt. Als Kulturbeauftragter seiner Heimatstadt kämpft er ab 1987 für die Erhaltung des historischen Erbes von Bahia und ruft die Organisation "Blaue Welle“ ins Leben, die das Umweltbewusstsein der Bevölkerung fördern soll. Und als der sozialistische Gewerkschafter Luiz Inácio Lula da Silva, allseits Lula genannt, Ende 2002 im vierten Anlauf die Wahlen gewinnt, lässt er sich von diesem überreden, das Kulturministerium zu übernehmen.

Der Zärtlichkeit Möglichkeiten lassen

Dass Macht korrumpiert, ist ein ebenso zeitloses wie weltweites Phänomen. Und am Höhepunkt ihrer Macht hat Lulas Arbeiterpartei mit ersten Anzeichen unethischer Praktiken zu kämpfen. Da die Partei im Parlament über keine absolute Mehrheit verfügt, werden Stimmen gekauft, wird bestochen und hinter den Kulissen unredlich paktiert. Der persönlich über jeden Korruptionsverdacht erhabene Präsident Lula ruft eine Ethikkommission ins Leben, in deren kritisches Blickfeld auch der Kulturminister rückt. Sie rügt ihn wegen geschäftlicher Beziehungen zu einer Privatbank: Gil hatte dieser gegen Bezahlung eine seiner Kompositionen überlassen, während umgekehrt sein Ministerium über Subventionen für ein Kulturinstitut dieser Bank entschied. Konnte man bei diesem Verhalten noch einen "guten Zweck“ als Entschuldigung anführen, so war die Mittelvergabe für Kulturprojekte gegen Zahlung einer "Kommission“ schon nicht mehr so leicht zu akzeptieren.

Wachsenden Unmut in der Bevölkerung riefen dann Aktionen wie der Besuch in einer von Gangsterbanden kontrollierten Favela und seine öffentlich geäußerte Toleranz gegenüber korrupten und kriminellen Praktiken hervor. Dass der Minister für eine Freigabe der Drogen plädierte, mag vielleicht eine Hommage an seine Tropicália-Zeit gewesen sein. Dass er aber seinen populären, in Gottesdiensten viel gespielten Hit "Gehen im Glauben“ einer großer Privatbank für Werbezwecke zur Verfügung stellte, nahmen ihm viele Menschen übel.

So mehrten sich die Anzeichen einer Amtsmüdigkeit und im März 2008 kündigte der Kulturminister seinen Rücktritt an, den er dann im Juli, nach fünfeinhalbjähriger Tätigkeit als oberster Kulturbürokrat, vollzog. "Er will eben wieder Künstler sein“, begründete Präsident Lula die Entscheidung seines Ministers. Und auch Gil selbst argumentierte, er möchte sich eben wieder seiner Lieblingsbeschäftigung, dem Singen, widmen. "Das hat auch etwas mit der Zeit zu tun, die uns ihre Zeichen aufdrückt“, erklärt er seinen Drang, wieder zur Musik zurückzukehren.

Diese Zeichen der Zeit brachten es wohl auch mit sich, dass die Ikone der brasilianischen Populärmusik ruhiger und introvertierter geworden ist. "Mein Körper und meine Seele verlangen eine intimere, eine mehr nach innen gerichtete Musik, die der Zärtlichkeit mehr Möglichkeiten lässt“, sagt der 69-jährige Künstler. Diese Tendenz drückt sich in dem neuen Programm "The String Concert“ deutlich aus. Dabei tritt kein Streichorchester auf, wie man vom Namen her vermuten könnte, sondern nur die 16 Saiten von zwei Gitarren und einem Cello. Das Programm besteht in einem langsamen Entfalten von Kompositionen aus einer über vier Jahrzehnte langen musikalischen Tätigkeit, von Liedern, die für eine einfache Ausführung geeignet sind. "Lieder einer intimen Innenschau, die die starke rhythmische Qualität der brasilianischen Musik nützen“, kündigt Gilberto Gil an.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung