Innovation, very British: Tradition plus Kontext

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Seit gut zehn Jahren gibt es in der anglikanischen Kirche die "Fresh Expressions of Church", deren pastoraler Fokus auf kirchlich nicht gebundenen Menschen und deren Lebenswelten liegt. Ein neues Buch analysiert diese Bewegung.

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Seit gut zehn Jahren gibt es in der anglikanischen Kirche die "Fresh Expressions of Church", deren pastoraler Fokus auf kirchlich nicht gebundenen Menschen und deren Lebenswelten liegt. Ein neues Buch analysiert diese Bewegung.

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In der Kirche von England rumort es gewaltig. Seit Jahrzehnten liefern sich die Anhänger der traditionellen pfarr-, sakramenten-und klerikerzentrierten Seelsorge einen Wettstreit mit neuen missionalen Initiativen, die seit 2004 unter dem Begriff "Fresh Expressions of Church" (fxC) offiziell als eigenständige anglikanische Kirchen anerkannt sind. Hintergrund dafür sind die selbst für westliche Verhältnisse massiven Rückgänge und Abbrüche der Church of England, die sich durch Säkularisierung, Individualisierung und Ökonomisierung der Gesellschaft allein nicht schönreden lassen.

Langsam dringt die Kunde von diesen neuen Formen von Kirchesein auch über den Ärmelkanal. Erste Berichte wurden in den letzten Jahren veröffentlicht, Studienreisen fanden statt, es bildeten sich FreshX-Initiativen in Deutschland und in der Schweiz. Und auch einige Bücher sind erschienen.

Frecher Umgang mit der Tradition

Vor allem die Neuerscheinung "Fresh Expressions of Church" der reformierten Schweizer Pfarrerin Sabrina Müller bietet allen Interessierten einen hervorragenden Überblick zur Entstehung und Entwicklung der Bewegung. Anhand fünf ausgewählter Beispiele aus intensiven Feldforschungen wird die Vielfalt und zugleich die gemeinsame Zielsetzung von fxC als Orte, wo Kirche präsent wird, deutlich. Die theologische Reflexion basiert auf den persönlichen Erfahrungen der Autorin. Als Leiterin der Spurgruppe "fresh expressions Schweiz" hat sie auch bereits neun Studienreisen durchgeführt. Für ihre Arbeit nutzte Müller methodisch die teilnehmende Beobachtung sowie Literaturrecherche und Experteninterviews.

Das Buch macht zweierlei deutlich: fxC sind ein anerkannter und fester Bestandteil der anglikanischen Kirche mit über 2000 Initiativen, theologischer Forschung, speziellen Aus- und Weiterbildungen und beachtlichen Erfolgen im Zugehen auf kirchenferne Kontexte und Personen. Im Rahmen des Berichts "Mission-shaped Church" 2004 gab der damalige anglikanische Primas Rowan Williams mit dem Begriff "mixed economy" eine entscheidende Orientierung. Er brachte eine brodelnde bottom-up-Bewegung mit einer top-down-Strategie in einen konstruktiven Dialog. Mit Kontextualität, Mission und Jüngerschaft gehen fxC flexibel auf die Herausforderungen der Postmoderne ein, ohne sich von traditionellen Formen einengen zu lassen.

Gerade dieser freche Umgang mit Tradition weckt auch Fragen und Kritik. Hinter Konflikten um Geld, Macht und Einfluss stehen unterschiedliche theologische Konzepte, die Müller thematisiert. Vieles ist work in progress. Einige fxC kommen bereits in die zweite Generation, manche bestehen nur für eine bestimmte Zeit und lösen sich wieder auf. Die neue Berufsgruppe der "pioneer ministers" rekrutiert sich zunehmend aus fxC und nicht mehr aus der Pfarrseelsorge. Für sie sind die neuen Formen bereits das Gewohnte, während das "Alte" immer stärker als anachronistisch, unpassend und abgehoben empfunden wird. Da bleiben Ressentiments und Vorwürfe nicht aus. Die moderne Gesellschaft wird nicht nur soziologisch, sondern auch theologisch unterschiedlich gedeutet. FxC verstehen sich als Gegenwelt und Entdeckungsgeschichte zugleich: Gott ist bereits da! Wie kann unter derart pluralisiertenBedingungendieEinheit der Kirche gewahrt bleiben?

PfinXten als Ort des Lernens

Unter dieser Prämisse schossen seit 2004 fxC wie die sprichwörtlichen Schwammerln aus dem Boden. Knapp 100.000 Menschen betrachten heute fxC als ihre Kirche. 75 Prozent davon hätten sonst keinen kirchlichen Bezug. Kreativ aufgreifen statt nachmachen könnte auch die Spur sein, wie Kirchen im deutschsprachigen Raum von den Erfahrungen der fxC lernen könnten. Die Offenheit, voneinander zu lernen, ist erwiesenermaßen der Hauptfaktor für Innovation in Kirchen weltweit. Wie Traditionen durch konsequente Kontextualisierung zu innovativer Praxis verwandelt werden können, zeigen fxC in faszinierender Weise und mit beeindruckenden Früchten. Die Rede von "neuen Orten" der Pastoral bietet sich im deutschsprachigen Raum als Anknüpfungspunkt an.

In Österreich bietet das Innovationsforum PfinXten von 18.-20. Mai im Kärntner Bildungshaus Stift St. Georgen einen solchen offenen Rahmen für Führungskräfte, die alte und neue kirchliche Orte oder auch gesellschaftliche Brennpunkte in christlichem Geist und mit zeitgemäßen Zugängen erneuern wollen (Infos: www.pastoralinnovation.at). Die übliche Trennung von Aktiven und Gästen wird durch die Einladung relativiert, sich einem kreativen Austausch des Gebens und Nehmens zu stellen. Internationale Gäste, Theolog(inn) en und Praktiker(innen) aus unterschiedlichen Bereichen wollen sich einem Klima öffnen, wo der lebendige Geist Gottes spürbar wird und zu kühnen Gedanken und Initiativen inspiriert.

Der Autor ist Theologe und Gründer der ökumenischen Initiative Pastoralinnovation

Fresh Expressions of Church

Ekklesiologische Betrachtungen und Interpretationen einer neuen kirchlichen Bewegung.

Von Sabrina Müller. Theologischer Verlag Zürich 2016. 352 Seiten, kt. & CD-ROM. € 59,70

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