Integration braucht Religion

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Man darf sich nichts vormachen: Der Geist der Schweizer Minarett-Initiative ist hierzulande ebenfalls stark präsent. Auch Österreich muss sich auf langwierige, aber notwendige Auseinandersetzungs-Prozesse einrichten.

Von Bestürzung bis Hohn reicht die Palette der Reaktionen aufs Schweizer Minarett-Verbot. Keine Frage, dass dieses der Religionsfreiheit und den Menschenrechten Hohn spricht. Zu den „Verlierern“ der Volksabstimmung gehören auch die Kirchen der Schweiz, die sich – von evangelikalen Gruppen abgesehen – energisch gegen das Minarett-Verbot ausgesprochen hatten. So gesehen sind an diesem Sonntag die Schäfchen ihren Hirten davongelaufen. Das muss nicht nur beunruhigen, denn es gehört zu dieser notwendigen Auseinandersetzung. In Österreich haben sich oberste Kirchenrepräsentanten ähnlich positioniert. Auch Kardinal Christoph Schönborn hat des Öfteren kein Hehl daraus gemacht, dass er mit Minaretten kein Problem hat. Man muss kein Hellseher sein, um zu mutmaßen, dass diese Position des Kardinals – wie in der Schweiz – im Widerspruch zur Angst vor dem Islam steht, die auch hierzulande grassiert.

Angst darf kein Ratgeber für die Politik sein

Angst ist mit Sicherheit einer der wesentlichen Faktoren, der zum Schweizer Abstimmungsergebnis geführt hat. Keine Frage, dass man Ängste ernst nehmen soll. Keine Frage aber auch, dass Angst kein Ratgeber für die Politik sein darf. Das gilt hierzulande nicht minder.

Denn auch der österreichische Beobachter sitzt im Glashaus – er sollte also nicht mit Steinen werfen. Das Schweizer Abstimmungsergebnis ist ja auch ein Ausdruck der eidgenössischen Mentalität: Die Schweizer direkte Demokratie öffnet gesellschaftliche Wunden schneller als die österreichische Politik der Vernebelung. Wetten, dass eine österreichische Minarett-Debatte dasselbe Ergebnis brächte wie die helvetische? Man muss auch daran erinnern, dass zwei Bundesländer – Kärnten und Vorarlberg – ihre Raumordnungs-Gesetze so verändert haben, dass unter dem Titel „Ortsbildpflege“ jedes Minarett verhindert werden kann. Was also die Schweizer – auch wenn es menschenrechtlich unhaltbar ist – beschlossen haben, wird hierzulande längst praktiziert und bloß in einer Art juristischem Schlawinertum verschleiert.

Die Schweiz steht in der Angst-Politik gegen den Islam also nicht allein da. Es wäre eine vordringliche Aufgabe der Politik wo auch immer in Europa, dieser Angst mit Perspektiven und Konzepten zu begegnen. Da aber Politik nicht im luftleeren Raum stattfindet, ist die Zivilgesellschaft – und dabei die Religionsgemeinschaften an vorderer Stelle – in die Pflicht zu nehmen. „Integration braucht Religion“, so könnte ein Slogan dafür lauten.

Die Christen im Lande könnten dabei klarmachen, dass die freie Religionsausübung eine Voraussetzung für das Funktionieren der Gesellschaft ist. Integration, die gerade Politiker/innen der rechten Reichshälfte so vollmundig fordern, heißt auch, dass Muslime ihre Religion praktizieren können und dies auch öffentlich sichtbar machen.

Wie die Schweiz nun offen, Österreich ein wenig versteckter zeigt, ist diese Einsicht im breiten Bewusstsein zu wenig verankert. Das muss nüchtern konstatiert werden und nimmt alle Player dieser Gesellschaft in die Pflicht – auch die Muslime selbst, die tagtäglich beweisen müssen, dass sie in der europäischen Gesellschaft wirklich angekommen sind.

Muslime in die Pflicht genommen

Lamentieren nützt da wenig. Die Muslime sind vielmehr aufgerufen, ihr Recht auf Religionsausübung einzufordern. Es gibt ja konkrete Beispiele, wo dies längst geschehen ist. Dem Bau der beiden Moscheen mit Minarett außerhalb Wiens – Telfs und kürzlich Bad Vöslau – sowie der Errichtung des islamischen Friedhofs für Voralberg gingen jeweils langwierige, teils jahrelange Auseinandersetzungen und Mediations-Prozesse voraus. Das mag mühsam sein, zwingt aber die Beteiligten – Muslime wie Nichtmuslime –, ihren Modus vivendi zu erarbeiten.

Hier weiterzutun, wäre die Chance auch für Österreichs Muslime. Denn diese haben ja den Status einer verschwindenden Minderheit längst hinter sich gelassen, sondern sind stark genug, um sich der Auseinandersetzung mit der Mehrheit offen zu stellen. Es ist zu hoffen, dass Muslime dies an vielen Orten des Landes auch wirklich tun.

* otto.friedrich@furche.at

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