Integration statt Wahlkampfhetze

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Österreich ist in den letzten Jahrzehnten zum Einwanderungsland geworden. Im Unterschied zu klassischen Einwanderungsstaaten bleiben Zuwanderer hier jedoch Fremde.

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Österreich ist in den letzten Jahrzehnten zum Einwanderungsland geworden. Im Unterschied zu klassischen Einwanderungsstaaten bleiben Zuwanderer hier jedoch Fremde.

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Die Debatte. Einwanderungsland Österreich?

Eine Feststellung bewegt seit Jahren Teile der politischen Öffentlichkeit. Ungezählte Podiumsdiskussionen, Aufsätze und Bücher wurden mit einem entsprechenden Titel versehen, manchmal mit Fragezeichen, manchmal mit Rufzeichen. Für manche ist es eine Selbstverständlichkeit, für andere wiederum eine Schreckensvision: Österreich, ein Einwanderungsland. Selten hat eine Scheindiskussion so lange gedauert, und selten waren Themen wie dieses so gut geeignet, immer wieder breite Bevölkerungsgruppen zu emotionalisieren und diese an die eine oder andere Partei zu binden.

Für die einschlägigen Wissenschaften ist es jedenfalls keine Frage: Österreich ist zum Einwanderungsland geworden - nicht freiwillig, aber faktisch. In den vergangenen Jahrzehnten war die Zuwanderung nach Österreich deutlich größer als die Abwanderung aus Österreich. Wenn es eine einfache statistische Definition von Einwanderungsland gibt, dann ist es diese: Die Einwanderung muß größer sein als die Auswanderung, und das war und ist in Österreich der Fall.

Im Schnitt der Jahre 1961-1995 lag der Wanderungsgewinn bei rund 16.000 Personen pro Jahr und resultierte aus einer Abwanderung von jährlich rund 4.000 und einer Zuwanderung von rund 20.000 Personen. Besonders hoch war die Zuwanderung Mitte der 60er, Anfang der 70er Jahre und zwischen 1985 und 1995. War in den 50er und 60er Jahren die Bevölkerungsdynamik noch fast ausschließlich durch den Geburtenüberschuß geprägt, so gewinnt seit den 70er Jahren - als sich die sinkende Zahl der Geburten und die steigende Zahl der Sterbefälle immer mehr anglichen - die Zuwanderung immer größere Bedeutung.

Unterschied zu USA Derzeit leben in Österreich rund 750.000 Personen mit nichtösterreichischer Staatsbürgerschaft, mehr als die Einwohnerzahl der Bundesländer Salzburg und Burgenland zusammen. Statistisch betrachtet macht es daher wenig Sinn, diese Tatsachen zu negieren und so zu tun, als ob Zuwanderung nur ein vorübergehendes Phänomen darstelle oder zahlenmäßig zu vernachlässigen sei.

Klar ist aber auch, daß Österreichs Identität nicht auf Einwanderung basiert. Das unterscheidet uns von klassischen Einwanderungsstaaten wie den USA, Kanada, Australien oder Israel. Für Österreich bleiben Zuwanderer auch über einen langen Zeitraum hinweg lediglich Gastarbeiter, Transitflüchtlinge oder vorübergehend anwesende Personen. Es wird nur selten zur Kenntnis genommen, daß aus der Gastarbeiterwanderung längst eine Einwanderung geworden ist und viele Flüchtlinge in Österreich einen dauernden Aufenthaltsort begründet haben. Das passiert, ist jedoch weder vorgesehen noch wird es zur Kenntnis genommen. Der Begriff "Einwanderung" hat für viele einen negativen Beigeschmack.

Ein gesellschaftlicher Konsens, Zuwanderung als Normalität einer ungleichen, aber immer mehr vernetzten Welt zu betrachten und Zuwanderer nach einer gewissen Zeit als gleichberechtigte Mitglieder in unsere Gesellschaft aufzunehmen, ist nicht erkennbar. Und vielen Zuwanderern gelang es auch nicht, ihre wirtschaftliche und soziale Marginalität abzulegen und Teil der österreichischen Mittelschichten zu werden. Die Integration, vor allem der aus dem ehemaligen Jugoslawien und der Türkei zugewanderten Arbeitsmigranten, ihrer Ehepartner und ihrer in Österreich geborenen Kinder, ist trotz langer Aufenthaltsdauer unzureichend geblieben.

Dies ist ein Problem an sich und führt zu einem weiteren: Zuwanderer, Ausländer oder Fremde, die am Rande der Gesellschaft verharren, eignen sich gut zur Projektion gesellschaftlicher Probleme. Sie können sich schlecht wehren, besitzen keinen oder nur einen bescheidenen Zugang zu Medien und finden als Nichtwahlberechtigte auch selten Politiker, die sich für ihre Interessen einsetzen. Zuwanderer und Fremde eignen sich daher hervorragend als Sündenböcke. Ihnen werden negative Entwicklungen zur Last gelegt, die einen selbst betreffen oder zumindest betreffen könnten. Darin spiegeln sich die Angst vor Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit und sozialer Ausgrenzung, aber auch die Verunsicherung angesichts diffus wahrgenommener Modernisierungsprozesse. Die Anwesenheit der 750.000 Ausländer, aber auch der mögliche Zustrom weiterer Zuwanderer bedrohen - so die oft verkürzte Darstellung - den eigenen sozialen Status, bilden eine Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt und führen zur Verknappung des Wohnungsangebots.

Tatsächlich zeigen sich deutliche Zusammenhänge zwischen Alltagsrealität und dem sozialen Status der österreichischen Bevölkerung auf der einen Seite und Fremdenfeindlichkeit auf der anderen. Fremdenfeindlichkeit hat in den meisten Fällen einen spezifischen sozialen Hintergrund. Wer behauptet, fremdenfeindlich seien alle gleichermaßen, Alte und Junge, Männer und Frauen, Angehörige aller Schichten, der übersieht - bewußt oder unbewußt - die empirische Realität.

Die empirischen Erhebungen und Analysen, die in einem eben erst veröffentlichten Sammelband (siehe Buchtip!) zusammengefaßt sind, belegen das Gegenteil. Wer alt ist, wenig verdient, eine geringe Schulbildung aufweist und vermeintlich oder real Gefahr läuft, sozialen Status an die zugewanderte Bevölkerung abgeben zu müssen, der ist eher anfällig für Fremdenfeindlichkeit. Fremdenfeindlichkeit zielt daher auf der anderen Seite auch nicht auf jene Ausländer, die aufgrund des Einkommens, der Qualifikation oder des mitgebrachten Status konkurrenzlos sind, sondern auf jene, die an der gesellschaftlichen Basis mit statusbedrohten Inländern um Arbeitsplätze, Wohnungen und Sozialleistungen konkurrieren.

Gegen Fremdenfeindlichkeit helfen Aufklärung und moralische Appelle wenig. Es soll und muß sie geben, aber ihre Breitenwirkung ist begrenzt. Vorurteile sind meistens resistent gegenüber Lernprozessen. Viel wirksamer wäre daher eine gelungene Integrationspolitik. Wer für den gleichberechtigten Zugang aller Bevölkerungsgruppen zu materiellen und immateriellen Ressourcen in der Gesellschaft sorgt, der entzieht der Fremdenfeindlichkeit weitgehend ihre Basis. Wenn Zuwanderern auf dem Arbeitsmarkt, in der Schule, im städtischen Raum und in der politischen Sphäre eine gleichberechtigte Teilhabe zugestanden wird und Zuwanderer damit ihre festgeschriebene Position in der Gesellschaft - je nach individueller Leistungsfähigkeit - verlassen dürfen und können, dann verliert Ethnizität als gruppenbildendes Merkmal deutlich an Gewicht. Wenn Fremde nicht mehr marginalisiert sind, sondern Teil der Gesellschaft, dann geht "Fremdsein" als soziale Konstruktion verloren. Sie sind nicht mehr fremd, sondern Mitbürger.

Langfristigkeit fehlt Eine gelungene Integrationspolitik kann nur auf einem breiten gesellschaftlichen Konsens über Zuwanderung und über die gesellschaftliche Aufnahme der Zuwanderer basieren. Dies erfordert einen politischen Willen und ein an faktische Gegebenheiten angepaßtes Weltbild. Wer negiert, daß Österreich ein Einwanderungsland ist, wer glaubt, daß Abschottung angesichts einer immer mehr miteinander kommunizierenden Welt und eines wachsenden demographischen Ungleichgewichts aufrechtzuerhalten ist, der wird die Frage nach der Integration von Zuwanderern weder stellen noch beantworten.

Mit dieser Form der Realitätsverweigerung kann man vielleicht kurzfristig Wahlen gewinnen, geht aber langfristig an wichtigen gesellschaftlichen Problemen vorbei. Aber Langfristigkeit war leider nie Anliegen der österreichischen Politik.

Der Autor ist Universitätsprofessor für angewandte Geographie in München und Wien. In zahlreichen Publikationen befaßte er sich mit Zuwanderung, Stadt- und Regionalentwicklung.

BUCHTIP abgrenzen - ausgrenzen - aufnehmen. Empirische Befunde zu Fremdenfeindlichkeit und Integration. Von Heinz Fassmann, Helga Matuschek, Elisabeth Menasse-Wiesbauer(Hg.), Bd. 1, DRAVA-Verlag, Klagenfurt 1999, 255 Seiten, brosch., öS 380,- e 27,62

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