IRA zündet ihre Friedensbombe

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Die IRA öffnet ihre Waffenlager zur Inspektion, und die nordirischen Protestanten lassen die Katholiken wieder in die Regierung. Ein Kompromiss auf wackeligen Füssen.

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Die IRA öffnet ihre Waffenlager zur Inspektion, und die nordirischen Protestanten lassen die Katholiken wieder in die Regierung. Ein Kompromiss auf wackeligen Füssen.

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Als Engländer bin ich tief betrübt über das bittere Erbe, das mein Land den Menschen in Irland hinterlassen hat. Wir sind in das Land eingefallen und haben es zum Schlachtfeld gemacht. Wir beraubten das irische Volk um seine Sprache und Literatur und versuchten, ihnen auch ihre Kirche zu nehmen. Wir kolonisierten das Land mit Fremden und verfolgten die Iren, wenn sie nicht unsere Religion annehmen wollten", so beginnt ein bemerkenswertes englisches Schuldbekenntnis aus der Feder des anglikanischen Rektors von Liverpool, Nicholas Frayling. Die Wunden sind tief, nur so ist zu erklären, warum sich noch heute in Westeuropa bis an die Zähne bewaffnete paramilitärische Organisationen gegenüberstehen und dieses "Problem" seit über 30 Jahren nicht nur die britische Öffentlichkeit beschäftigt.

Als sich die britische Regierung nach dem Ersten Weltkrieg entschloss, den Unruheherd Irland durch Entlassung in die Unabhängigkeit loszuwerden, revoltierten die im Norden der Insel angesiedelten Protestanten, die - wohl zu Recht - fürchten mussten, nunmehr zu einer verfolgten Minderheit zu werden. So wurde ein Kompromiss geboren, der die gleiche Situation mit umgekehrten Vorzeichen schuf: Nordirland wurde von der Unabhängigkeit ausgenommen und verblieb beim Vereinigten Königreich, wobei die in Ulster lebenden Katholiken die Minderheit darstellten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg begann sich der Unmut der Katholiken in Nordirland politisch zu organisieren. Die Motive dafür waren vielschichtig und lassen sich nicht auf den Gegensatz zweier Konfessionen reduzieren. Die Katholiken Nordirlands waren Bürger zweiter Klasse, politisch und wirtschaftlich: Das Wahlrecht war so, dass die Katholiken unterrepräsentiert waren. Die Katholiken stellen nach wie vor die ärmeren Schichten; die Wirtschaft und das öffentliche Leben werden von den Nachfahren der anglo-schottischen Ansiedler beherrscht.

Vom Bloody Sunday ...

Als in den 60er Jahren die ersten friedlichen Protestmärsche für mehr Bürgerrechte erfolgten, war die nordirische Regierung gewillt, das ungerechte Wahlrecht zu ändern. Dies rief verschreckte und um ihre Privilegien fürchtende Protestanten auf den Plan, die unter Führung des ultraradikalen Pastors Ian Paisley mit gewaltsamen Gegendemonstrationen antworteten. Ende 1968 gab es erste Großkrawalle in (London)Derry. (Irische Katholiken werden die Stadt immer Derry bezeichnen, nur die Protestanten nennen sie Londonderry - so kann man leicht feststellen, mit wem man es zu tun hat.)

Ähnlich wie die Farbigen in den USA organisierten sich die Katholiken in Nordirland in einer Bürgerrechtsbewegung (Civil Rights Association), und ähnlich wie in den USA kam es sehr schnell zu den ersten Toten. Im Jänner 1972 feuerten britische Truppen in einen friedlichen CRA-Marsch in Derry und töteten 14 unbewaffnete Zivilisten. Dieses Ereignis, das als "Bloody Sunday" in die irische Geschichte eingegangen ist, war der Anlass für eine Reaktivierung der "Irischen Republikanischen Armee" (IRA), die zur Überzeugung gelangte, dass Bürgerrechte in Nordirland nicht mit friedlichen Mitteln zu erreichen sind.

Terroraktionen der IRA wurden mit Terroraktionen der protestantischen paramilitärischen Gruppen beantwortet. Eine Spirale der Gewalt entstand, die tausende Tote und Verstümmelte zur Folge hatte. London musste immer mehr Militär in die nordirische Provinz schicken, ganze Stadtviertel wurden abgeriegelt beziehungsweise abgemauert, um die hasserfüllten Bevölkerungsgruppen mit enormem Aufwand mühsam zu trennen.

Die politische Folge des Blutigen Sonntags war, dass die Londoner Regierung 1972 das Stormont (Sitz des nordirischen Parlaments) suspendierte und die Provinz direkt von Westminster aus regierte, was die Akzeptanz politischer Entscheidungen nicht gerade erhöhte. London ließ diese schreckliche Eskalation der Gewalt nicht nur zu, sondern heizte sie durch eine unverständliche Arroganz weiter an. So gab es über die Vorfälle des Bloody Sunday eine Pro-forma-Untersuchung, die in einem Husch-Pfusch-Verfahren den verantwortlichen Militärs einen Persilschein ausstellte. Seit 1998 läuft eine Neuauflage der Untersuchung dieses unseligen Tages. Die neue Kommission hat inzwischen über 60.000 Seiten Unterlagen, mehr als 5.000 Fotos sowie 36 Stunden Filmmaterial zusammengetragen und bedauert, dass die britische Armee wichtiges Beweismaterial "irrtümlich" vernichtet hat. Trotz dieser Hindernisse gilt als ziemlich gesichert, dass das Fehlverhalten der Armee in Nordirland endlich dokumentiert werden kann und damit der katholischen Volksgruppe jene Entschuldigung zukommen könnte, auf die viele Iren zu Recht warten. Tony Blair hat sich für vergangene Fehler in Irland entschuldigt und sein Bedauern für den Blutigen Sonntag ausgesprochen. Mit der Einsetzung dieser Kommission hat er ein weiteres starkes Signal gesetzt.

Während der Thatcher-Jahre bewegte sich in der Nordirland-Politik nicht viel, erst in der Amtszeit des glücklosen John Major gelang der erste Schritt für eine De-Eskalation der Gewalt. Motiviert durch eine intensive Geheimdiplomatie - wesentlich unterstützt durch US-amerikanische Vermittler - und eine gewisse Gewaltmüdigkeit in der Bevölkerung erklärte die IRA im August 1994 einen einseitigen Waffenstillstand; im Oktober gleichen Jahres folgten die protestantischen Paramilitärs mit analogen Erklärungen. Im Dezember 1994 kam es zum ersten offiziellen Treffen von Vertretern der britischen Regierung und Sinn Fein, dem politischen Arm der IRA.

... zum Good Friday Die nächste wichtige Markierung war das "Good Friday Agreement" (Karfreitags-Abkommen) aus 1998 in dem vereinbart wurde, in Nordirland wieder eine eigene Regionalregierung zu installieren, die die Interessen der Provinzbevölkerung repräsentiert. Der Stolperstein dieser Vereinbarung war die Intention, dass keinerlei gewaltbereite Gruppen in dieser Exekutive vertreten sein dürfen; das heißt, es geht um die Entwaffnung der paramilitärischen Verbände, was seitens Westminster vor allem als Entwaffnung der IRA gesehen wird. Seit Oktober 1998 verstrichen bereits mehrere Fristen, denn keine der Streitparteien möchte in diesem Prestige beladenen Nervenkrieg den ersten Schritt setzen. Die Katholiken verweisen auf die Tatsache, dass die IRA seit Jahren den Waffenstillstand penibel einhält und dadurch eine gewisse Vorleistung erbracht hätte. Auch ist es für die IRA wichtig, aus diesem Konflikt unbesiegt hervorzugehen. In diesem Henne-und-Ei-Spiel (Soll zuerst abgerüstet werden bevor die katholische Sinn Fein an der Regierung beteiligt wird, oder soll erst die Regierung etabliert werden, damit man die Arsenale reduziert?) geht es nicht zuletzt darum, dass keine Partei durch allzugroße Konzessionsbereitschaft das Gesicht verlieren darf.

Nur so ist es zu erklären, dass im November 1999 zwar erstmals wieder eine Regionalregierung unter Beteiligung der Sinn Fein eingerichtet wurde, die Londoner Regierung diese aber bereits im Februar dieses Jahres erneut suspendierte, mit der Begründung, dass es keinerlei Fortschritte bei der Entwaffnung gibt. Am 6. Mai dieses Jahres konnte die IRA dieses Mal mit einer politischen Bombe den entscheidenden Durchbruch erzielen. Erstmals erklärte die IRA ihre bedingungslose Bereitschaft zu Maßnahmen, die ihreWaffen vollständig und überprüfbar der Verwendung entziehen. Die IRA ist bereit, ihre Waffenlager einer internationalen Kommission zu öffnen und durch regelmäßige Inspektionen zu gewährleisten, dass die Waffen nicht mehr verwendet werden.

IRA gibt Waffen ab Nun waren die protestantischen Ulster-Unionists am Zug, die mit dem derzeitigen Status quo - Einhaltung der Waffenruhe bei gleichzeitiger Nichtbeteiligung der Katholiken am politischen Entscheidungsprozess - zum Teil ganz zufrieden sind. Denn vielen Protestanten ist klar, dass eine Beteiligung der Katholiken sehr rasch mit lieb gewordenen Privilegien aufräumen würde; ebenso klar ist aber auch, dass Irlands Weg in eine gewaltfreie Zukunft nur durch eine politische Beteiligung aller Bevölkerungsgruppen möglich ist. Mit der Öffnung der Waffenarsenale hat die IRA ihre beste politische Karte gespielt und der vernünftige und realistische Leader der Ulster Unionists, David Trimble, weiß das. Aber nur sehr knapp und widerwillig sind seine Parteifreunde dem Wunsch ihres Vorsitzenden am vergangenen Wochenende gefolgt. Lediglich 53,2 Prozent stimmten dafür, auf Grundlage des Abrüstungsangebots der IRA erneut eine Koalitionsregierung unter Einschluss der Sinn Fein zu bilden. Für das Karfreitags-Abkommen konnte Trimble noch 71 Prozent seiner Partei gewinnen. Froh aber auch ernüchtert stellte Trimble fest, seine Partei habe jetzt offensichtlich die Grenzen der Belastbarkeit erreicht. Das Feilschen um die Konditionen der Zusammenarbeit hat somit auf beiden Seiten ein Ende gefunden. Jetzt heißt es, die neue Chance zu nützen.

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