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Auf der Suche, was sich in Jugendkulturen an existenziellen Bedürfnissen und Suchbewegungen erkennen lässt.

Da wir uns alles so zurechtlegen, bis es uns passt, haben wir auch ein flexibles Verhältnis zur Religion gefunden. Jeder glaubt an das, was er für richtig hält ... Man ist katholisch, auch wenn man nicht an die unbefleckte Empfängnis glaubt, man heiratet kirchlich, weil man das irgendwie richtig findet. Mit dem eigenen Sexualleben hat Religion weder vor noch nach der Ehe zu tun, der Gottesdienst am Samstagabend oder Sonntagmorgen gilt als überflüssiges Ritual. Man macht sich vor allem auch nicht mehr die Mühe, nach Argumenten zu suchen, weder für noch gegen Gott." Launig beschrieb Florian Illies in seinem Bestseller "Generation Golf" (2000) das gegenwärtige Verhältnis vieler, vor allem junger Menschen zu Religion.

An irgendetwas glauben

Studien in verschiedenen Ländern zeigen ein ähnliches Bild: Geglaubt wird nicht an nichts, geglaubt wird an irgendwas. Jugendliche - wie bereits auch Erwachsene - surfen in meist unterschiedlichen Sinnwelten. Gemeinsames Kennzeichen: Die Intensität dieses Suchens kann jede(r) ganz individuell selbst bestimmen. Das, was einem "gut tut" und was "Spaß macht", wird als das "Wahre" und "Richtige" gesehen, und es gilt, dass jede(r) über die eigenen spirituellen Bedürfnisse selbst am besten Bescheid weiß. Unbekümmert wird aus der Vielfalt spiritueller Angebote, zu denen auch das der Kirchen gehören kann, ausgewählt. Problemlos wird dieses Ideen-Sampling mit etablierten Weltanschauungen gleichgesetzt. Zwischen Weltanschauung und praktischer Lebensführung wird (wenn es sich nicht um Muslime handelt) kein zwingender Zusammenhang gesehen, das Interesse an der kognitiven Fassung des Religiösen schwindet ebenfalls.

In den Shell-Jugendstudien bejahen zwar die meisten Jugendlichen, dass man irgendeine Religion brauche, doch sei, so Richard Münchmeier (einer der Autoren), dieses Bedürfnis sehr vage und weder durch Erfahrungen noch durch Wissen bestimmt; es bleibt völlig unverbindlich. Diffuse Vorstellungen von einem höheren Sinn/ Wesen, einer höheren Gerechtigkeit herrschen vor.

Zunehmend wird von Theologen kritisiert, dass der in den Shell-Studien angewandte Religionsbegriff die Religiosität junger Menschen nur ungenügend erfasst (vgl. Silvia Thonak, Religion in der Jugendforschung, 2003), weil er die Grenzen institutionalisierter Religion nicht überschreitet und Phänomene postmoderner Sinnsuche und transzendierender Selbstvergewisserung nicht miteinbezieht. Münchmeier selbst räumt ein, dass die Fülle der Themen, die in den zahlreichen Interviews exploriert und in begrenzter Fragebogenzeit angesprochen werden müssen, eine vertiefende und komplexe Ausschöpfung des Bereichs Religion nicht zulässt.

Suche nach "religiöser Aura"

Da die Kirchen kein Monopol mehr für Religion besitzen, haben sich auch die Grenzen des Religiösen aufgelöst. Aus der Sicht heutiger Jugendlicher gewinnen Anbieter alternativer symbolischer Sinnwelten an Glaubwürdigkeit. Diese Anbieter verfolgen zwar nicht immer religiöse Interessen, können aber dennoch mit den primären religiösen Institutionen konkurrieren. Die "Suche nach der religiösen Aura" erfolgt in Musik, in populären Medien, in der überidealisierten Zweierbeziehung, in Glückspraktiken und Selbstherausforderungen (wie Extremsport oder Körperkult). All das kann religiöse Funktion übernehmen: Es dient der Identitätsstiftung und dem breiten Bereich dessen, was der letzten Verfügung des Menschen entzogen ist, es löst intensive Gefühle aus und wird sogar heilig gesprochen, indem man darin Sinn spürt und Wahrheit erlebt.

Jugendliche suchen besonders außeralltägliche Erfahrungen, so genannte "große Transzendenzen" (Thomas Luckmann) und finden diese in ihren Jugendszenen und Events, die sich dem typischen Vergemeinschaftungsprinzip hoch individualisierter und grenzenloser Gesellschaften entwickeln. Trotz ihres oft "konstruierten" und "partiellen" Charakters haben sie eine sozialintegrative und identitätsstiftende Funktion und ermöglichen die Erfahrung von "Gemeinschaft", wenn auch nur auf begrenzte Zeit. Sie heben für den Moment das im Alltag dominierende Gefühl auf, für sich allein und für alles verantwortlich zu sein, indem sie ganzheitlich erlebbar werden lassen, dass in den hoch individualisierten Umwelten noch "Gleichgesinnte" existieren. Und sie geben - trotz aller Unverbindlichkeit und Diffusität - ein festes Repertoire an Regeln und Routinen vor, das von den Mitgliedern mehr oder weniger fraglos zu befolgen ist, und schaffen so Orientierungsmaßstäbe des Handelns.

Jugendliche leben in einer Gesellschaft, die sie zu einem permanenten Neuentwurf ihrer Lebenskoordinaten auffordert. Ihr wichtigster Anker ist die Vergewisserung über sich selbst. Was biografisch als relevant erkannt wird, muss nach außen kommunizierbar sein. Nur so taugt es zur Selbstfindung. Ihre Lebensstile und Szenezugehörigkeiten machen sie anhand von ästhetisierten Elementen (Musik, Kleidung, Sprache) transparent, zeigen, wer man sein will und als wer man respektiert werden kann. Sie kommunizieren nicht - wie noch die 68er Generation - über kognitive Begriffe, sondern über Ästhetik, den eigenen Auftritt.

Ästhetisierte Religion

Ästhetisiert wird auch das Religiöse. Wenn Religion erfahrbar werden will, dann mit allen Sinnen. Dabei ist der Körper sehr wichtig. Geglaubt wird nicht mehr dem, was geschrieben steht, sondern dem, was man an seinem Körper spürt. Solange sich Erlösungszuspruch und -erfahrung nicht decken, sind Bekenntnisse nicht entscheidend - sie wirken eher anachronistisch. Religiöse und religioide Jugendszenen und ihre Events gewinnen - ausgedrückt durch steigende Besucherzahlen - an Attraktivität und Bedeutung, Taizé- und katholische Weltjugend-Treffen ebenso wie Gothic- oder Freakstock-Festivals (Jesus-Freaks). Die Attraktivität dieser Veranstaltungen liegt darin, dass Religion oder Transzendenz eben mit allen Sinnen fassbar und körperlich spürbar wird. Der Alltag wird mit enthusiastisch-ekstatischen Grenzerfahrungen gesprengt.

Keine der höchst unterschiedlichen Jugendszenen ist wirklich frei von religiöser, auch christlicher Symbolik oder von religiösen Inhalten. Auch diese Kulturen bedienen sich der Sprache der Religion, der Urbilder, Mythen und Symbole, einer Sprache, die dem Menschen im Verlauf der neuzeitlichen Geistesgeschichte mit ihrer Vorherrschaft des Abstrakten und Begrifflichen gründlich verloren gegangen ist. So ist es nicht verwunderlich, wenn junge Menschen immer weniger Religiöses in den für sie bedeutenden Kulturen erkennen und benennen können, Verknüpfungen ("Links") entdecken, ihnen nachgehen oder sie gar herstellen können.

Es gilt also auch wahrzunehmen, was sich im Alltäglichen und in seinen Kulturen (Jugendszenen und populärer Kultur) an existenziellen Bedürfnissen und Suchbewegungen erkennen lässt, was sich an religiösen Themen und Fragen artikuliert. Dabei können durchaus Links zur jüdisch-christlichen Erzähltradition entdeckt werden, die meist auch von denen, die mit Jugendlichen leben und arbeiten, nicht (mehr) erkannt werden.

Die Autorin ist Religionspädagogin und Rektorin der Kath.-Theol. Privatuniversität Linz.

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