Islam, sozial und gewaltfrei

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Ende Februar war er Gast beim "Symposion Dürnstein“: Ali Asghar Engineer kämpft seit Jahren für Frieden und Gewaltlosigkeit aus seiner muslimischen Perspektive heraus.

Er gilt als der muslimische "Befreiungstheologe“: Ali Asghar Engineer (73) lebt und wirkt in der indischen Metropole Mumbai. Er engagiert sich für eine Kultur des Friedens und der Gewaltlosigkeit aus seiner muslimischen Perspektive heraus. 2004 wurde er mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet.

Die Furche: Man hört besorgniserregende Berichte aus Pakistan. Ein Minister, ein Christ, wurde von religiösen Fanatikern ermordet. Gleichzeitig gab es in Afghanistan Unruhen nach Koranverbrennungen durch US-Soldaten. Sie leben in dieser Region: Handelt es sich hier um religiöse oder um soziale Spannungen?

Ali Asghar Engineer: Grundsätzlich handelt es sich nicht um religiöse Auseinandersetzungen. Die Religion spielt natürlich eine Rolle. Aber die Basis ist die Frustration in der Gesellschaft. In Pakistan wie in Afghanistan sieht man den Westen als Zerstörer. Wenn Angehörige der US-Armee Koran-Exemplare verbrennen, dann wird das mit den USA identifiziert. Die Religion ist da meistens nicht direkt verantwortlich. Aber sie wird zu einem Werkzeug, das Frustration über die Situation auszudrücken.

Die Furche: Im Westen meinen viele, der Islam verschärfe die Lage und hindere die Menschen nicht daran, gewalttätig zu werden - im Gegenteil.

Engineer: Ich habe etwa 30 Bücher über den Islam geschrieben, beinahe über jeden Aspekt. Aber in den westlichen Medien herrscht ein sehr verzerrtes Bild vom Islam. Ich würde gerne wissen, wie viele westliche Journalisten den Islam studiert haben, bevor sie etwas darüber schreiben. Sie beurteilen ihn nach einigen Vorfällen, die dann hochgespielt werden. Ihre Artikel enthalten mehr subjektive als objektive Elemente. Dass Osama Bin Laden die Twin Towers zerstören ließ, ist aufs schärfste zu verurteilen. Kein anständiger Mensch würde das gutheißen. Aber wie viele Journalisten haben sich mit den tieferen Ursachen beschäftigt? Sie machten einfach den Islam und die Muslime dafür verantwortlich, als ob alle Muslime hinter Osama stünden. Ist das eine faire Berichterstattung?

Die Furche: Doch die Sicht auf den Westen in den islamischen Ländern ist nicht minder einseitig. Nicht alle Amerikaner, nicht alle Europäer sind böse …

Engineer: Natürlich nicht! Wenn ich über Amerika spreche, spreche ich nicht über die Menschen, sondern über die Regierung und die herrschenden Schichten.

Die Furche: Aber Medien in den islamischen Ländern berichten genauso einseitig …

Engineer: … und das ist gleichermaßen unfair. Ich führe ja auch meine Kämpfe mit der muslimischen Geistlichkeit oder muslimischen Medien. Ich bin tief verstrickt in all diese Kämpfe um Reformen. Es gibt ja auch vieles, was wir vom Westen lernen - etwa die Menschenrechte oder Geschlechtergerechtigkeit. Der Westen hat auch den Feudalismus erfolgreich überwunden, während wir in unseren Ländern immer noch nicht mit der feudalen Kultur gebrochen haben. Es gibt moderate und moderne Muslime, die all diese Praktiken bekämpfen.

Die Furche: Was können gläubige Muslime beitragen, dass sich die Lage verbessert?

Engineer: Sie sollen die Menschen besser verstehen lernen, in welcher Lage sie sind. Auch in den islamischen Ländern sind die herrschende Schicht und die Geistlichkeit miteinander verbandelt. Sie profitieren davon, wenn sich nichts ändert. Die Machthaber fürchten Veränderung und dass die Menschen aufgeklärt werden. Aber Aktivisten wie wir gehen direkt zu den Menschen und sprechen mit ihnen darüber, was im Koran steht. Und die Menschen nehmen das an. Es gibt in unseren Ländern wie auch in Amerika einen Teil der Intelligenz, der nach Veränderung verlangt. Bei uns sind es Analphabetismus und Armut, die verhindern, dass der Einfluss dieser Leute steigt. Es gibt ein Segment der gut ausgebildeteten Mittelklasse, das Veränderung will. Aber dieses erreicht die Massen nicht. Die Sprache, in der wir reden oder schreiben, passt für die Massen nicht. Wir brauchen daher eine Führungspersönlichkeit, die in der Sprache des Volkes reden kann. Das ist sehr wichtig. In Indien sind unsere Reden und Schriften auf Englisch verfasst. Die große Masse versteht das nicht. Wir müssen also die Sprache der Menschen lernen.

Die Furche: Sehen Sie irgendwo eine derartige Führungspersönlichkeit?

Engineer: Das ist unser größtes Problem. Uns fehlen die Führer! Wenn sie nicht ausgebildet sind, dann werden sie durch die Konservativen beeinflusst. Dieser Einfluss lässt keine Veränderung zu. Das ist dann ein Teufelskreis, aus dem es nur dann einen Ausweg gibt, wenn die Massen ausgebildet werden und lernen, sich in einer gemeinsamen Sprache zu verständigen. Aber keine Regierung gibt für Bildung des eigenen Volkes mehr Geld aus als für den Kauf von Waffen. Auch das ist ein Problem.

Die Furche: Können der Koran oder die Lehren des Propheten helfen, diese Situation zu verbessern?

Engineer: Islam bedeutet: Frieden errichten. Wenn zwei Muslime einander treffen, so begrüßen sie sich mit: Friede sei mit dir. Dieser Gruß rührt daher, dass die vorislamische arabische Gesellschaft sehr gewalttätig war. Mohammed hat sein Bestes versucht, Frieden zu stiften. Im Koran wird er als "Barmherzigkeit für die Welten“ beschrieben. Aber die Kultur sitzt tief; keine Religion kann sie so stark beeinflussen, wie wir es gerne hätten. Weil die vorislamische Gesellschaft jahrhundertelang gewalttätig war, hat das der Islam trotz aller Anstrengungen um Frieden nicht überwinden können. Der Islam propagiert die Gewalt nicht, sondern er will aus uns bessere, moralisch verantwortliche Menschen machen. Es gibt dazu viele Beispiele aus dem Leben des Propheten. Als die Muslime aber Herrscher wurden, verfielen sie auch der Arroganz der Herrscher. Das kennen wir aus der islamischen Geschichte zur Genüge. Wir müssen daher zwischen den Lehren des Islam und der islamischen Geschichte unterscheiden.

Ich erzähle eine Begebenheit aus dem Leben des Propheten: Da war eine Prostituierte. Die Leute sagten: Diese Frau hat einen ganz üblen Ruf, sie verdient die Todesstrafe. Der Prophet fragte sie: Hast du im Leben irgendetwas Gutes getan? Die Frau sagte: Du weißt, ich habe ein üblen Ruf. Der Prophet antwortete: Denk nach! Hast du in deinem Leben nicht doch einmal etwas Gutes getan? Sie antwortete: Ja. Ich bin einmal einem Hund begegnet, der sehr durstig war. Wir kamen an einem kleinen Brunnen vorbei. Daraus habe ich mit meinem Schuh einen Schluck Wasser geschöpft und dem Hund zu trinken gegeben. Und der Prophet sagte zur Frau: Geh, ich vergebe dir alle Sünden!

Kennen Sie nicht eine ganz ähnliche Geschichte aus dem Leben Jesu? Auf diese Weise sind unser Prophet, unsere Heiligen, für uns ein Vorbild!

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