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Ein aktueller Sammelband gibt grundlegende Einblicke in die muslimische Diskussion über bioethische Fragen.

Dass der Islam keineswegs so statisch ist, wie sich dies viele Europäer vorstellen, zeigt die bei Herder erscheinende Buchreihe der Georges-Anawati-Stiftung "Modernes Denken in der islamischen Welt" nun schon in ihrem zweiten Band. In der vom Islamwissenschafter Ralph Ghadban, dem Islamwissenschafter und Jesuitenpater Christian Troll und der Arabistin Rotraud Wielandt herausgegebenen Reihe hat der junge Islamwissenschafter und Iranist Thomas Eich eine beeindruckende Sammlung von Rechtsgutachten und Meinungen unterschiedlichster islamischer Gelehrter zu Fragen der Biowissenschaften und Fortpflanzungsmedizin vorgelegt.

Die erstmals ins Deutsche übersetzten Texte beeindrucken nicht nur durch die Tatsache, dass sie sich mit den neuesten Entwicklungen der Medizin, wie Fragen der künstlichen Befruchtung, des Klonens oder des Lebensendes - Stichwort Hirntod und Organspenden - beschäftigen, sondern auch mit der Vielfalt unterschiedlicher Interpretationen und Rechtsmeinungen.

Breites Spektrum

Dabei übersetzte Eich jedoch keineswegs besonders ausgefallene Rechtsmeinungen, sondern ein breites Spektrum einflussreicher Gelehrter, die vom Dekan der Scharia-Fakultät der Yarmouk-Universität im jordanischen Ibrid, Abd an-Nasir Abu-l-Basal, über den iranischen Gelehrten Hasan al-Dschawahiri, zwei wichtige indische Gelehrte, den vermutlich einflussreichsten schiitischen Gelehrten des Libanon, Muhammad Husain Fadlallah bis zum ehemaligen Dekan der Scharia-Fakultät der berühmten sunnitischen al-Azhar-Universität in Kairo, Rafat Uthman, reicht.

Die al-Azhar ist zudem noch mit Gad al-Haqq Ali Gad al-Haqq (1917-1996), mit einem ehemaligen Scheich al-Azhar, also dem Rektor der Universität, vertreten.

Interessant ist dabei auch die Diskussion unterschiedlicher Rechtsmeinungen durch die Gelehrten, die den Gläubigen einen gewissen Spielraum eigener Interpretation erlauben. So wendet sich etwa Muhammad Husain Fadlallah grundsätzlich gegen Abtreibung, erwähnt jedoch auch Rechtsmeinungen, wonach eine Beseelung des Embryos erst am 120. Tag der Schwangerschaft erfolgt und eine Abtreibung bis dahin somit keine Tötung menschlichen Lebens darstellen würde.

Abtreibung und Klonen

In andern Texten werden Fragen der künstlichen Befruchtung, der Leihmutterschaft oder der Wahl des Geschlechts eines Embryos, die Möglichkeit des Klonens oder Fragen der Euthanasie diskutiert. Deutlich wird dabei auch, dass viele der Gelehrten sich nicht nur mit aktuellen gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungen beschäftigen, die auch in der arabischen Welt Einzug gehalten haben, sondern dass es ihnen bei der Diskussion dieser Fragen nicht nur um Spiritualität, sondern um konkrete gesellschaftliche Fragen geht. Dass der Islam eine Religion darstellt, in der es weniger um Orthodoxie, also Rechtgläubigkeit, als um Orthopraxie, also die rechte Lebenspraxis geht, wird auch anhand dieser Sammlung von Rechtsgutachten deutlich.

Die Vielfalt an Rechtsmeinungen, die in der Sammlung von Thomas Eich zum Ausdruck kommt, ist jedoch nicht mit einer Willkürlichkeit zu verwechseln. "Der Prozess der Rechtsfortentwicklung im Islam", so Eich in seiner Einleitung, "hat ja nicht den oft postulierten Zustand der Kakophonie der Gelehrtenmeinungen zum Ziel, sondern strebt vielmehr danach, dass sich schließlich eine bestimmte Meinung als die akzeptabelste herauskristallisiert und allgemeine Anerkennung findet. Wie sich dies konkret vollzieht, muss von der Wissenschaft noch gezielt untersucht werden. Dass es geschieht, ist aber unstrittig." (S. 28)

Ähnliche Fragen wie Europa

Eich legt damit Einblicke in eine Debatte vor, die noch im Gange ist und den Prozess einer solchen Rechtsfortentwicklung sichtbar macht. Mit seiner Übersetzung macht er diese Debatten sowohl für deutschsprachige Muslime als auch für interessierte Nichtmuslime zugänglich. Die Kommentierung der Texte macht sie auch für interessierte Nichtislamwissenschafter verständlich. Einfache Antworten liefert Eich trotzdem nicht. Schließlich sind die angerissenen Themen auch für andere Religionen alles andere als einfach und viele der angesprochenen Fragen sind auch in säkularen europäischen Rechtssystemen mehr als umstritten. Dass in Europa letztlich oft dieselben Fragen diskutiert werden wie von muslimischen Gelehrten im Nahen Osten, macht jedoch auch die Universalität der Herausforderungen deutlich, vor denen die gesamte Menschheit des 21. Jahrhunderts steht.

MODERNE MEDIZIN UND ISLAMISCHE ETHIK

Biowissenschaften in der muslimischen Rechtstradition

Hg. von Thomas Eich. Verlag Herder, Freiburg, 2008, 216 S., kt., € 13,40

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