Protest gegen Islamfeindlichkeit, Katalonien - Protest gegen Islamfeindlichkeit in Katalonien. Der „Islamophobia Report 2017“ will das in europäischer Perspektive aufzeigen (www.islamophobiaeurope.com). - © AFP / Pau Barrena

Islamophobia Report 2017: Wie "der Islam" nicht verteidigt werden sollte

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Im eben publizierten Report finden sich unwissenschaftliche Behauptungen, die ihren Beitrag dazu leisten, Polarisierungen weiter zu verstärken.

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Im eben publizierten Report finden sich unwissenschaftliche Behauptungen, die ihren Beitrag dazu leisten, Polarisierungen weiter zu verstärken.

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Der von Enes Bayrakli und Farid Hafez herausgegebene European Islamophobia Report 2017 (Istanbul: SETA -Foundation for Political, Economic and Social Research 2018) wurde am 11. April in Istanbul vorgestellt. 40 "prominente WissenschaftlerInnen" hätten gemeinsam am Report gearbeitet, der nach einer Einleitung europäische Staaten kapitelweise abhandelt.

Der Hauptthese zufolge sei die Islamophobie, auch als "anti-muslimischer Rassismus" bezeichnet, in Europa auf dem Vormarsch und bedrohe das Leben friedlicher Muslime und Muslimas, damit "objektiv" auch die europäischen Demokratien. Dabei sei die muslimische Bevölkerungsgruppe doch gut integriert. Es gäbe zahlreiche "anti-Muslim hate crimes", deren größte Zahl jedoch gar nicht in offiziellen Dateien aufscheine. Zentrale Forderung: Islamophobie müsse effizienter bekämpft werden.

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Wie schon die letzten Male besorgte Politikwissenschafter Farid Hafez den Bericht über Österreich. Er stellt als Ergebnis eine "Zunahme feindseliger Haltungen" in der österreichischen Bevölkerung fest. Der Bericht fasst islamophobe Tendenzen bei Wahlkämpfen, Reden, politischen Programmen, im Erziehungsbereich und bei Medien zusammen. Überall wird genau das gefunden, wonach gesucht wird. Der Journalistin Lisa Nimmervoll beispielsweise unterstellt Hafez wie schon im letzten Report antimuslimische Tendenzen, weil sie ihrer Arbeit nachgeht und dabei auch "islamophobe Personen wie Saïda Keller-Messahli" interviewt.

Die Kindergartenstudie des Professors für islamische Religionspädagogik Ednan Aslan wird ebenfalls als islamophob bezeichnet; offenbar gelten alle Muslime und Muslimas, die sich kritisch gegenüber ihrer Religion und muslimischen Religionsgemeinschaften äußern, als islamophob. Insgesamt habe im Jahr 2017 eine stärkere "Institutionalisierung von Islamophobie" stattgefunden.

Der Report erwähnt auch Terroristen: es sind aber vor allem rechtsradikale Terroranschläge, die Europa bedrohen - 99 an der Zahl -, nicht die islamistischen (laut Report nur 13 Anschläge). Einmal ist von den "so-called Islamic terror attacks" von 2015 und 2016 in Frankreich und Belgien die Rede, dann von Terroranschlägen, die von "angeblichen Muslimen" verübt wurden. Islamistischer Terror wird ganz offensichtlich heruntergespielt. Muslime sind im Report Opfer, nicht Täter.

Der Bericht fasst islamophobe Tendenzen bei Wahlkämpfen, politischen Programmen und bei Medien zusammen. Überall wird genau das gefunden, wonach gesucht wird.

Schon frühere Islamophobia Reports sind mit plausiblen Argumenten kritisiert worden, etwa von Nina Scholz und Heiko Heinisch ("Kampfbegriff 'Islamophobie' -'Wissenschaft' im Dienste des politischen Islam?", www.mena-watch.com vom 19.4.2017). Auch der neue Bericht ist eine Ansammlung von wissenschaftlich nicht fundierten Pauschalurteilen.

Die Probleme fangen beim Begriff "Islamophobie" selbst an. Es fehlen die notwendigen Differenzierungen zwischen Islamophobie bzw. echtem Rassismus gegenüber Muslimen als den "(rassisch) Anderen", Kritik an Formen islamischer Theologie und Religion, Kritik an Formen des politischen Islam und der Ideologie des Dschihadismus. Die Verschlechterung der gesellschaftlichen Situation von Muslimen in Europa wird behauptet, aber nicht nachgewiesen.

Zu undifferenziert

Der Report befördert damit genau das, was er zu bekämpfen vorgibt: Vorurteile, Klischees, Stereotypisierungen, Verallgemeinerungen und undifferenziertes Denken. Der Islamophobia Report lässt sich so leicht als Propagandaschrift des Thinktank SETA (Foundation for Political, Economic and Social Research) kritisieren, der der türkischen AKP nahesteht. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, wenn der Report, der Menschenrechtsverletzungen in Europa anprangert, in der Türkei vorgestellt wurde, in der diese Menschenrechtsverletzungen in den letzten Jahren unter Erdogan massiv zugenommen haben.

Farid Hafez selbst sieht seinen methodischen Ansatz in der Tradition postkolonialer und "strukturalistischer" Ansätze. Islamophobie sei struktureller Rassismus, der in den Institutionen und den "diskursiven Formationen" verankert sei, unabhängig von den Intentionen der einzelnen Akteure. Dazu passt, dass die österreichische Aktivistin Dudu Kücükgöl von der Muslimischen Jugend (MJÖ) in einem Kurier-Interview hinter den Sympathien für Musliminnen, die im Iran das Kopftuch ablegen, eine "koloniale Tradition" und eine "kulturimperialistische Debatte" vermutet, die der Westen den islamisch geprägten Ländern aufdrängen wolle. Auch dieser Ansatz ist kritisch zu hinterfragen. Die Behauptung, dass es "Strukturen" gebe, die "über unsere Köpfe hinweg" Denken und Handeln bestimmen, ist schablonenhaft und empirisch nicht abgesichert.

Protest gegen Islamfeindlichkeit, USA - Protest gegen Islamfeindlichkeit in den USA. Der „Islamophobia Report 2017“ will das in europäischer Perspektive aufzeigen (www.islamophobiaeurope.com). - © AFP / Robyn Beck
© AFP / Robyn Beck

Protest gegen Islamfeindlichkeit in den USA. Der „Islamophobia Report 2017“ will das in europäischer Perspektive aufzeigen (www.islamophobiaeurope.com).

Psychologische Vermutungen - manchmal nicht mehr als Unterstellungen - sind Teil dieses problematischen Ansatzes. "Die Imagination des Islams und der MuslimInnen sind v. a. Projektionsflächen eigener Schwächen und Wünsche", meint Hafez in einer seiner Publikationen im Anschluss an den führenden Theoretiker der Postkolonialen Studien, Edward Said (Farid Hafez, "Schulen der Islamophobieforschung: Vorurteil, Rassismus und dekoloniales Denken", Islamophobia Studies Yearbook, Bd. 8 (2017), 9-29): "Dem 'muslimischen Anderen' werden in islamophoben Diskursen projektiv eigene Mängel unterstellt, die jedoch negativ gerahmt werden." Das ist schlechte Metaphysik bzw. Metapsychologie, aber keine wissenschaftliche Erkenntnis. Motto dieses Ansatzes: glaube keiner psychologischen Unterstellung, die du nicht selbst erfunden hast.

Ohne Zweifel gibt es Fälle von Islamophobie oder von Rassismus im Europa der Gegenwart. Diese werden im Report auch dokumentiert, etwa was Graffiti oder das Internet betrifft. Tatsächlich gab es in den letzten Jahren einen Aufstieg rechtspopulistischer und neorechter Parteien in Europa. An einigen Autoren, die im Report mit dem Etikett "islamophob" bedacht werden, ist sachliche Kritik durchaus angebracht.

In der eigenen Echo-Kammer

Genau diese sachliche Kritik fehlt jedoch. Stattdessen bietet der Report hauptsächlich eine Anleitung, wie man "den Islam" und Muslime und Musliminnen nicht verteidigen sollte. Er ist wissenschaftlich unseriös und stärkt die Vorurteile mancher Islamkritiker, indem der Text selbst Vorurteile bedient. Das hat nichts mehr mit Aufklärung zu tun.

Die politischen Folgen sind bedenklich. Jeder zieht sich in sein eigenes Schneckenhaus bzw. die eigene Echo-Kammer zurück und fühlt sich missverstanden und als Opfer. Und sucht nach Gleichgesinnten und der Bestätigung eigener Vorurteile.

Das Meinungsklima wird noch mehr vergiftet und Polarisierungen werden verstärkt. Gerade die Wissenschaft sollte diesen Trends entschieden entgegenwirken. Praktizierte Selbstkritik und Selbstreflexion sind überdies Zeichen mündiger Bürgerinnen und Bürger in einem demokratischen Rechtsstaat.

Der Autor ist Dozent für Philosophie an der Uni Wien und Autor des Buchs „Islam, Aufklärung und Moderne“ (vgl. FURCHE 2/2018)

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