"Israel ist der Pharao"

Werbung
Werbung
Werbung

Es gibt nicht nur Militärgewalt und Attentate in Israel. Es gibt auch eine Friedensbewegung.Rabbiner Jeremy Milgrom ist Gründer einer dieser israelisch-palästinensischen Initiativen.

Die Furche: Mit welchen Konsequenzen für Israel rechnen Sie im Falle eines Irak-Kriegs?

Jeremy Milgrom: Es ist eine Ironie der Geschichte, dass nach dem Golfkrieg 1991 der Madrid-Prozess begonnen hat, jene Friedensrunde, die zum Oslo-Prozess führte und zu Jahren der Annäherung, die für beide Seiten um vieles besser waren als die Situation jetzt.

Die Furche: Der Golf-Krieg hat also auch positive Effekte ausgelöst ...

Milgrom: In diesem Fall ja - aber es gibt hundert Gelegenheiten einen Friedensprozess in Gang zu setzen. Dazu soll es keinen Krieg brauchen. Noch dazu einen, bei dem die Folgen unabsehbar sind.

Die Furche: Beispielsweise?

Milgrom: Wenn sich die Palästinenser mit dem Irak solidarisch zeigen, wird die Gewalt in Israel noch mehr steigen. Und auch wenn das nicht eintritt, wird die Wut der arabischen Welt gegenüber Amerika in jedem Fall zunehmen. Das macht es für Israel dann noch schwieriger, im Nahen Osten einen Partner zu finden. Und das war ja auch unser großer Fehler bisher: Wir müssen unsere Einstellungen gegenüber den Ländern und den Menschen, die uns umgeben, ändern, verbessern. Oft habe ich den Eindruck, die Israeli glauben, sie leben auf Long Island.

Die Furche: Sehen Sie die engen Beziehungen zwischen den USA und Israel eher als Nutzen oder als Schaden?

Milgrom: Es ist nicht so, dass die Juden ganz Amerika unter Kontrolle haben, das Auf und Ab an der Wall Street kontrollieren. Aber die Juden in den USA erfüllt es mit Stolz und Genugtuung, wenn sie sehen, wie sehr die Amerikaner - die ja keineswegs frei von Antisemitismus waren und sind - Israel unterstützen. Das ist gut für amerikanische Juden. Sie fühlen sich akzeptiert, sicher. Aber das Problem ist: diese Unterstützung, diese US-Hilfe, diese US-Waffen bringen Israel nicht mehr Frieden. Ganz im Gegenteil: Israel wird mit derselben Weltmacht gleichgesetzt, vor der sich die arabische Welt fürchtet.

Die Furche: Zurecht fürchtet?

Milgrom: Ich selber bin in den USA geboren und dort aufgewachsen. Aber ich kann mich an keinen Moment in der amerikanischen Geschichte erinnern, in der ein Präsident dieses Landes eine so extreme Position eingenommen hat.

Die Furche: Apropos extreme Positionen - welche Rolle spielen die ultra-orthodoxen Parteien in Israel?

Milgrom: Erst in den letzten zwanzig Jahren wurden die Ultra-Orthodoxen mehr und mehr in der israelischen Gesellschaft akzeptiert. Das Fenster, durch das sie in die Gesellschaft eingedrungen sind, waren ihre äußerst rechts angesiedelten politischen Positionen.

Die Furche: Heißt das, der Erfolg dieser Parteien hat wenig bis gar keinen religiösen Hintergrund?

Milgrom: Nicht ihre jüdischen Wertvorstellungen wurden mehr und mehr akzeptiert. Ihre Art der Frömmigkeit, ihre Spiritualität - damit haben die allermeisten Juden in Israel nach wie vor große Schwierigkeiten. Populär macht die ultra-orthodoxen Parteien aber ihr vehementes Vorgehen gegen die Palästinenser.

Die Furche: Und deren Gleichsetzung des Staates Israel mit dem Heiligen Land der Juden?

Milgrom: Nächste Woche feiern wir Juden das Purimfest. Wir lesen dabei das biblische Buch Ester. Eine Geschichte über die Errettung der Juden aus Gefahr und die Rache an den Angreifern. Jahrhundertelang war diese Geschichte nicht gefährlich. Aber in der heutigen Welt sind diese Festtage auf einmal gefährlich und es kommt zu tragischen Anschlägen.

Die Furche: Warum?

Milgrom: Weil heute die israelischen Juden die Macht in den Händen halten und gleichzeitig die Wut und der Hass der Araber auf diese Machthaber zunimmt.

Die Furche: Die Juden wurden doch zu allen Zeiten verfolgt.

Milgrom: Aber sie hatten keine Macht. Niemand hat den Juden jemals ein Gewehr in die Hand gedrückt und gesagt: So, jetzt seid ihr die Chefs. Die biblischen Texte, verknüpft mit politischer Macht ergeben eine völlig neue, brandgefährliche Situation.

Die Furche: Handelt es sich also doch um einen Religionskonflikt?

Milgrom: Nein, das Problem ist nicht die Religion. Israel ist ein Kolonialstaat - das ist das Problem. Die eingewanderte Bevölkerung unterdrückt die angestammte Bevölkerung. Viele Juden erkennen, dass wir heute in die Rolle des ägyptischen Pharaos geschlüpft sind. Wir dominieren, wir ignorieren, wir marginalisieren die angestammte Bevölkerung - das passiert aber nicht wegen der religiösen Texte.

Die Furche: Sondern?

Milgrom: Der eigentliche Grund, warum die Israelis nicht aus der Synagoge hinausgehen und die dort gehörten religiösen Texte in die Tat umsetzen ist: Weil der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern kein religiöser Konflikt ist. Ich klinge schon wie ein Marxist, aber trotzdem: es sind materielle Gründe, die zum Konflikt führen: Land, Wasser, Ressourcen etc.

Die Furche: Welche praktischen Schritte schlagen Sie zur Versöhnung vor?

Milgrom: Ich sage meinen Mitbürgern: Ihr seid doch religiöse Menschen, ihr liebt Gott und ihr wisst, Gott liebt euch. Nehmt diese religiösen Erfahrungen und geht damit nicht nur zu euren jüdischen Nachbarn, sondern darüber hinaus auch zu den palästinensischen, arabischen Mitmenschen.

Die Furche: Was soll daraus entstehen? Interreligiöser Dialog?

Milgrom: Interreligiöser Dialog ist eine nette Idee. Aber wenn Sie auf einem Stuhl sitzen, der mit einem Sesselbein auf dem Fuß des Gegenübers steht - dann ist es für dieses Gegenüber nicht akzeptabel, wenn Sie in dieser für ihn schmerzhaften Situation anfangen, von Frieden und Dialog zu sprechen. Zuerst muss das Sesselbein vom Fuß des anderen weg, dann erst kann Dialog beginnen und gelingen.

Die Furche: Wie können Sie sich in der verfahrenen Situation Ihren Glauben, Ihre Hoffnung bewahren?

Milgrom: Ich bin überrascht, dass meine palästinensischen Freunde noch immer mit mir - einem Juden, einem Israeli - reden, sich nach meinem Befinden und dem meiner Kinder erkundigen. Es sind nicht alle Selbstmordattentäter geworden ...

Die Furche: Das überrascht Sie ...

Milgrom: ... überrascht mich und gibt mir Hoffnung, dass es immer noch eine Chance für ein friedliches Zusammenleben gibt.

Das Gespräch führte Wolfgang Machreich.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung