Iß freudig dein Brot

19451960198020002020

Über die zunehmende Bedeutung der Eß- und Trinkkultur und dienotwendige Wiedergewinnung der Urspünglichkeit des Genießens.

19451960198020002020

Über die zunehmende Bedeutung der Eß- und Trinkkultur und dienotwendige Wiedergewinnung der Urspünglichkeit des Genießens.

Werbung
Werbung
Werbung

Iß freudig dein Brot, und trink vergnügt deinen Wein", empfiehlt der alttestamentliche Weisheitslehrer Kohelet (Koh 9,7). Dieser Prediger aus dem dritten vorchristlichen Jahrhundert mutet uns Heutigen in seinem Schwanken zwischen melancholisch-resignativer Skepsis ("Windhauch, Windhauch, das ist alles Windhauch", Koh 1,2) und individualistisch-hedonistischem Pragmatismus ("Das vollkommene Glück besteht darin, daß jemand ißt und trinkt und das Glück kennenlernt durch seinen eigenen Besitz", Koh 5,17) sehr modern und zeitgenössisch an: ein bißchen Existenzialist, ein wenig Epikureer ...

Nicht freilich hätte der Mann sich träumen lassen, wie sehr mehr als zwei Jahrtausende später die Erben der jüdisch-christlichen Tradition das "Brotessen" und "Weintrinken", also die Aufnahme von fester und flüssiger Nahrung, im wahrsten Sinne des Wortes kultivieren würden. Denn in der Tendenz zu einer Verbreiterung des Kulturbegriffs ist längst alles rund ums Essen & Trinken zur Kultur avanciert: Tischkultur, Glaskultur, Zapfkultur und dergleichen mehr zeugen eben von Eß- und Trinkkultur, die wiederum als Teilausweis von Lebenskultur gelten können.

Es ist dies ein durchaus erfreuliches Zeichen einer Wohlstandsgesellschaft, daß - im Unterschied zu Notzeiten - auch die schönsten Nebensachen der Welt an Eigenwert gewinnen. Man kann darin auch eine Annäherung an das Ideal des im umfassenden Sinne gebildeten Menschen erkennen, des modernen Renaissancemenschen als eines Universalisten und Lebenskünstlers, der in der Musik und der Literatur ebenso zu Hause ist wie in den Feinheiten von Küche und Keller.

Es ist beim Essen & Trinken so wie bei anderen Bereichen: Vertiefende Konfrontation sensibilisiert, macht empfänglich für Nuancen, befördert subtil differenzierende Urteilskraft. Und was wurde nicht schon über Köche, Winzer, ja selbst über Bierbrauer, und deren Produkte geschrieben. Keine Zeitung, kein Magazin, das auf sich hält - die Furche bestätigt die Regel - und nicht eine regelmäßig erscheinende Gastronomiespalte im Repertoire hätte. Ganz abgesehen natürlich von der Vielzahl an Fachmagazinen, die in den einschlägigen Geschäften längst eigene Unterabteilungen neben "Wohnen", "Reisen", "Architektur", "Fotografie" u. v. m. bilden.

Die gestiegene Bedeutung von Essen & Trinken findet auch ihren Niederschlag in der Sprache: Die Entwicklung eines eigenen Jargons zeigt deutlich an, daß eine bestimmte Disziplin Autonomie erlangt hat. Die diversen Frucht-, Schokolade-, Biskuit- und sonstigen Aromen, mit denen Weine oder edle Brände beschrieben werden, sind hinlänglich bekannt. Ebenso die Differenzierungen nach Nase, Gaumen, Abgang u. ä. Auch werben Texte von nachgerade literarischer Qualität über Saucen, Filets und Beilagen um Leser und Esser. Und wer noch immer meint, Bier sei ein ordinäres Gesöff, über das sich bestenfalls sagen lasse, ob es zu warm oder zu kalt sei, dem ist erstens nicht zu helfen, und der kennt, zweitens, Conrad Seidl und seine einschlägigen Bücher bzw. Kolumnen im "Standard" nicht.

Dies alles hat mit dem zu tun, was "Gourmetpapst" Christoph Wagner, Chefredakteur des Magazins "Gault Millau", die "Demokratisierung des Genusses" nennt (siehe Interview S. 15). Es bedeutet, daß durch die ebenso zähe wie freudvolle Arbeit der Gourmet-Avantgarde das allgemeine Bewußtsein für Qualität langfristig geschärft werden konnte: Gut-essen- und-Trinken wurde für breite Bevölkerungsschichten zum Thema in Theorie und Praxis. Gesellschaftspolitisch wünschenswerte Prozesse dieser Art bringen freilich immer auch das Geschnatter der Möchtegerns und Wichtigtuer mit sich. Es droht zudem jener ursprüngliche und unmittelbare Zugang zum Genuß verlorenzugehen, von dem das eingangs zitierte Kohelet-Wort so erfrischend kündet.

Die wahren Liebhaber und Kenner wissen um diese Gefahr. Einer von ihnen ist Klaus Egle, Weinexperte des "Gault Millau"-Magazins. Wie alle wirklich Wissenden hat Egle, von seinem Freund Christoph Wagner einmal bewundernd als "bodenloser Weinschlund" tituliert, bei aller ausgefeilten Detailkenntnis die Erdung nicht verloren. In einer seiner Magazin-Kolumnen kritisierte er deshalb den übertriebenen Kult um Namen und Jahrgänge von Weinen und schrieb: "Gute Weine zu trinken hat bei uns eine viel zu junge Tradition, als daß hier bereits Souveränität, Selbstverständlichkeit oder gar Gelassenheit Einzug halten könnten."

Wir fügen nur hinzu: Wird schon noch werden; wir sind, so scheint's, auf dem besten Weg dazu.

Redaktionelle Gestaltung: Rudolf Mitlöhner

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung