Ist allgemeine Menschenbildung unzeitgemäß?

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Von ihrem Beginn an stand die öffentliche Schule im Dienst des Staates, der sie finanzierte und verwaltete. Gleichzeitig definierte er ihre Aufgabe. Als Österreich und Preußen die Schulpflicht einführten, geschah das mit der Absicht, brauchbare und dem Staat nützliche Bürger heranzubilden und gleichzeitig der Verwahrlosung der Jugend entgegenzuwirken.

Die Aufklärung bestätigt diese Doppelgleisigkeit des Auftrags der Schule. Trotz Humanismus und Freiheitsidee wurde und wird die Schule dem Anspruch der Nützlichkeit mehr und mehr unterworfen - auch auf Wunsch der Eltern. Die jungen Menschen sollen etwas lernen, das für das Leben nützlich ist und einen sicheren Arbeitsplatz garantiert.

Aber die Reduzierung des Auftrages der Schule auf Brauchbarkeit reicht in mehrfacher Hinsicht nicht aus. Jeder weiß, dass eine einmal erworbene Qualifikation angesichts des schnellen Wandels von Berufs- und Arbeitswelt nicht genügt. Schließlich weiß man auch, dass ein demokratischer Staat auf urteilsfähige Bürger verwiesen ist.

Der radikale Einwand aber geht vom Verständnis menschlicher Würde aus. Seine Festlegung auf Brauchbarkeit reduziert menschliche Existenz auf gesellschaftliches Funktionieren. Deshalb muss alles versucht werden, um gesellschaftliche Ertüchtigung (Ausbildung) und Entfaltung der Persönlichkeit (Bildung) miteinander zu verknüpfen - in einer Schule, die sich nicht auf das Einpauken von Daten beschränkt, sondern Einsicht zu vermitteln sucht. Das befreit Schule auch aus der hektischen Betriebsamkeit und gibt ihr jene Muße zurück, die ihrem Bildungsauftrag zukommt.

Dieser Zweck wird natürlich nicht erreicht, wenn man den Stundenplan ohne Konzept um zwei Stunden kürzt. Es mag durchaus geboten sein, der möglichen Überforderung von Schülern entgegenzuwirken. Eine Kürzung müsste allerdings so erfolgen, dass dem jungen Menschen die Begegnung mit seiner Kultur und Geschichte ermöglicht und gleichzeitig sein selbständiges Denken und Urteilen gefördert wird. Muße könnte dann zur Gelegenheit werden, das Denken selbst in seinen Grenzen und Möglichkeiten zu erfahren. Damit würde auch eine Erziehung möglich, die sich nicht über moralisierendes Gerede definiert, sondern über das Hören auf das eigene Gewissen.

Der Autor ist emer. Professor für Erziehungswissenschaft an der Universität Wien.

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