Ist das nicht ein furchtbar zwänglerisches Projekt?"

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Alfred Pfabigan, Philosoph an der Universität Wien, misstraut der moralisierenden Rede und glaubt nicht an einfache Lösungen für komplexe Probleme.

Die Furche: Professor Pfabigan, die Philosophen haben traditionell viel über ein ethisch korrektes Leben nachgedacht …

Alfred Pfabigan: Eines vorweg: Ich rede nur über Moral. Ethik? - Nein, das würde ich mir nicht zutrauen.

Die Furche: Was heißt das?

Pfabigan: Die Ethik nennt sich ja eine Wissenschaft. Sie tritt mit dem Anspruch auf, Normen wissenschaftlich begründen zu können - und das über Kulturen hinweg. Das mag jetzt destruktiv klingen, aber ich glaube tatsächlich nicht, dass es eine solche Wissenschaft geben kann.

Die Furche: Wie können Sie sich da so sicher sein?

Pfabigan: Es gibt so viele verschiedene Moralen. Das muss man doch konstatieren. Und dann schauen Sie wie die Menschen ticken: Ein Muslim, der sagt, ich halte das nicht aus, wenn Mohammed abgebildet wird, empfindet einen tiefen Zorn. Und ich erinnere mich an einen ähnlichen Zorn in mir. Wo gibt es da die wissenschaftliche Entscheidung über diesen Zorn? Der Eine will nicht mit dem Anderen reden. Ja, er kann einfach nicht.

Die Furche: Inwiefern interessieren Sie sich dann für moralische Fragen?

Pfabigan: Spannend finde ich etwa moralische Reaktionen auf die Globalisierung. Da gibt es einen gewaltigen Lobbyismus für nationale Interessen in der Argumentation. Zum Beispiel wenn gesagt wird, es sei unmoralisch, wenn eine Firma, die im Augenblick Gewinne schreibt und deren zukünftiger Erfolg völlig im Dunklen liegt, Arbeitsplätze ins Ausland schafft.

Die Furche: Und Sie stört es nicht, dass Arbeitsplätze verloren gehen?

Pfabigan: Bemerkenswert ist doch: Ich sitze da - wahrscheinlich in meinen chinesischen Textilien - und rege mich darüber auf, dass Arbeitsplätze wandern. Dabei wurde der Vertrag zwischen dem nationalen Produzenten und dem nationalen Konsumenten bereits von meiner Eltern-Generation gebrochen. Die haben die Vorarlberger Textilindustrie in den Konkurs geschickt. Und ich bin mit italienischen Kleidern aufgewachsen.

Die Furche: Und Sie verurteilen diesen Vertragsbruch nicht?

Pfabigan: Wenn man einen Vertrag bricht, kriegt man natürlich eine Watschen. Aber weitaus interessanter ist doch: Viele Menschen schauen sich ein Ergebnis an, das ihnen nicht passt. Und dann muss irgendjemand Schuld sein. Thomas Bernhard hat deshalb von einer Bezichtigungsgemeinschaft gesprochen. Aber manchmal ist vielleicht gar niemand Schuld.

Die Furche: Leo Hickman, ein englischer Journalist, hat versucht ein Jahr lang ethisch einwandfrei zu leben. Er hat niemanden beschuldigt, aber regelmäßig darüber berichtet...

Pfabigan: Ein Jahr lang? Ich weiss gar nicht, wie man einen einzigen Tag moralisch makellos leben könnte. Ich habe Sie gerade eine halbe Stunde auf das Interview warten lassen. Gleichzeitig hatte ich einen ziemlichen Stress, weil einige Leute zu spät gekommen sind. Jetzt telefoniere ich mit Ihnen übers Diensttelefon in einer Sache, die gar nicht soviel mit der Universität zu tun hat. Was soll ich da nun anders machen?

Die Furche: Hickman legte sein Augenmerk auf andere Dinge. Zum Beispiel fragte er sich, ob es nicht besser wäre auf Fernreisen zu verzichten. Oder es nicht vernünftiger wäre mit ausgepresstem Zitronensaft zu putzen. Er bemüht sich redlich, ein guter Mensch zu sein.

Pfabigan: Nehmen Sie das wirklich ernst? Ist das nicht ein furchtbar zwänglerisches Projekt? Wenn Sie tatsächlich so leben wollen, werden Sie im Konsumsektor auf ungeheuere Weise gehemmt. Aber Moral spielt sich nicht nur dort ab.

Die Furche: Natürlich hat es viel mit Verzicht zu tun. Das sagt Hickman selbst...

Pfabigan: Wenn es ihn freut, auf gewisse Dinge zu verzichten, kann er das natürlich tun. Doch warum ist das moralisch? Und: Vor welchem Forum außer vor der eigenen Person agiert er da?

Die Furche: Ein ausgeprägteres Umweltbewusstsein wäre doch allgemein wünschenswert, oder?

Pfabigan: Aber das sind doch ungeheuer komplexe Fragen! Teilen Sie den Hickman in zwei Personen und lassen Sie die Beiden diskutieren, welche Zahnpasta die ökologischste ist.

Die Furche: Sie bezweifeln, dass sich die Beiden einigen könnten?

Pfabigan: Ja. Und wenn sie sich einigen, warum sollte das die richtige Lösung sein? Ich bin mit Holzenergie aufgewachsen. Holz verbrennen ist gut, hieß es. Jetzt ärgern wir uns über den Feinstaub. Auch sagte man: Diesel macht weniger Abgase. Deshalb ist er steuerlich billiger. Heute sind die Dieselfahrer die Sündenböcke.

Die Furche: Das Wissen ist Ihnen zu konjunkturell?

Pfabigan: Genau. Ich verweigere es, irgendetwas in eine Norm zu gießen, was nicht wirklich abgesichtert ist.

Die Furche: Wo sehen Sie denn die wirklichen moralischen Probleme?

Pfabigan: Wenn etwa Hilfe schadet. So schicken wir alte Kleider in die Dritte Welt und verhindern damit den Aufbau einer eigenen Industrie. Gleichzeitig wollen wir etwas für die Menschen tun. Die unterschiedlichen Meinungen an einen Tisch zu bringen, ist oft die Kunst. Und erst der Anfang einer ernsthaften Auseinandersetzung.

Das Gespräch führte Thomas Mündle.

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